Es ist gut, sich nochmals vor Augen zu halten, wie wir bei der Zusammenstellung einer selbstbestimmten Routine spiritueller Praktiken vorgehen. Tatsächlich gibt es da eine Reihe von Ansatzpunkten. Zweifellos haben viele der Leser bereits zu praktizieren begonnen und können auf ganz verschiedene spirituelle Vergangenheiten zurückblicken. Mit dem Aufbau einer Routine von Übungen kann man auch fast überall in den Acht Yoga Gliedern beginnen.
Heutzutage sind Yoga-Stellungen (Asanas) sehr weit verbreitet. Es gibt Millionen, die ihren Pfad spiritueller Übungen mit Yoga-Stellungen begonnen haben. Möglicherweise wurde diese Art von Yoga lediglich zum Zweck der Entspannung, von etwas Ruhe oder der körperlichen Fitness aufgegriffen. Trotzdem bedeutet dies den Eintritt in spirituelle Übungen, wie jeder weiß, der Yoga-Stellungen nur wenige Jahre praktiziert hat.
Vielleicht hat man mit spirituellen Übungen in Form von Gebeten und Gottesverehrung in der Religion begonnen, in die man hineingeboren wurde. Das ist ein Ausdruck unseres im Herzen gefühlten Wunsches „Gott zu kennen“. Das Erheben unseres Wunsches auf eine Ebene der Hingabe an unser gewähltes Ideal hat einen entscheidenden Anteil am spirituellen Pfad. Wunsch steht bei allen auf die eine oder andere Weise am Anfang. Ein Pfad ohne Wunsch ist überhaupt kein Pfad. Ein Wunsch nach Erkenntnis unseres höchsten Potentials muss sich allerdings nicht in einem religiösen Kontext abspielen. Andererseits ist es in Ordnung, wenn ein religiöser Kontext vorhanden ist. Die Yoga Methoden machen da keinen Unterschied. Die spirituelle Transformation des Menschen kann sich genausogut innerhalb eines religiösen Kontexts abspielen wie außerhalb.
Bis jetzt haben wir alle schon etwas getan, damit sich bezüglich unseres spirituellen Zustands etwas verändert. Nur dass du diese Lektionen liest, ist ein Hinweis darauf, dass du daran denkst, noch mehr zu tun. Nur was? Beim Ansatz der Fortgeschrittenen Yoga Übungen liegt uns die Effektivität am Herzen. Wir wollen bei den spirituellen Übungen vor allem die Beziehung zwischen Ursachen und Wirkungen optimieren. Dabei bleiben die Steuerhebel in den Händen des Übenden, wo sie auch hingehören. Ist der Übende (du) am Steuer, kann er die Übungsroutine Schritt für Schritt aufbauen und sie auf eine Weise steuern, dass ein Maximum an Fortschritt bei gleichzeitigem gutem Komfort und Sicherheit garantiert sind. Niemand anders kann für uns das Auto auf der Autobahn fahren. Wir selbst müssen das tun. Es ist eine lange Reise. Wir befinden uns auf einem Marathon, auf keinem Sprint und wir reisen Schritt für Schritt. Dies ist die Essenz eines grundlegenden Standardübungssystems.
