Es sollte niemanden überraschen, dass eine Ernährungsweise, die gut für unsere Gesundheit ist, uns auch bei unserer spirituellen Entwicklung unterstützen kann.
Kann das Einhalten einer bestimmten Diät eine spirituelle Haupt-Übung sein? Obwohl mache glauben, dass mit der Ernährung alle Dinge gelöst werden können und sich da mit einigen extremen Verhaltensweisen des Essens und Nicht-Essens sehr hineinsteigern, um das auch zu erreichen, müssen wir realistisch sein und sagen, dass die Ernährungsweise eine Hilfe für die spirituelle Entwicklung ist, jedoch keine Hauptursache. Wäre es ein wichtiges Mittel, dann hätten die uralten Yoga-Sutren sicher die Ernährungsweise als eines der Hauptglieder des Yoga herausgestellt und es würden viel mehr erleuchtete Diätenthusiasten herumlaufen.
In den Yoga Sutren ist die Ernährungsweise tatsächlich als ein Unterpunkt der Reinheit bei den Niyamas (was man tun soll) aufgeführt. Mit anderen Worten: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir unseren Weg zur Erleuchtung durch Essen (oder Fasten) bestreiten können. Doch wir können dann, wenn wir kraftvollere spirituelle Übungen ausführen wie tiefe Meditation, das Pranayama der Wirbelsäulenatmung, Asanas, Mudras, Bandhas usw. diese beträchtlich mit der richtigen Ernährungsweise unterstützen. Die Ernährungsweise kann dann eine weitere Ebene der Reinigung und Öffnung hinzufügen, und dadurch die Effektivität anderer Übungen verbessern und unseren allgemeinen Fortschritt beschleunigen.
Oft berichten jene, die tief meditieren und andere spirituelle Übungen ausführen, dass sich die Ernährungsgewohnheiten ganz von alleine mit der Zeit verändern und leichtere und nahrhaftere Kost bevorzugt wird. Das ist der Aufruf aus dem Inneren (vgl. Lektion 30). Erweitert sich unser Bewusstsein, werden wir uns auch mehr der Bedeutung einer gesunden Ernährung bewusst und es stellt sich damit ein natürlicher Drang ein, danach zu handeln. Und wenn wir den Drang nicht fühlen?
Gut, dann brauchen wir uns um diese Dinge nicht so viele Sorgen zu machen. Alles zu seiner Zeit. Wählt man in Bezug auf Ernährung oder Lebensstil einen zwanghaften Ansatz, wird das nicht zu bleibenden Ergebnissen führen. Es ist ziemlich sicher, dass eine aufgezwungene Ernährungsweise langfristig zum Scheitern verurteilt ist. Arbeite daran also aus dem Inneren heraus mit sinnvollen spirituellen Übungen. Die äußeren Gewohnheiten werden dem mit der Zeit ganz natürlich nachfolgen. »Suche zuerst das Reich Gottes. All der Rest wird dir hinzugegeben.«
Bleiben wir über Monate und Jahre bei unseren spirituellen Übungen, locken wir unser Nervensystem allmählich dahin, dass es sich zu höheren Ebenen des Funktionierens bewegt. Vieles, was diesen Umstand charakterisiert, ist in unserer Neurobiologie messbar. Einige der auftretenden Veränderungen sind auch direkt beobachtbar. In denen, die Yoga-Methoden praktizieren, findet ein komplexer Prozess der Reinigung und Öffnung statt.
Es gibt zwei Hauptaspekte unserer Reinigung und Öffnung. Jeder trägt seine eigene biologische Signatur.
– das Aufkommen innerer Stille: Eine bleibende innere Ruhe oder Stille, die jenseits unserer Gedanken, Gefühle und des Auf und Ab in unserem täglichen Leben liegt. Wir werden uns immer mehr bewusst, dass dies unser »Selbst« ist.
– das Aufkommen der ekstatischen Leitfähigkeit (Kundalini) im Körper: Empfindungen von beglückender Energie, die sich in uns bewegt und jeden Teil unseres neurobiologischen Funktionierens durchdringt. Wir lernen dies als den »ausstrahlenden Aspekt unseres Selbst« kennen.
