Frage: Ich plage mich mit einem chronischen und hartnäckigen Gedankenmuster aus Beängstigung, Furcht und negativen Gedanken. Ich meditiere viel, mache viel Chi Gong und Yoga. Das hat mir zwar geholfen und es ist besser geworden. Doch habe ich es noch nicht geschafft, mich davon ganz zu befreien. Ich versuche die Meditation, die du vorgeschlagen hast. Gibt es irgendwelche Techniken in der Lektionsliste, die hilfreicher als andere sind, um mit diesem Problem fertig zu werden? Ich nehme mal an, dass die Meditation hier der Schlüssel ist.
Es gibt ja eine Menge Übungen, bei denen man immer bewusst sein soll, immer im Jetzt und das Bewusstsein auf ein Körperteil richten soll, wie die Bauchatmung und dergleichen, 24 Stunden am Tag. Gibt es bei den Lektionen der Fortgeschrittenen Yoga Übungen irgendeine vergleichbare Übung, die man versuchen kann, ständig auszuführen.
Antwort: Die allmähliche Kultivierung der inneren Stille schwächt die Tendenz ab, uns von Furcht beherrschen zu lassen. Mit der tiefen Meditation befindest du dich also in der richtigen Spur. Doch die Lösung bekommst du nicht über Nacht, wie du siehst. Du musst da schon etwas hartnäckig dabeibleiben und darfst keine Tage zählen. Wenn du aus den Lektionen eine nach der anderen der zusätzlichen Übungen hinzunimmst (das Pranayama der Wirbelsäulenatmung wäre das Nächste), hilft dir dies, den Fluss von reinem Glückseligkeitsbewusstsein in deinen Nerven zu erhöhen und dies verringert auch immer mehr die Macht, die die Furcht immer noch über dich hat. Das Ziel ist nicht, die Furcht völlig auszulöschen. Wir bewegen nur das Zentrum unserer Bewusstheit immer weiter über sie hinaus.
Was ist aber Furcht überhaupt? Es ist das Produkt einer tief verwurzelten Wahrnehmung, dass wir etwas verlieren – Besitz, unsere Gesundheit oder unser Leben. Werden wir jemals völlig frei von Furcht werden? Nein, ich glaube nicht. Dies ist eine natürliche biologische Funktion, die ja einen ganz bestimmten Zweck erfüllt – sie veranlasst uns dazu, auf eine Weise zu handeln, dass dies der Selbsterhaltung dient. Furcht ist einer der Wege, die die Natur zur Arterhaltung erschaffen hat.
Können wir uns von der Furcht nicht befreien, wie gehen wir dann am besten mit ihr um? Die Lösung besteht darin, unsere Fähigkeit immer mehr zu kultivieren, jenseits von ihr in reinem Glückseligkeitsbewusstsein zu leben. Dann können wir uns Furcht auf eine rationale Art nutzbar machen.
Kommt ein Lastwagen direkt auf uns zugerast, gehen wir aus dem Weg. So machen wir das. Werden wir händeringend herumsitzen, weil einige Rechnungen fällig werden und wir nicht genügend Geld haben? Nicht wenn wir in unserer inneren Stille gefestigt sind. Das Gefühl der Furcht wird immer noch da sein, doch werden wir auf mehr rationale Weise eine Lösung für das suchen, was uns herausfordert. Furcht wird also eine Stimme sein, die zu uns spricht: „Du solltest nun besser aktiv werden.“ Z.B. plagt mich die Furcht etwas, dass die FYÜ-Lektionen durch ein unglückliches Ereignis aus dem Netz verschwinden könnten. Was tue ich also? Ich kümmere mich um Möglichkeiten, Sicherungskopien anzulegen. So geht man rational mit Furcht um, oder?
Eine irrationale Furcht ist das Produkt eines Nervensystems, das sich im Ungleichgewicht befindet. Wir können damit geboren sein oder sie aufgrund unserer Lebensweise kultivieren. Oft trifft beides zu – das eine führt in einem Kreislauf von Ursachen und Wirkungen zum anderen, ein Verhalten, das man Leben für Leben mit sich herumschleppt. Mit Yoga kann man diesen Kreislauf durchbrechen. Tatsächlich kann man Furcht wie jede andere Emotion in reine Bhakti umwandeln. Furcht kann zu einem großen Freund auf dem spirituellen Pfad werden. Wir können unsere Reaktion darauf dahin gehend anpassen, dass wir, je mehr Furcht wir haben, umso mehr Ansporn verspüren, so zu handeln, dass wir uns in Richtung Erleuchtung weiterentwickeln. Dies ist die höchste Form des Umgangs mit Furcht. In Lektion 67 findest du mehr zur Bhakti-Methode.