Standardübungssystem
Beim FYÜ-Ansatz von Übungen beginnen wir mit der tiefen Meditation. Egal, wo wir in der Vergangenheit unsere Übungen begonnen haben mögen, allen, die sich dafür entscheiden, das Standardsystem der Fortgeschrittenen Yoga Übungen zu nutzen, empfehlen wir, die tiefe Meditation als Ausgangspunkt zu nutzen. Haben wir uns einmal in die zweimal tägliche tiefe Meditation gut eingewöhnt, dann kann die Hinzunahme von zusätzlichen Übungen in zeitlicher und struktureller Hinsicht entsprechend der individuellen Neigungen und Erfahrungen flexibel gehandhabt werden. Die Abfolge mit Vorschlägen für Zeit und Reihenfolge, wie man eine vollständige Praxisroutine durchführt, sieht ungefähr so aus:
• Asanas (10 Minuten, man erlernt sie irgendwann nach der tiefen Meditation und der Wirbelsäulenatmung)
• Das Pranayama der Wirbelsäulenatmung (10 Minuten, man erlernt es als zweites nach der tiefen Meditation)
• Kinnpumpe (2-3 Minuten, man lernt sie irgendwann nach der Wirbelsäulenatmung)• Wirbelsäulen-Bastrika (2-3 Minuten, man lernt es etwas nach der Wirbelsäulenatmung)
• Tiefe Meditation (20 Minuten, sie lernt man zuerst)
• Kern-Samyama (10 Minuten, man erlernt es nach der tiefen Meditation und der Wirbelsäulenatmung, sobald man bleibende innere Stille wahrnimmt)
• Yoni Mudra (2-3 Minuten, man erlernt es einige Zeit nach der Wirbelsäulenatmung)
• Kosmisches Samyama (5 Minuten, man erlernt es einige Zeit nach dem Kern-Samyama)• Ruhe (5 Minuten oder länger, ist Bestandteil einer jeden sitzenden Übung)
Andere Übungen wie Sambhavi Mudra, Mulabandha, Siddhasana und Kechari Mudra kann man gleichzeitig mit einigen der oben aufgelisteten Übungen machen, besonders beim Pranayama der Wirbelsäulenatmung. Das ist der beste Ort, damit anzufangen. Diese kann man je nach Vorliebe einige Zeit, nachdem wir Stabilität mit dem Pranayama der Wirbelsäulenatmung erreicht haben, erlernen. Später können Elemente dieser Übungen auf natürliche Weise zu anderen Zeiten während unserer Übungsroutine auftauchen und sogar während unserer täglichen Aktivitäten. Vergleiche dazu „automatisches Yoga“ unten.
Anmerkung: Führt man das Pranayama der Wirbelsäulenatmung, die Tiefe Meditation oder Samyama 5 bis 10 Minuten länger als die oben angegebenen Zeiten aus, oder wenn man irgendeine der energetischen Übungen über mehr als 5 Minuten ausweitet, kann dies zu unangenehmen Symptomen des Übertreibens führen. Dies läge jenseits des FYÜ-Standard-Systems (vgl. Lektion 384).
Schließlich, wenn unsere Übungen und ihre Resultate mit der Zeit vorankommen, können wir uns während unserer normalen täglichen Aktivitäten auf natürliche Weise zu weniger strukturierten Übungen außerhalb unserer täglichen Sitzungen hingezogen fühlen. Das kann so aussehen, dass wir auf hingebungsvolle Handlungen entsprechend unserer Vorlieben (Bhakti) und auf nicht-duale Selbst-Analyse Lust haben, oder dass wir ganz natürlich dazu neigen, uns dienstfertig zu engagieren (Karma Yoga). Nichts davon ist strukturiert und vieles davon entfließt auf natürliche Weise den Neigungen, die sich in uns bemerkbar machen. Als Ausnahme davon könnte man das Selbst-Analyse Sutra in die eigene strukturierte Kern-Samyama Übung (Lektion 351) einführen, was die spontane Selbst-Analyse und einen Impuls fördert, während der täglichen Aktivitäten zu dienen.
All diese Übungen nehmen wir nicht innerhalb einer Woche in Angriff, auch nicht innerhalb weniger Monate und nicht einmal im Laufe eines Jahres. Es nimmt Jahre in Anspruch, bis wir eine vollständige Praxisroutine aufgebaut haben. Je nach unseren Vorlieben, kann es auch sein, dass wir einige der angebotenen Übungen niemals nutzen. Es dauert zumindest Monate, bis man sich jede der aufgelisteten Praxiskategorien einverleibt hat. Innerhalb jeder Kategorie gibt es eine Vielzahl von Übungselementen, die man im Laufe der Zeit zur Anwendung bringen kann. Die Auflistung ist also vereinfacht und soll nur einen Überblick verschaffen. Detaillierte Anweisungen zu all den Übungen (Verfeinerungen, Variationen und Erweiterungen eingeschlossen) findet man in den vielen vorangehenden Lektionen.
Die tiefe Meditation und Samyama dienen in erster Linie der Kultivierung innerer Stille. Das Wirbelsäulen-Pranayama, Asanas, Mudras und Bandhas wirken hauptsächlich auf die Kultivierung der energetischen Seite unserer Neurobiologie, was zum Aufkommen ekstatischer Leitfähigkeit führt. Innere Stille und ekstatische Leitfähigkeit formen zusammen die beiden notwendigen Bausteine für die Erleuchtung. Es ist das Verschmelzen oder die Vermählung dieser beiden, was das Versprechen des Yoga (d.h. Vereinigung, ausgedrückt als Einheit oder Einssein), die Verwirklichung von Stille im Handeln im täglichen Leben erfüllt.