Obwohl die Ernährungsweise kein Hauptgrund für diese Veränderungen in unserem inneren Funktionieren ist, leistet sie doch ihren Beitrag dazu.
Finden wir aufgrund täglicher Meditation zu mehr bleibender Stille in uns, werden wir natürlicherweise zu einer leichteren und nahrhafteren Ernährungsweise hingezogen.
In gleicher Weise werden sich unsere Vorlieben beim Essen ändern, sobald sich die mit der sich regenden Kundalini verbundenen neurologischen Veränderungen in uns einstellen. Des Weiteren können uns bestimmte Anpassungen in unserer Ernährungsweise dabei helfen, den Umgang mit einigen der übermäßigen Energiesymptome, die beim Fortschreiten unserer inneren Erfahrungen auftreten, zu erleichtern.
Der Kundalini-Prozess ist für seine vielen Symptome berühmt. Es gehören dazu Empfindungen der Hitze oder Kühle im Körper, Prickeln auf der Haut, aufwallende Gefühle, Zittern oder sonstige Regungen des Körpers, Visionen, gelegentliche Benommenheit oder Übelkeit usw. Manchmal kann da auch etwas Schmerz sein, wenn innere Energie (Prana) sich durch Bereiche bewegt, wo noch übrige Blockierungen in unserm Nervensystem liegen. All diese Symptome weichen schließlich viel höheren und vergnüglicheren Erfahrungen.
Abhängig vom Muster der inneren Blockierungen in unserem Nervensystem und dem Grad der Weisheit, den wir beim Selbstabstimmen unserer Übungen anwenden, werden wir vielleicht wenig im Sinne von unangenehmen Symptomen begegnen – dafür einfach nur stetig anwachsende Ekstase und Glückseligkeit, die aber ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringen können (z.B. Ablenkung von den stabilen Übungen). Auf jeden Fall wird jedoch ein fundiertes Wissen über Yoga-Übungen und die Methoden ihrer Regulierung sehr von Wert sein, wenn die Kundalini einmal aktiv wird. Für jene, die eine unkontrollierte Kundalini-Erweckung haben, ohne zu wissen, welche Zusammenhänge dahinter stecken, kann das zu einer sehr fordernden Erfahrung werden, die manchmal Jahre lang andauern kann.
Hat der Kundalini-Prozess in uns einmal angefangen, kann man ihn durch die Selbstabstimmung der Übungen so in den Griff bekommen, dass wir weiterhin gute Fortschritte machen und es uns dabei sehr gut geht. Wir sind hier die Protagonisten einer langfristigen Transformation, die letztendlich zu einem anhaltenden Zustand bleibender innerer Stille, ekstatischer Glückseligkeit und göttlicher Liebe wird. Dieser Zustand strahlt ganz natürlich von uns nach außen in alles, was wir im täglichen Leben tun.
Die Verdauung steht im Mittelpunkt des Kundalini-Prozesses und vieler der mit ihm verbundenen Symptome. Deshalb ist es nur logisch, wenn man annimmt, dass die Ernährungsweise eine Rolle spielt. Aber die Rolle der Ernährungsweise wird nicht immer gleich bleiben. Sie hängt davon ab, wo auf dem Pfad wir uns befinden. Um dies besser zu verstehen, wollen wir einmal den im Magen-Darm-Trakt auftretenden Prozess bei einer Person mit aktiver Kundalini genauer betrachten und sehen, welche Zusammenhänge hier mit der Ernährung bestehen.
Obwohl zur Funktion der Kundalini viele Aspekte gehören, sowohl physischer wie auch nicht-physischer Art, wollen wir uns hier auf die physischen konzentrieren, soweit wir damit eben gehen können. Zum Zwecke dieser Diskussion nehmen wir den Standpunkt ein, dass spirituelle Erfahrungen aufgrund von in unserem Körper auftretenden neurobiologischen Prozessen aufkommen. Man kann auch auf mehr mystische Weise darauf blicken, und daran ist nichts falsch.
