Frage: Was ist Sünde? Ist das ein Zustand, den wir unmöglich ohne das Eingreifen von jemandem, der dazu ordiniert ist, überwinden können? Sind wir Sünder – oder sind wir göttlich? Ich bin verwirrt.
Antwort: Jesus sagt: „Was du säst, wirst du auch ernten.“ Im Osten drückt man den gleichen Sachverhalt mit dem einen Wort „Karma“ aus. Karma bedeutet Handlung und die Folgen daraus. Dazu zählen auch die Einprägungen, die verborgen bleiben und die wir über eine Vielzahl von Leben tief in uns angesammelt haben.
Mit Yoga-Übungen regen wir die natürliche Fähigkeit des Nervensystems an, die vielen in uns aufgespeicherten, verborgenen Karma-Einprägungen aufzulösen. Wir erfahren diese Einprägungen als Begrenzungen und Neigungen in unseren Gedanken, Gefühlen und Handlungen. Diese Einprägungen stellen Hindernisse für die Erfahrung der Wahrheit in uns dar. Reinigen wir uns davon, erkennen wir die göttliche Wahrheit in uns und werden von den uns bindenden Einflüssen infolge unserer vergangenen Handlungen befreit. Dann neigen wir auf natürliche Weise dazu, so zu handeln, dass wir keine uns in der Zukunft begrenzenden Blockaden mehr aufbauen und mehr und mehr als reine Kanäle göttlicher Liebe fungieren. Damit hat Yoga eine direkte Auswirkung auf den gesamten Prozess des Säens, Erntens und den verborgenen Einprägungen des Karma.
Damit ist Deine Frage bezüglich der Sünde unmittelbar noch nicht beantwortet. Ich wollte jedoch zuerst die praktischen Aspekte der Rolle, die Yoga dabei spielt, ausbreiten: Handlungen, Folgen der Handlungen und die Mittel zur Auflösung der bindenden Folgen von Handlungen. So passt sich Yoga darin ein.
Was ist Sünde? Schlägst Du das in einem Lexikon nach, wirst Du sehen, dass man sich dabei auf die negativen Aspekte von „Wie Du säst, wirst Du ernten“ und „Karma“ konzentriert.
Sünde wird als „Vergehen gegen die Religion oder Moralgesetze, ein Vergehen gegen Gott“ angesehen.
Säen und Ernten ist in Wirklichkeit eins; es ist ein Prozess der Natur. Bei Handlungen, die entweder hin zu oder weg von der Reinigung unseres Nervensystems und dem Ausdruck göttlicher Liebe führen, findet er einfach statt. Was wir hineinstecken, bekommen wir auch wieder zurück. Machen wir Yoga-Übungen und geben dem Öffnen vor dem Schließen den Vorzug, führt dies für uns in diesem Prozess zu einem großen Vorteil.
Sünde liegt ein bisschen außerhalb des natürlichen Prozesses des „wie du säst…“ und Karma. Es ist ein „Vergehen“. Ein Vergehen gegen wen? Sünde ist mit menschlichen Urteilen eingefärbt. Tust Du dies oder jenes, begehst Du eine Sünde. Du tust etwas Böses. Du vergehst dich an Gott. Wer entscheidet darüber? – Meist entscheiden wir selbst darüber – durch unsere Schuldgefühle oder Scham über unsere Handlungen. Vielleicht sind wir durch andere seit unserer Kindheit dazu konditioniert worden, so über uns zu fühlen. In unserem noch immer begrenzten Zustand des Bewusstseins haben wir die Tendenz, auf eine Art zu handeln, die uns bindet, und in unserem Bewusstsein (der göttlichen Moralität in uns) fühlen wir Gewissensbisse. Urteilen wir nicht über uns selbst, werden gewiss andere zur Stelle sein und das für uns übernehmen. Dadurch beanspruchen sie die Stelle eines Vermittlers zwischen uns und unserer Erlösung. Und damit hast Du die psychologische Struktur, die den größten Teil der organisierten Religionen der Welt zusammenhalten.
Die Vorstellung von Sünde ergibt sich aus der menschlichen Einfärbung eines Naturgesetzes. Sünde ist eine bewusste (oder unbewusste) Tatsachenverdrehung eines natürlichen Prozesses. Sie entsteht aus unseren eigenen Schuldgefühlen und/oder dem Urteil anderer. Zu starke Anhänglichkeit an die Vorstellung der Sünde kann zu einer Art Hoffnungslosigkeit und einer ungesunden Abhängigkeit von anderen für unsere Erlösung führen, da es in Wahrheit nur einen Ort gibt, wo wir jemals Erlösung finden werden: in uns selbst.
Von jemand anderem – ob ordiniert oder nicht – zu erwarten, dass er uns von unseren Sünden befreit, ist eine Formel für das Scheitern. Wahre Religion ist kein Geschäftsvorgang, bei dem wir etwas Bestimmtes geben und dafür etwas anderes erhalten. So funktioniert das nicht.
Vor einem höheren Ideal zu kapitulieren ist etwas anderes. Das ist eine persönliche Angelegenheit, die sich in unserem Herzen abspielt und ist nicht von der genauen Prüfung oder dem Urteil einer anderen Person abhängig. So lange wir loslassen und uns einem höheren Ideal in unserem Herzen unterstellen, weist unser Bhakti eine große reinigende Kraft auf und wird uns zu spirituellen Übungen drängen.
Wurden wir in der Vergangenheit erzogen, uns als hoffnungslose Sünder zu betrachten, sollten wir dies sinnvoller Weise sorgfältig überdenken. Glauben wir nämlich nicht an unsere eigene Göttlichkeit, haben wir es schwer, das nötige Verlangen für die Beendigung der Reise aufzubauen. Uns als Sünder zu betrachten, ist nur eine Etikettierung, die wir selbst vornehmen, während unsere Identität als göttliche Wesen ein beweisbarer menschlicher Zustand ist, den wir für uns einfordern können.
Heilige und Heilande tausender Jahre haben immer wieder bewiesen, welche Fähigkeiten wir besitzen, unsere menschliche Natur spirituell zu transformieren.
Schon wenn wir uns das erste Mal zur Meditation hinsetzen, kann das den illusionären Zauber, in dem uns das Sünden-Konzept gefangen hält, zerschlagen. Dies befreit uns nicht schon am ersten Tag völlig von allen Blockaden in uns, doch ist es der Beginn einer Straße, auf der wir reisen können und die uns mit zunehmender Reinigung und Öffnung unseres Nervensystems jeden Tag mehr göttliches Licht offenbart.
Der Guru ist in Dir