Die oben aufgelisteten sitzenden Übungen beschreiben eine kompakte zweimal tägliche Praxisroutine. Zusätzlich markiert unsere normale tägliche Aktivität ebenfalls einen Übungsteil, denn dies ist die Zeit, in der wir auf natürliche Weise das integrieren, was wir in unseren sitzenden Übungen gewonnen haben. Es ist eine Sache, innere Stille und ekstatische Leitfähigkeit während der Übungen zu kultivieren und eine andere, diese Eigenschaften zu stabilisieren, während wir den Geschäften unseres täglichen Lebens nachgehen. Es ist also sehr wichtig, ein aktives Leben beizubehalten.
Neben dem Engagement in täglichen Übungen und dem Aktivbleiben werden wir zusätzliche Methoden und Verhaltensweisen bemerken, die sich in unser Leben schleichen. Letztere beschleunigen unseren Fortschritt weiter. Wir werden feststellen, dass diese als natürliche Neigungen auftreten, sobald wir mehr bleibende innere Stille und natürliche ekstatische Ausstrahlung in unserem Leben entwickeln. Sie zählen gewöhnlicherweise im Rahmen der Acht Yoga-Glieder zu den Yamas und Niyamas. Diese können umfassen:
– Eine Abnahme schädigender Handlungen.
– Zunehmende Ehrenhaftigkeit in allen Handlungsweisen.
– Die Bewahrung und Kultivierung sexueller Energie.
– Eine leichtere, nahrhaftere Ernährungsweise.
– Einen Drang, sich mit innerer Reinigung des Körpers zu befassen.
– Spirituelles Studium und eine nicht-duale Selbst-Analyse.
– Ein intensiver Wunsch nach Gott/der Wahrheit.
– Eine größere Neigung, den Bedürfnissen anderer zu dienen.
– Eine größere Ausgeglichenheit und Zufriedenheit im Leben
.- Weniger Leiden, wie widerwärtig die Umstände auch immer sein mögen.
Das soll nicht heißen, dass all diese Dinge auf eine systematische Weise auftreten oder unternommen werden, oder dass sie sich alle auf einmal ereignen. Unsere eigenen Entscheidungen sind dafür verantwortlich, dass diese Dinge im Gleichschritt mit der Ausdehnung unseres Bewusstseins in unserem Leben mit größerer Wahrscheinlichkeit anzutreffen sind. Wir werden feststellen, dass sich diese Dinge auf natürliche Weise in unser Leben schleichen, während wir zwischen unseren täglichen Übungssitzungen unseren Aktivitäten nachgehen. Die natürliche Verbesserung unseres eigenen Erkennens beeinflusst unsere Entscheidungen.
Überall in den FYÜ-Schriften finden sich für diese zusätzlichen Verhaltensweisen und Hilfsmittel Anweisungen. Techniken für die Erhaltung und Kultivierung sexueller Energie (die Werkzeuge des Tantra, die man auf alle beliebigen Lebensstile – Heterosexualität, Homosexualität, Solo/Masturbation oder Zölibat anpassen kann), Prinzipien und Richtlinien der Ernährung (einschließlich Ernährungsvorschläge aus dem Ayurveda), Shatkarmas (Techniken zur inneren Reinigung), Amaroli (Urintherapie), Prinzipien und praktische Richtlinien für die Selbst-Analyse, die Methoden der Bhakti (der Einsatz von Wunsch und Hingabe), und die Prinzipien des Karma-Yoga (Handlungen im Dienst an unserem höchsten Ideal) werden zur Verfügung gestellt.
Es gibt also viele Bereiche unseres Lebens, auf die unsere täglichen spirituellen Übungen einen Einfluss ausüben – tatsächlich auf alle.
Welchen Gewinn ziehen wir daraus?
Frieden und Glück!
Und wir brauchen nur sehr wenig tun, um das hervorzubringen. Bringen wir einmal den Wunsch und die Entschlossenheit auf, uns für wenige Minuten am Morgen und Abend mit der tiefen Meditation zu beschäftigen, wird sich der Rest praktisch automatisch ergeben. Kommt einmal die Stille in uns auf und bewegt sie sich in uns, wird sich alles in uns bewegen und wir werden das tun, wozu wir neigen. Alle Hilfsmittel stehen für uns bereit, damit wir sie nach Gutdünken nutzen. So funktioniert selbstbestimmtes spirituelles Üben.