Es ist immer derselbe Prozess, gleich wie wir ihn beschreiben. Betrachten wir die Wirkung der Ernährungsweise (und der Shatkarmas und Amaroli in folgenden Lektionen), kann es hilfreich sein, auf die Biologie zu blicken, soweit wir sie mit direkter Wahrnehmung nachverfolgen können. Zweifellos wird auch die moderne Wissenschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Neurobiologie der Kundalini viel genauer untersuchen. Dies ist das nächste große Eroberungsgebiet für die wissenschaftliche Forschung – die Bestimmung von Ursachen und Wirkungen der menschlichen spirituellen Transformation!
Herkömmlich wird Kundalini als die Erweckung einer riesigen latenten Energie in der Nähe der Wirbelsäulenbasis gedeutet, die dann die Wirbelsäule entlang zum Kopf nach oben steigt. Dort kommt es zu einer Vereinigung zwischen der aufsteigenden Energie und Stille. Dabei wird die Energie als feminin (Shakti) und die Stille als maskulin (Shiva) angesehen.
Sehen wir uns die experimentelle Neurobiologie von dem Allen an, kann man noch ein paar weitere Komponenten hinzufügen. Diesen liegt ein konsistenter Bezug zu den Metaphern vieler heiliger Schriften der Welt zugrunde (und dazu gehören auch die direkteren Beschreibungen, die man beim indischen Yoga und chinesischen Tao findet).
Ist aufgrund täglicher Übung der tiefen Meditation genügend innere Stille vorhanden und bringt man dazu noch den Atem und den Körper durch das Pranayama der Wirbelsäulenatmung, Asanas, Mudras, Bandhas und tantrischer Sexualmethoden in den Prozess mit ein, bemerken wir, dass drei Dinge auftreten.
1. Die sexuelle Energie weitet sich über die Beckenregion nach oben aus und ein Teil davon findet seinen Weg in den Magen-Darm-Trakt.
2. Im Magen-Darm-Trakt wird auf natürliche Weise Luft zurückgehalten.
3. Zwischen der Nahrung, sexuellen Essenzen und der Luft findet im Magen-Darm-Trakt eine Interaktion statt.
Die natürliche Kombination dieser drei Elemente im Verdauungssystem durch eine aufkommende höhere Form der Verdauung lässt im Magen-Darm-Trakt eine neue Substanz entstehen, die den gesamten Körper durchdringt. Ein großer Teil dieser Durchdringung erscheint, wenn die Substanz in den Wirbelsäulenkanal eintritt und durch den Brustraum zum Kopf hochsteigt. Der sehr durchdringenden und manchmal berauschenden Substanz, die im Magen-Darm-Trakt erzeugt wird, hat man viele Namen gegeben. Ein Name, der im Yoga gebräuchlich ist, lautet Soma.
Das Wort Soma bezeichnet auch eine halluzinogene Pflanze, über diese sprechen wir aber hier nicht. Im Taoismus bezeichnet man den Magen-Darm-Trakt, wenn er in die höhere Funktionsweise übergegangen ist, als Kessel. Das konnotiert die Alchemie, die darin auftritt — drei gewöhnliche Substanzen (sexuelle Essenz, Luft und Nahrung), die miteinander vermischt eine außergewöhnliche Substanz ergeben. Diese spielt eine Schlüsselrolle beim Prozess der menschlichen spirituellen Transformation.
Der Prozess geht im Kopf weiter und im Gehirn treten zusätzliche Verfeinerungen auf, die zu einer anderen, von den Nebenhöhlen abgesonderten Substanz, führen. Diese geht nach unten durch die inneren Nasengänge, in die Kehle und noch weiter nach unten wieder in den Magen-Darm-Trakt, wo sie an dem bereits beschriebenen Prozess teilnimmt. Diese Wiederaufbereitung feiner Substanzen führt zu einer noch veredelteren Verarbeitung im Magen-Darm-Trakt. Die Substanz, die vom Gehirn in den Magen-Darm-Trakt nach unten kommt, nennt man in der Yoga-Tradition Amrita (Nektar). Sie kann man manchmal als süßes Aroma in den Nasengängen und süßen Geschmack im Mund wahrnehmen.
