Lektion T2 – Meditation, Bhakti und tantrischer Sex

Es war kein Zufall, dass wir schon damals in den ersten Lektionen der Fortgeschrittenen Yoga Übungen damit begonnen haben, das Verlangen (L12) und Meditation (L13) zu erörtern. Wir haben unser Verlangen so fokussiert, dass wir mit der Meditation anfingen. Der Prozess, in der Meditation tief in das Glückseligkeitsbewusstsein einzutauchen, führt zu stiller Bewusstheit und einer instinktiven Bestätigung in unserem Nervensystem. Diese Bestätigung wird verstärkt durch vermehrtes Wissen, dem wir begegnen. Dadurch bekommen wir mehr Verlangen für das Göttliche, was uns wiederum zu vermehrtem Üben führt. Dieses aufsteigende Verlangen nach göttlichen Erfahrungen wird „Bhakti“ genannt. Bhakti ist ein Produkt unseres Verlangens und der Reinigung, die in unserem Nervensystem auftritt. Und was uns betrifft, ist das vorsätzlich: Wir gelangen zum göttlichen Verlangen aufgrund unserer eigenen Entscheidung. Mit den täglichen Übungen nimmt Bhakti spiralförmig zu und drängt uns weiter zu immer höheren Ebenen der Yoga-Praxis und göttlicher Erfahrung.

Was hat das alles mit tantrischem Sex zu tun?

Wenn wir uns als Anfänger beginnen, mit tantrischem Sex zu beschäftigen, weil wir einfach nach einer besseren Art von Sex suchen, wird das, wenn es gut läuft, auch alles sein, was wir bekommen: etwas besserer Sex – ein kurzlebiger Sieg. Wenn wir zum tantrischem Sex auf Wogen von Bhakti, hervorgebracht durch unsere tägliche Routine mit fortgeschrittenen Yoga-Übungen, kommen, ist das ein ganz anderes Paar Stiefel. Dann sind wir mit anhaltender göttlicher Ekstase angefüllt. Deshalb lautet die erste Empfehlung zum tantrischen Sex, dass man darunter zuerst einmal ein starkes Fundament mit täglicher Meditation, Pranayama und anderen fortgeschrittenen Yoga-Techniken baut. Dann wird tantrischer Sex ganz natürlich hervorkommen und ein wirkliches spirituelles Potential haben, noch bevor wir damit beginnen, ihn zu praktizieren.

Genau dasselbe war es, als wir damit begonnen haben, fortgeschrittene Yoga-Techniken wie Mulabandha und Siddhasana, beide zur Aufwärtsstimulierung sexueller Energie in unserem Nervensystem, aufzunehmen. Hätten wir zuerst mit Mulabandha und Siddhasana angefangen, noch bevor wir meditierten und Pranayama übten, hätten wir sozusagen versucht, Energie durch großteils verstopfte Kanäle nach oben zu senden: Das hätte die Möglichkeiten eines positiven Erfolges sehr eingeschränkt. Es ist besser, zuerst etwas das Haus zu reinigen und damit täglich fortzufahren, bevor wir beginnen, sexuelle Energie nach oben in höhere Regionen unseres Nervensystems zu bewegen. Dasselbe hat seine Gültigkeit, wenn wir mit tantrischem Sex beginnen.

Wie wissen wir, dass wir bereit sind für die tantrischen Sexualtechniken? Das ist sehr einfach. Wir werden etwas mit unserem Sexualleben anfangen wollen, das uns aufbaut. Das wird für uns wichtig. Je mehr wir das wollen, desto besser ist es. Das Niveau von Bhakti in uns ist leicht zu fühlen und auch für andere leicht wahrnehmbar. Das kommt automatisch, sobald sich unser Nervensystem als Ergebnis unserer fortgeschrittenen Yoga-Übungen reinigt. Es ist eine Art von Magnetismus, der aufsteigt und uns zu einem „Mehr“ drängt. Es ist aber ein starkes Rufen nötig, damit wir in eine neue, spirituell orientierte Sexualität gedrängt werden, weil wir dazu etwas Radikales tun müssen. Wir brauchen ein radikales Verlangen, damit wir tantrischen Sex in Angriff nehmen. Wir lassen uns auf eine Reise ein, die das Ziel hat, den Lauf eines mächtigen Stromes zu verändern. Beim tantrischen Sex lernen wir, uns mit dem Zweck, sexuelle Energie zum Aufwärtsfließen zu bringen, sexuell zu betätigen und unsere tief verwurzelte Obsession für den Orgasmus hintanzustellen: Spirituelle Kultivierung der sexuellen Energie zuerst, dann erst der Orgasmus. Das ist eine große Veränderung in unseren Zielsetzungen. Wenn unser Bhakti stark ist, sind wir in der Lage, unser sexuelles Wirken in eine Betriebsart der Kultivierung zu erweitern, genauso wie wir unsere durch Siddhasana entstandene Erregung im Laufe der Zeit zu einer viel höheren Wirkungsweise erziehen. Ähnlich geht das beim tantrischen Sex zu: Es ist ein stufenweises, längere Zeit in Anspruch nehmendes Selbsterziehen. Tantrischer Sex ist keine Fähigkeit, die sich über Nacht einstellt. Es ist eine Entwicklung, die sich mit der Zeit ergibt – über viele Monate und Jahre hinweg. Wird unser Bhakti stärker, geschieht es. Das muss es auch, damit wir unsere Reise zur Erleuchtung zu Ende bringen können.