Selbstabstimmung
Mit einer zweimal täglichen Übungsroutine begeben wir uns auf die Schnellstraße zur Erleuchtung. Darauf geht es möglicherweise so schnell voran, dass es für uns wichtig ist, die Fertigkeit zu entwickeln, die täglich praktizierten Übungen den Erfordernissen entsprechend zu regulieren. Dazu ist es sinnvoll, je nach Übungsart die Länge mithilfe der Zeitdauer oder der Anzahl von Wiederholungen zu messen. Die Übungsdauer passen wir, falls notwendig, so an, dass wir einen reibungslosen und stetigen Fortschritt beibehalten, ohne dass übermäßige Unbequemlichkeiten aufgrund von zu vielen in unserem Nervensystem freigesetzten Blockierungen auftreten.
Diese Abstimmung der Übungen nennen wir Selbstabstimmung. Diese trägt genauso Übungscharakter. Sie ist sogar eine der wichtigsten Übungen aus dem gesamten FYÜ-Arsenal. Denn ohne eine gute Selbstabstimmung ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass wir auf der Straße zur Erleuchtung sehr weit vorankommen.
Ein Kernaspekt der Übungen besteht im weisen Umgang mit Erfahrungen, ob sie von der Art her alltäglich, dramatisch oder extrem sind. Dies ist ein Pfad des Vergnügens und wir sind berechtigt, uns an der Landschaft, der wir auf unserer Reise zur Erleuchtung begegnen, zu erfreuen. Allerdings ist die Landschaft nicht das, was uns auf unserem Pfad nach vorne bringt, unsere Übungen bringen uns vorwärts. Nach einem bewundernden Blick auf die vorbeiziehende Landschaft kehren wir locker und leicht zu der gerade praktizierten Übung zurück, wie wunderschön und Aufmerksamkeit heischend diese Landschaft auch sein mag. Kommt es zu spirituellen Erlebnissen, während wir unseren täglichen Aktivitäten nachgehen (und dazu kommt es sicherlich), können wir uns weiter an den Erfahrungen erfreuen oder auch zu dem zurückkehren, was immer wir gerade tun.
Werden die Erfahrungen extrem oder unangenehm, ob während der Übungen oder danach bei unseren täglichen Aktivitäten, ist es ratsam, unsere Übungen einzuschränken, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Wurden wir zum Beispiel von unserer Meditationspraxis fortgetragen und meditieren wir während unserer zweimal täglichen Routine zu lange, ist es möglich, dass es zu Kopfschmerzen oder Irritationen während unserer täglichen Aktivitäten kommt.
Falls wir nach den Übungen ohne eine ausreichende Ruhephase am Ende zu früh aufstehen, kann es genauso dazu kommen. Zwischen unseren Erfahrungen im täglichen Leben und unseren Übungen besteht ein unmittelbarer Ursachen-Wirkungszusammenhang. Begegnen wir Unannehmlichkeiten, dann ist es Zeit, die Übungen ausreichend zu verkürzen und sicherzustellen, dass wir uns am Ende die nötige Ruhe gönnen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Haben wir ganz normal praktiziert und stoßen wir dann auf Unausgeglichenheiten, dann können wir nur zeitweilig reduzieren. Verschwinden unsere unangenehmen Symptome, können wir zu unserem normalen Übungsniveau zurückkehren. Haben wir jedoch in extremem Maße übertrieben und leiden wir unter den Folgen, dann sollten wir unsere Übungszeiten auf Niveaus anpassen, die vernünftig sind, damit wir weiterhin ein normales Leben führen können, um darin die Vorteile der Übungen auf natürliche Weise in unsere tagtäglichen Aktivitäten zu integrieren. Dies bringt die besten langfristigen Ergebnisse hervor.
Falls wir zu wenig Zeit haben, dann brauchen wir unsere spirituelle Praxis nicht insgesamt über Bord zu werfen. Wir können unsere Routine so zusammenstutzen, dass sie in fast jedes Zeitfenster passt, auch wenn nur wenige Minuten zur Verfügung stehen. Vergleiche dazu die Richtlinien für das Einpassen einer täglichen Übungspraxis in einen geschäftigen Zeitplan in Lektion 209.
Wir haben immer die Wahl. Das spirituelle Leben ist nicht etwas, das uns vom gewöhnlichen Leben entführen muss. Ist dies der Fall, dann haben wir uns wahrscheinlich exzessiv spirituell verausgabt, entweder vor Kurzem oder irgendwann in der Vergangenheit und die Einrichtung einer stabilen Routine von Übungen kann dies korrigieren. Andererseits braucht man seine Übungen aufgrund eines geschäftigen Zeitplans nicht völlig auszuquetschen. Wo ein Wille ist, da ist ein Weg.