Es wurde gesagt, dass ein Held ein Feigling ist, der gelernt hat, seine Furcht dazu zu nutzen, ihn zu großen Handlungen zu inspirieren. Wie jeder andere auch hast du diese riesige emotionale Energie, die man in etwas Großes umwandeln kann – sogar in die Erleuchtung. Du tust dies nun mit deinen Übungen, oder etwa nicht? Deine Furcht treibt dich an, dich auf einen sehr hohen Pfad zu begeben.
Was das ununterbrochene Ausführen von Übungen den ganzen Tag lang betrifft (Wiedererinnerung1 usw.), haben wir bei den Fortgeschrittenen Yoga Übungen einen Ausgleich zwischen den sitzenden Übungen und unseren normalen, täglichen Aktivitäten im Leben zum Ziel. Das bringt die Vereinigung mit reinem Glückseligkeitsbewusstsein tief in uns hervor und hat zur Folge, dass bei unseren sitzenden Übungen ekstatische Leitfähigkeit aufsteigt und wir danach in unsere täglichen Aktivitäten mit einem Geist gehen, Gutes in der Welt zu tun, was immer unsere Aufgabe oder unser Stand im Leben sein mag. Kultivieren wir innere Stille am Morgen, brauchen wir nicht mehr den ganzen Tag daran zu denken, wie wir dies in unser Nervensystem integrieren können. Wir gehen nur hin und sind aktiv. Das ist völlig ausreichend.
Die Wiedererinnerung ist etwas, das sich ganz natürlich einstellen wird, wenn sich unsere Wahrnehmung mit der Zeit langsam verändert. Im Ansatz der Fortgeschrittenen Yoga Übungen ist die Wiedererinnerung mehr eine Wirkung als eine Ursache. Es ist eine Erfahrung, die sich ganz natürlich in unserem Leben bemerkbar macht, wenn wir unsere täglichen sitzenden Übungen ausführen und danach hinausgehen und in der Welt sind, ohne uns auf die eine oder andere Weise auffällig zu verhalten. Wir gehen nur in die Stille, lassen alles los, gehen hinaus und handeln so, wie unser Herz es uns gebietet. Das ist alles. Der Rest geschieht automatisch. Das Nervensystem verändert sich infolge dieses Zyklus des In-die-Stille-Gehens und Wieder-Herauskommens mit der Zeit grundlegend. Wollen wir mehr tun, arbeiten wir am besten daran, unsere zweimal täglichen sitzenden Übungen richtig aufzubauen, indem wir die Prinzipien der Selbstabstimmung richtig anwenden. Dann wird unser Nervensystem durch die zunehmende innere Stille und Glückseligkeit verändert und wir integrieren diese Eigenschaften immer mehr in unsere normalen täglichen Aktivitäten. Unsere Aktivitäten werden zu einer Anbetung des Göttlichen in uns und überall um uns herum. Dies ist keine mühsame Übung. Dies ist Gottesdienst. Es ist das freudige und natürliche Ergebnis der tiefen Kultivierung des Göttlichen in unseren sitzenden Übungen jeden Tag.
Offensichtlich treffen wir jeden Tag viele Entscheidungen. Mit der Zeit werden unsere Entscheidungen durch eine innere Festigkeit, ekstatische Glückseligkeit und aufsteigende göttliche Liebe eingefärbt. Sogar unsere Ängste werden durchtränkt vom Göttlichen und wir handeln dementsprechend. So verändern sich die Dinge. Bleibe also in deinen Übungen locker und auch in deinem täglichen Leben. Zeige Toleranz auch gegenüber deinen negativen Emotionen. Fälle keine zu strikten Urteile über dich selbst. Dirigiere deine emotionale Energie nur sanft in Richtung Kultivierung deiner Yoga-Übungen. Alles wird gut werden. Bleibe nur auf Kurs mit deinen zweimal täglichen Übungen und der Rest ergibt sich ganz natürlich von alleine.
Ich wünsche dir allen Erfolg auf deiner weiteren spirituellen Reise. Viel Vergnügen!
Der Guru ist in dir.
[1]Die Wiedererinnerungstechnik
Diese Technik ist ein alter buddhistischer Verstandstrick, mit dem man versucht, die Problemlösungskraft des Gehirns anzuzapfen. Man setzt ihn ein, um ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu überwinden, das eine Person angesichts schwieriger Situationen lähmen kann. Man kann ihn auch bei der Lösung jedes schwierigen Problems einsetzen. Steht man vor einer Entscheidung oder vor der Aufgabe, ein Problem zu lösen, sagt man sich dabei, dass man sich an die Lösung erinnern will. Man kann zu sich sagen: Erinnere dich daran: Wie habe ich dieses Problem gelöst? Dies impft den unbewussten Verstand mit der Überzeugung, dass es eine Lösung gibt und dass die Antwort hier irgendwo sein muss, Dein Verstand antwortet auf diese Annahme, indem er sich auf die Suche macht. Unser Unterbewusstsein hat immer mehr Potenz, als wir glauben.