Die sexuelle Reise durch Yoga ist nicht für jeden gleich. Sie ist so verschieden für jeden von uns, wie es unsere sexuellen Neigungen sind.

Für all jene, die ein dezentes oder maßvolles Sexualleben führen, besteht keine große Notwendigkeit, yogische Methoden in ihre sexuellen Beziehungen einzuführen, obwohl das Erlernen des tantrischen Sex sicherlich das Liebesleben wie auch die anderen der fortgeschrittenen Yoga-Übungen bereichern wird. Gelegentlicher Sex ist kein großes Hindernis für die Erleuchtung. Die traditionellen Methoden von Yoga (Rechte-Hand-Tantra), die in den Haupt-Lektionen erörtert werden, reichen locker aus, diese zu erreichen.

Für diejenigen, die sexuell sehr aktiv sind, ist das eine andere Sache. Obwohl der Prana-Speicher im Becken riesig ist, gibt es eine Grenze, bis zu der man Energie verausgaben kann und trotzdem noch spirituell schwingt. Das betrifft vor allem den Mann. Bei ihm fließt während eines Orgasmus mit der Samenejakulation viel Prana ab. Etwas trifft das zwar auch auf die Frau zu, aber nicht annähernd in ähnlichem Ausmaß. Es ist der Mann, der den Schlüssel zu tantrischem Sex in Händen hält, denn er erfährt im Orgasmus den größten Verlust an Prana. Deshalb ist es auch er, der die Dauer der sexuellen Vereinigung bestimmt und damit auch das Ausmaß der Kultivierung sexueller Energie, zu der es während des Liebesspiels kommen kann. Auch wenn das Verlangen (d.h. das Bhakti) der Frau überfließt, sexuelle Energie in sich und ihrem Partner höher und höher zu bringen, ist es das Bhakti des Mannes, das darüber entscheidet, inwieweit das bei der sexuellen Vereinigung erreicht werden kann. Deshalb unterscheiden sich die Rollen des Mannes und der Frau beim tantrischem Sex etwas. In einem anderen Sinne aber sind ihre Rollen auch dieselben. Damit es zu tantrischem Sex kommen kann, müssen sowohl der Mann als auch die Frau darum bemüht sein, die Ejakulation des Mannes intelligent zu steuern. Das hat seine Berechtigung in den Anfangsstadien des tantrischen Sex und bleibt auch danach für einige Zeit unabdingbar.

Mit der Zeit und der Übung wird der Mann Herr seines Samens und ist nicht länger von der Hilfe seiner Partnerin für die Kontrolle seiner Ejakulation abhängig. Ist dieses Niveau der Fertigkeit einmal erreicht, sind beide Partner frei, die sexuelle Energie fast unendlich zu kultivieren – was, wenn du so willst, mit einem anhaltenden Super-Siddhasana gleichzusetzen ist. Wir haben alle schon Werke asiatischer bildender Kunst mit tantrisch Liebenden in Vereinigung gesehen, die Musikinstrumente spielen, Gedichte lesen, meditieren oder zu langen Liebesgesprächen beisammen sind. Das ist nicht das, was wir im Westen gewöhnlich unter Sex – auch nicht tantrischem Sex – verstehen. Trotzdem ist es das, was wirklicher tantrischer Sex ist – lange Kultivierung von sexueller Energie im Liebesspiel vor dem Orgasmus.

Es ist noch wichtig einige Dinge anzusprechen.

