Es heißt, dass der menschliche Körper die himmlische Stadt ist. Wir können auch sagen, dass der menschliche Körper und insbesondere das Nervensystem ein Fenster zum Göttlichen ist. Yoga Übungen sind so entworfen, dass sie beim Reinigen des Fensters helfen, so dass das vollkommene Licht unserer inneren göttlichen Eigenschaften durchscheinen kann. Dies nimmt man als zunehmenden inneren Frieden, Kreativität, Energie und erleuchtetere Sicht auf die Welt wahr. Aus diesem Grund wird das Endstadium des Reinigungs- und Öffnungsprozesses als Erleuchtung bezeichnet.
Kann man diese Reinigung und Öffnung mit physischen Mitteln alleine erreichen? Das ist sehr unwahrscheinlich. Physische Mittel wie die Ernährung oder Reinigungsmethoden, die in kürzlich online gestellten, noch kommenden Lektionen und auch in viel früheren Lektionen zu Körperstellungen (Asanas), Mudras, Bandhas, tantrischen Sexualmethoden, etc. behandelt werden, betreffen die physische (energetische) Seite unserer Reinigung und Öffnung. Es geht aber noch viel tiefer als diese Mittel reichen. Deshalb widmen wir dem spirituellen Wunsch (Bhakti), der tiefen Meditation, der Wirbelsäulenatmung, Samyama und anderen Methoden, bei denen Herz, Verstand und Atmung eine Rolle spielen, in diesem umfassenden System von Yoga-Übungen viel Aufmerksamkeit. Die Yogamethoden, die nicht auf den physischen Körper abzielen, greifen sehr viel tiefer als die physischen Methoden.
Andererseits sind die physischen Methoden trotzdem ein wesentlicher Bestandteil der weiten Spanne von spirituellen Übungen, wie sie in Patanjalis Acht Glieder des Yoga aufgeführt sind.
In nun folgenden Lektionen wollen wir die traditionellen Shatkarmas, die man zur Unterstützung unserer täglichen Yoga Routine einsetzen kann, erörtern. Dazu gehören:
– Jala Neti (Nasenreinigung)
– Basti (Reinigung des Dickdarms/Einlauf)
– Dhauti (Darmspülung)
Mehrere zusätzliche Shatkarmas werden ebenfalls vorgestellt und ihre Beziehung zu unserer täglichen Routine von Yoga-Übungen diskutiert. Dazu zählen Nauli (das Durchwalken der Bauchmuskeln), Kabalabhati (stoßhaftes Ausatmen, eine Pranayama-Methode zum Reinigen der Nerven), und Tratak (eine Augen-/Aufmerksamkeitsfokussierungsmethode). Einige der Elemente in diesen zuletzt genannten Shatkarmas überschneiden sich mit Methoden, die in früheren FYÜ-Lektionen bereits behandelt wurden. Auch diese Überschneidungen werden thematisiert.
Ob wir Shatkarmas regelmäßig anwenden oder nicht, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Es gibt da keine eindeutige Empfehlung. Jeder muss selbst feststellen, was im Sinne seines eigenen spirituellen Fortschritts am besten funktioniert. Shatkarmas in Verbindung mit anderen Übungen können dabei helfen, erweiterte Ebenen der Reinigung und Öffnung zu kultivieren und genauso dazu beitragen unsere körperliche Gesundheit und unser Wohlbefinden zu verbessern.
Treten wir einen Schritt zurück und betrachten wir alles aus einem breiteren Blickwinkel, dann stellt sich immer die Frage, was wir wann tun sollen, wenn wir unsere Yoga-Routine aufbauen. Beim FYÜ-Ansatz beginnen wir mit der tiefen Meditation und dem Pranayama der Wirbelsäulenatmung, bevor wir zu mehr physischen Methoden übergehen. Gehen wir so an die Sache heran, wird der Drang zur Anwendung von physischen Methoden möglicherweise mit der Zeit automatisch aufkommen.
Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn Menschen, die täglich tief meditieren, auf natürliche Weise zu einer leichteren und nahrhafteren Ernährungsweise, besserer Hygiene und sogar Yoga-Stellungen und zu inneren körperlichen Manövern (Mudras und Bandhas) hintendieren. Wir fassen dies unter dem Begriff des automatischen Yoga zusammen. Dieser automatische Yoga wird durch das Aufkommen von innerer Stille inspiriert. Es ist eine Tatsache, dass alle Glieder des Yoga uns eigen sind und miteinander in Verbindung stehen. Aktiviert man ein Glied des Yoga, werden alle anderen Glieder stimuliert. Je tiefer die Methode reicht, mit der wir uns entschließen zu arbeiten (so wie die tiefe Meditation), desto mehr andere Glieder werden stimuliert.
Abhängig davon, wo wir uns auf unserem Pfad der Reinigung und Öffnung befinden, können körperliche Methoden wie die Shatkarmas (Reinigungstechniken) eine größere oder geringere Rolle bei unserer Öffnung spielen. Befinden wir uns z.B. auf der Schwelle zu einer Energieerweckung oder treten wir in eine ein, können Shatkarmas sehr wichtig werden. Dies deshalb, weil unsere inneren Kanäle dann dabei sind, sich auf eine höhere Ebene des Funktionierens zu verwandeln, um den »Nektarzyklus« zu unterstützen, wie er in Lektion 304 diskutiert wurde. Das Säubern der Nasengänge, Nasennebenhöhlen und des Verdauungstrakts wird diese geläuterten Prozesse verbessern. Deshalb können wir zu diesen Zeiten auf natürliche Weise einen starken Drang fühlen, uns mit Shatkarmas zu beschäftigen.
