Frage 1: Da sich als Folge einer regelmäßigen langfristigen Praxis mit den Kernübungen der Fortgeschrittenen Yoga Übungen alle Zweifel bezüglich der „Wahrheit“ am Ende sehr wahrscheinlich durch Intuition klären werden, gibt es dann überhaupt eine Notwendigkeit, sich aktiv formal mit der „Selbst-Analyse“ zu beschäftigen?
Praktiziert man die Selbst-Analyse und wenn, wie du in deinen Schriften betonst, Selbst-Analyse nur effektiv ist, wenn sie „beziehungsvoll“ und nach der „Dämmerung des Zeugen“ ausgeführt wird, würde es da nicht besser sein, sie nach der tiefen Meditation und formell während des Samyama auszuführen? Ich verstehe, dass Fragen zur Selbst-Analyse auch jeder Zeit aufkommen können und dass man nicht darauf warten müssen sollte, bis man sich zu den Übungen hinsetzt, um sie anzugehen.
Antwort 1: Denkt ein ernsthaft Meditierender, der eine effektive tägliche Übung nutzt, nicht näher über Selbst-Analyse nach, dann geschieht sie trotzdem, denn es ist von der Wahrnehmung her natürlich, alle Objekte immer mehr vom Blickpunkt der aufkommenden inneren Stille (dem Zeugen) zu betrachten. Da erkennt man klar, dass kein Objekt der Wahrnehmung das Subjekt sein kann. Wer oder was ist dann das Subjekt? Kommt es zu dieser Art von Wahrnehmung, dann „bemerkt“ man und das ist eine automatische Analyse. Das Bemerken der Wahrnehmungsobjekte in der Stille ist genug, um den Prozess der nicht-dualen Erleuchtung voranzubringen. Das kann zur strukturierten Selbst-Analyse werden oder auch nicht. Das hängt von der Vorgeschichte und den Neigungen des Übenden ab.
Aus diesem Grund stellen wir in den FYÜ-Schriften keine besondere Art der Selbst-Analyse als „die Methode“ in den Vordergrund. Sobald der Zeuge einmal aufkommt, wird die Wahrnehmung beziehungsvoll (in Stille) und von dort wird sich der Zugang von Person zu Person unterscheiden. Dieser hängt dann vom Ishta (gewähltes Ideal) des Übenden und von der Resonanz ab, die man mit einer oder mehreren Herangehensweisen an die Selbst-Analyse oder auch ohne jede strukturierte Herangehensweise findet. Diese Bandbreite von Möglichkeiten der Selbst-Analyse wurde in Lektion 350 behandelt, als es um die verschiedenen Wege ging, die man nutzen kann, um über die Zeugen/Objekt-Beziehung zur direkten Erfahrung der Nicht-Dualität hinauszukommen.
Bezüglich der strukturierten Übung findest du in Lektion 351 einen einfachen und effektiven Weg, wie du dich mit strukturierter beziehungsvoller Selbst-Analyse als Teil deiner täglichen Samyama Praxis auseinandersetzen kannst, genau wie du das vorgeschlagen hast, ohne Durcheinander und Getue. Das ist ein guter Ort, um mit der Selbst-Analyse zu beginnen, wenn wir einmal gut in der Kern-Samyama-Übung eingerichtet sind. Das geht richtig zur Sache und lässt die grundlegendste Analyse: „Ich-Gedanke. Wer bin ich!?“, in die Stille los.
Mit der Zeit führt diese Praxis bei den täglichen Aktivitäten zu einem intuitiven Gespür für die beziehungsvolle Selbst-Analyse, ohne dass man eine Menge nicht-beziehungsvollen mentalen Ballast anhäuft, den man den ganzen Tag mit sich herumschleppen muss. Wir werden zur automatischen Nachforschung oder Analyse in Bewegung. Das ist Stille im Handeln, der nicht-duale Zustand.
Frage 2: Danke, ich habe gerade das Selbst-Analyse-Buch fürs erste Mal schnell durchgelesen. Es ist erstaunlich, wie „logisch“ das Ganze jetzt aussieht. Ich weiß nicht, wo dies sonst in unseren indischen heiligen Schriften so wie bei dir abgedeckt ist. Doch du hast da etwas Ausgezeichnetes geleistet, dass du geklärt hast, wie all die 8 Glieder des Yoga in den Übungen verbunden werden können. Wie konnten wir das übersehen?