Erstens ist es nicht gut, tantrischen Sex als Selbstzweck zu betreiben. Tantrischer Sex ist keine für sich alleine dastehende Yoga-Praxis. Alleine für sich ist tantrischer Sex eine schwache Übung zur globalen Reinigung des Nervensystems. Meditation und Pranayama sind die erstrangigen Instrumente für diese Aufgabe. Ist etwas Reinigung erreicht, sind es traditionellerweise Bandhas, Mudras, Siddhasana und Kumbhaka, die sehr nützlich zur weiteren Aufwärtsstimulierung der sexuellen Energie sind. Das führt zu einer Erhöhung der ekstatischen Leitfähigkeit in der Sushumna (Wirbelsäulennerv) und den Tausenden von Nerven im Körper. Tantrischer Sex kann dabei eine Rolle spielen – besonders für diejenigen Yogis und Yoginis, die sexuell aktiver sind. Es ist etwas, das wir zur Verbesserung unseres Yogas tun können, wenn wir bereits sexuell aktiv sind. Diese Erörterung hat also nicht den Zweck, jede(n) Yogi(ni) aufzurufen, mehr Sex – aber auf tantrische Art – zu haben. Bist du nur gering bis gemäßigt sexuell aktiv und glücklich mit deinen fortgeschrittenen Yoga-Übungen, bist du sehr gut heraus. Lass dich nicht zu sexuellen Eskapaden anstacheln, nur weil es diese Lektionen gibt. Diese Lektionen zu tantrischem Sex sind für Leute, die bereits sexuell aktiv sind und nach Wegen suchen, ihre sexuelle Aktivität in ihr allgemeines Spektrum von Yoga-Übungen einzupassen.

Zweitens mag es einigen als eine schlechte Idee erscheinen, dass wir, während wir die Fähigkeit entwickeln, die sexuelle Energie unendlich nach oben zu kultivieren, den Orgasmus etwas außen vor lassen. Es mag scheinen, dass wir hier das Kind mit dem Bade ausschütten. Schließlich ist der Orgasmus das uns am tiefsten ergreifende Vergnügen, das wir bisher in unserem Leben kennen gelernt haben. Das ist ein normales und berechtigtes Bedenken und es ist richtig, wenn wir fragen:

„Wie steht es um den Orgasmus, was passiert mit ihm?“

In diesen Lektionen geht es nicht um Anti-Orgasmus. In Wirklichkeit ist der Pfad der fortgeschrittenen Yoga-Übungen ein Pfad des Vergnügens, ein Pfad der Ekstase. Der Orgasmus ist eine ekstatische Reaktion des Körpers, die durch eine bestimmte Art der Stimulation – einer sexuellen Stimulation, die biologisch orientiert ist und der Fortpflanzung dient – ausgelöst wird. Der Zustand im Nervensystem, den wir Erleuchtung nennen, ist ebenfalls eine ekstatische Reaktion im Körper, die durch eine bestimmte Art der Stimulation ausgelöst wird – Stimulation durch fortgeschrittene Yoga-Übungen, die auf biologischer Ebene darauf abzielt, unser Gewahrwerden im unendlichen, reinen Glückseligkeitsbewusstsein und in göttlicher Ekstase hervorzubringen.

Geschieht die Erleuchtung auf Kosten des Orgasmus? Nein, Erleuchtung ist eine Blüte des Orgasmus, eine Ausdehnung des Orgasmus in eine endlose, volle Blütenpracht im ganzen Körper.

Ramakrishna sagte, dass göttliche Ekstase vergleichbar ist mit unzähligen Yonis (weiblichen Geschlechtsorganen) in fortwährendem Orgasmus in jedem Atom und jeder Pore unseres Körpers.

Obwohl es zu Beginn also scheinen mag, als würden wir etwas Wichtiges irgendwo im Hintergrund des Regals abstellen, dehnen wir durch die Reinigung und Öffnung unseres Nervensystems mit den fortgeschrittenen Yoga-Übungen in Wirklichkeit schrittweise unsere orgiastische Reaktionsfähigkeit in kosmische Gefilde aus. Dort erkennen wir, dass Ekstase hinsichtlich Größe und Dauer unbegrenzt ist. Es ist nur eine Frage der Kultivierung unseres Nervensystems, damit wir offenbaren können, was bereits vorhanden ist.

All das wird durch unser Verlangen erreicht. Jeden Tag wählen wir unseren Weg aufs Neue.

Gut, befassen wir uns also mit den Besonderheiten des tantrischen Sex.

Der Guru ist in Dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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