Shatkarmas kann man auch aus gesundheitlichen Gründen anwenden. Es gibt keinen Zweifel daran, dass eine ganze Bandbreite von Yoga-Übungen, wozu auch die Shatkarmas zählen, für unsere Gesundheit von großem Vorteil sein können.
Ergreift man die Initiative bei Ernährung und Shatkarmas, kann das den inneren Fortschritt in den frühen Stadien unserer tiefen Meditationsübung erheblich beschleunigen. Scheint es, dass nach einigen Monaten täglicher tiefer Meditation im Sinne von positiven Auswirkungen nicht viel bei unseren täglichen Aktivitäten geschieht, dann können möglicherweise einige Maßnahmen auf dem Gebiet der Ernährungsumstellung und Shatkarmas helfen. Natürlich kann es nur dazu kommen, wenn da ein starker spiritueller Wunsch (Bhakti) aus dem Inneren aufsteigt, der zu diesen zusätzlichen Maßnahmen hindrängt. Das wäre auch ein Hinweis darauf, dass die tiefe Meditation unsere Sehnsucht nach Fortschritt beflügelt.
Alle Yoga-Übungen stehen in unserem Inneren miteinander in Verbindung.
Ob wir also dazu neigen, Shatkarmas jetzt oder später zu machen, wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass das im Einklang mit unserem spirituellen Wunsch, der tiefen Meditation und anderen Übungen stattfindet, mit denen wir uns beschäftigen. Und in gleicher Weise wird unser Engagement in den Shatkarmas auch eine stimulierende Wirkung auf andere Übungen haben.
Viele Übende werden aber auch niemals zum Hilfsmittel der Shatkarmas greifen. Da gibt es keine Regel, die fordert, dass alle Yogapraktizierenden sich auf alle Aspekte des Yoga einlassen müssen. Wir werden lernen, von den Symptomen und dem Drängen aus dem Inneren her abzuschätzen, was eine bestimmte Situation erfordert. Zu manchen Übungen mögen wir uns nie hingezogen fühlen und das ist vollkommen in Ordnung. Dass wir zu einem guten Fortschritt und zu mehr Glück und Erfüllung in unserem Leben finden, ist alles, was zählt.
Das innere Drängen, uns mit den Shatkarmas zu beschäftigen, kann zu einer bestimmten Zeit auf unserem Pfad stark sein und später verschwinden, wenn unser Nervensystem in Verbindung mit der ekstatischen Leitfähigkeit und Ausstrahlung (Kundalini) selbstgenügsamer bei der Aufrechterhaltung des höheren Funktionierens wird. In diesem Sinne unterscheiden sich die Shatkarmas von der tiefen Meditation, dem Pranayama der Wirbelsäulenatmung und einigen unserer anderen Yoga-Übungen, mit denen wir unser ganzes Leben lang täglich weitermachen können.
Shatkarmas kann man vielleicht am Anfang oder im mittleren Stadium brauchen, doch nicht so oft gegen Ende der Reise. Shatkarmas kann man als eine Art Stützrad für unsere inneren ekstatischen Prozesse ansehen. Sind diese Prozesse einmal in Schwung, kann auch unsere Neigung schwinden, das Stützrad zu nutzen. Dasselbe kann auch bei der Ernährungsweise eintreten. Diese ist im Anfangs- und mittleren Abschnitt unserer spirituellen Reise ebenfalls wichtiger als gegen Ende.
Große Weise haben gelegentlich Wind aus den Segeln der Ernährungs- und Körperreinigungsfanatiker, denen es noch an Erfahrung und Entwicklung mangelt, genommen, indem sie so weit gingen zu demonstrieren, dass sie fast alles essen, trinken und rauchen können, ohne dass dies irgendwelche negativen Auswirkungen auf sie hat, zumindest auf ihre spirituelle Verfassung. Wenn es um die Langlebigkeit des Körpers geht, dann ist dies eine andere Geschichte. Jene fortgeschrittenen Weise, die einen reinen Lebensstil beibehielten, blieben in der Regel länger im Körper als jene, die dies nicht taten.
Eine Schuhgröße ist nicht für alle passend. Das Gleiche trifft auf die Ernährung und die Shatkarmas zu. Dabei geht es vor allem darum, dass wir entlang des Wegs auf unserem spirituellen Pfad lernen, auf unsere innere Stille zu hören, so dass wir diese Methoden auf eine Weise nutzen, wie sie aus dem Inneren heraus angeregt wird. Unsere Neigungen werden sich sehr wahrscheinlich verändern, wenn unsere Reinigung und Öffnung im Laufe der Zeit voranschreitet, zunächst zu mehr Aufmerksamkeit auf die Reinigung und Shatkarmas und vielleicht schließlich zu weniger Aufmerksamkeit auf diese Dinge, wenn wir weitergehen zu den Herrlichkeiten von bleibender innerer Stille, ekstatischer Glückseligkeit und ausstrahlender göttlicher Liebe.
Dann wird uns die innere Stimme die meiste Zeit zuflüstern, dass wir unsere Freude überall in Form von Dienst an anderen ausstrahlen und ständig um Einsicht in unsere unendliche vereinigende Natur bemüht sein sollen. All unsere Yoga-Übungen sind Trittsteine, die diesem Zweck dienen. Alle Yoga-Techniken ob körperlich oder nicht körperlich, dienen unserer Reinigung und Öffnung mit dem Ziel der Erleuchtung.
Der Guru ist in dir.