Die übergreifende Erfahrung dieser Vereinigung und Transformation von Substanzen und der Kreislauf der sich daraus ergebenden Essenzen führt zu einem starken Fluss ekstatischen Vergnügens im ganzen Körper und der Ausstrahlung von Energie über den Körper hinaus. Deshalb sagt man auch von Menschen, die mit ihren spirituellen Übungen Fortschritte machen, dass sie eine Ausstrahlung haben. Da steht eine besondere Neurobiologie dahinter. Yogisch ausgedrückt zeigt die im ganzen Körper feststellbare Ausstrahlung ekstatischer Energie den Anstieg der geheimnisvollen Eigenschaft von Ojas an. Dies ist eine sehr fortgeschrittene Manifestation von Vitalität, die von anderen leicht wahrgenommen wird.
Beginnen wir zu verstehen, dass ein derartiger Prozess wirklich existiert und noch besser, beginnen wir Aspekte davon als Ergebnis unserer täglichen Übungen selbst zu erfahren, dann sind wir in der Lage, auf die Ernährungsweise aus einem völlig anderen Winkel zu blicken. Für uns bekommen dann auch die Shatkarmas (Reinigungstechniken) und Amaroli (Urintherapie) wachsende Relevanz. All diese Methoden zielen darauf ab, den gerade beschriebenen Prozess zu erweitern und zu optimieren.
Wie schon früher erwähnt, ist die Ernährungsweise keine Kernübung des Yoga, sehr wohl aber ein wichtiges unterstützendes Element. Sehen wir darauf auf diese Weise, dann erkennen wir, wie unsere Kooperation mit inneren Impulsen in Bezug auf die Ernährung den gesamten, auf der Straße zur Erleuchtung beteiligten Prozess verbessern kann.
Die oben beschriebene höhere Form der Verdauung kann im Magen-Darm-Trakt sehr viel Hitze erzeugen. Diese strahlt aus und erfüllt den gesamten Körper. Dies bezeichnet man manchmal mit dem Begriff des Kundalini-Feuers. Wenn dieses Feuer brennt, kann es von Vorteil sein, öfter schwerere Nahrung zu sich zu nehmen. Dann kann das Feuer (intensive Verdauungsaktivität) genutzt werden, die Substanzen in unserem Magen-Darm-Trakt auf eine reguliertere Weise aufzubrauchen, um damit mehr Soma herzustellen, anstatt uns von innen her zu braten.
Dieses Gefühl des Gebratenwerdens können wir manchmal haben, falls wir, wenn die Energie in uns flutet, zu leicht essen. Es ist auch möglich, die inneren Feuer und die damit verbundenen inneren Energieungleichgewichte durch die Anwendung der Ernährungsmethoden des Ayurveda zu löschen. Ayurveda berücksichtigt unsere körperliche Verfassung und inneren Energieflüsse und wie bestimmte Arten von Nahrung diese entweder verschlimmern oder befrieden können (vgl. Lektion 69).
Um es so einfach wie möglich zu halten, hören wir einfach auf das, was uns die innere Stimme in Bezug auf unsere Ernährung und auch zu anderen Aspekten unserer täglichen Aktivitäten mitteilt. Führen wir die tiefe Mediation getreulich jeden Tag aus, kann es sein, dass wir uns zu einer leichteren Kost hingezogen fühlen. Wird dann unsere Kundalini aktiv, kann es sein, dass wir manchmal zu schwerer Kost neigen und manchmal zu leichterer. Das hängt von den in uns auftretenden Energiedynamiken und dem in uns aktiven Prozess der Reinigung und Öffnung ab.
Wir lernen, besser zuzuhören, was uns die innere Stimme unserer Neurobiologie sagt, wenn wir auf der Straße zur Erleuchtung reisen.
Der Guru ist in dir.
[Anmerkung des Übersetzers: Die Tabellen stammen aus dem Buch „Ernährung, Shatkarmas und Amaroli“. Diejenigen, die das Hörbuch gekauft haben, sollen hier Zugang zu den Tabellen finden.)