Antwort 2: Die Fortgeschrittenen Yoga Übungen bieten einen frischen Blick auf altehrwürdige spirituelle Ansätze in allen Bereichen. Die traditionellen Grenzen und Beschränkungen werden damit aufgehoben. Jemand musste das einmal in die Hand nehmen. Warum nicht wir und warum nicht jetzt?
Graben wir tiefer in Jnana und Advaita-Lehren, finden wir, dass Meditation und Yoga immer als Vorbereitung auf Selbst-Analyse betrachtet wurden. Das findet man sowohl in den Lehren von Ramana Maharshi als auch bei Nisargadatta Maharaj, zwei Riesen des Jnana bzw. Advaita aus dem 20. Jahrhundert, auch wenn davon fast überhaupt nichts mehr in den Lehren ihrer vielen Nachfolger übriggeblieben ist.
Das war ein wenig wie ein Schattenspiel, das die großen Advaita-Lehrer spielten. Sie sprachen und schrieben über die kompromisslose Unbeweglichkeit der nicht-dualen Natur der Existenz und schauten gleichzeitig in die entgegengesetzte Richtung oder haben Übende explizit ermutigt, sich mit den systematischen Methoden des Yoga zu befassen. Dieser widersprüchliche Zugang hat viele Übende verwirrt und sie oft dazu missleitet zu glauben, dass sie den Worten über Nicht-Dualität „Taten folgen lassen“ müssen, bevor sie wirklich in der Lage dazu waren, dies zu tun. Das führt dann zu dem, was wir „nicht-beziehungsvolle Selbst-Analyse“ genannt haben. Es fehlt ihnen noch an bleibender innerer Stille (Zeuge) und das ist eine Formel für das Bauen von Luftschlössern aus Gedankenformen.
Auch wenn die Wahrheit der Verbundenheit von Yoga und Advaita immer Bestand hatte, wurde sie verdunkelt. Der Grund dafür war vielleicht, dass die Übungsmethoden auf beiden Seiten der dualen versus der nicht dualen Philosophiegrenze für einen Großteil der Leute nicht sehr effektiv war.
Die wenigen, die es schaffen, sich durch diesen widersprüchlichen Ansatz hindurchzuwinden, sind diejenigen, die ohnehin reif und bereit sind, vom Baum zu fallen. Dann lehren sie in der Regel von dieser Perspektive der Reife aus, und empfehlen nur wenige systematische Yoga Übungen, wenn überhaupt welche. Das geht an der großen Mehrheit der Menschen, die noch reif werden müssen, vorbei. Das ist im Wesentlichen eine Verneinung dessen, was ist, um die Perspektive des Lehrers zu übernehmen. Damit sind wir wieder beim sprichwörtlichen Kletterer, der sich nicht mehr daran erinnert, wie er auf den Gipfel gelangte (vgl. Lektion 84).
Die flexibleren Advaita Lehrer kommen da mit der Zeit darauf. Sie unterrichten schließlich irgendeine Form von Meditationsübungen, weil sie versuchen wollen, die Kluft zwischen der Mehrheit ihrer Schüler und dem Zustand der Reife (bleibende innere Stille) zu füllen, der die Voraussetzung für die nicht-duale Selbst-Analyse ist. Weniger flexible Advaita Lehrer hämmern nur immer weiter auf ihre Anhänger mit nicht-dualen Konzepten ein. Das begleiten sie manchmal mit Explosionen von Shaktipat Energie, was dann eine ziemlich chaotische Herangehensweise zur Folge hat.
Bei den Fortgeschrittenen Yoga Übungen geben wir den Prozess ganz in die Hände des Übenden. Dazu bieten wir zahlreiche Hilfsmittel und Richtlinien zur Selbstabstimmung an. Durch die Nutzung effektiver täglicher Übungen und dem einzigartigen experimentellen Pfad der Übungen erleben hier viele Menschen das natürliche Aufkommen der beziehungsvollen Selbst-Analyse, was zu Ergebnissen führt, die ziemlich fruchtbar sind. Stehen effektive Hilfsmittel zur Verfügung, wird jeder selbstständig die Lösung finden.. Die spirituelle Entfaltung auf dieser Grundlage ist etwas Reales, wie bereits viele bewiesen haben.
Und warum nicht? Yoga war schon immer ein integrierter erfahrungsbasierter (wissenschaftlicher) Ansatz. Es ist der widerspenstige Verstand, der darauf abzielte, das in Konzeptionalisierungen von geringem Wert zu zerschlagen. Yoga ist sehr klug, wenn es darum geht, uns vom mentalen Misch-Masch zur Reife und darüber hinaus zu führen.
Der Guru ist in dir.