Das spirituelle Leben ist etwas, das jeder auf selbständige Weise kultivieren kann, um damit seine Aktivitäten im alltäglichen Leben zu einer Erfüllung zu bringen, wie immer diese Aktivitäten aussehen mögen. Es geht hier nicht um alles oder nichts. Der Mittelweg ist der von Weisheit geprägte Weg. Es steht uns frei, unsere aufkommenden spirituellen Erfahrungen auf eine Weise zu leben, die mit unseren Notwendigkeiten vereinbar ist. Das ist unser Leben, unsere Reise und unsere Erleuchtung. Wir brauchen niemand anders zu werden als unser SELBST.
Automatischer Yoga
Die Yoga-Methoden wurden die Jahrhunderte hindurch von den natürlichen Fähigkeiten für die spirituelle Entfaltung, die jedem menschlichen Nervensystem inhärent sind, abgeleitet. Yoga bestimmt diese uns innewohnenden Fähigkeiten nicht. Sie optimiert ihre Anwendung.
Lassen wir uns auf einen Pfad mit täglichen Übungen ein, wird es für uns nicht ungewöhnlich sein, dass wir für unsere inneren Fähigkeiten der Reinigung und Öffnung verschiedene Ausdrucksarten erfahren. Wir stimulieren die spirituelle Neurobiologie. Deshalb ist es natürlich, dass es darauf irgendeine Reaktion gibt. Letztendlich wird die Reaktion weit gefächert sein. Denn die Verbundenheit im Yoga existiert zwischen jedem Organ, Nerv und jeder Zelle in unserem Körper. Durch eine systematische Stimulierung in täglichen Übungen werden die Verbundenheiten aktiviert und es kommt zu Bewegung.
Die Bewegung mag sich in Form von zunehmendem Interesse an allen spirituellen Dingen zeigen, einem Wunsch nach Studium und darin, mehr zu tun, um unseren Fortschritt auf unserem spirituellen Pfad zu verbessern. Er kann sich genauso in der Form eines inneren ekstatischen Energieflusses oder anderen energetischen Symptomen einstellen.
Die Bewegung kann manchmal auch ganz buchstäblich auftreten, z.B. in Form von körperlichen Bewegungen und Stellungen, die sich automatisch während unserer regulären Übungsroutine und beizeiten außerhalb von Übungen einstellen können. Diese körperlichen Manifestationen von Yoga-Verbundenheit in uns bezeichnen wir als automatischen Yoga.
Schnelles Atmen (Bastrika) oder eine Verlangsamung oder Anhalten des Atems (Kumbhaka), ein nach vorn, nach hinten und rundherumgehen des Kopfes (Formen von Jalandhara), ein nach vorne und unten Gehen des Oberkörpers während der sitzenden Übungen (Yoga Mudra) oder eine subtile Integration anderer Mudras und Bandhas in eine einzige ganzheitliche ekstatische innere Umarmung (Ganzkörper-Mudra) sind einige Symptome des automatischen Yoga. Unter Umständen erfahren wir während oder nach den sitzenden Übungen auch andere spontane sichtbare Mudras oder Bandhas, Schwingungen im Körper, schnelle Bewegungen der Beine oder Arme, das Vokalisieren verschiedener Laute und viele andere Dinge. Vielleicht kommt es auch zu überhaupt nichts davon – nur zu immer mehr innerer Stille, Energie und Glück, das sich im täglichen Leben einstellt.
Jene, die Erfahrungen mit automatischem Yoga machen, sind nicht notwendigerweise fortgeschrittener oder begabter als jene, die Derartiges nicht erfahren. Automatischer Yoga ist Teil des Prozesses innerer Reinigung und Öffnung, der als ein Ergebnis von Yoga-Übungen zu Tage tritt und nichts mehr. Bei einigen wird das ausgeprägter auftreten als bei anderen. Wer sich nicht überall schüttelt, reinigt und öffnet sich innerlich auf Wegen, die für die in seinem Nervensystem vorhandene einzigartige Matrix von Blockierungen genau das Richtige sind. Einige reinigen sich durch das Studium heiliger Schriften, einige werden durch ihre zunehmende Hingabe gereinigt und andere durch Empfindungen, die ihr inneres Göttliches zum Ausdruck bringen. Wieder andere reinigen sich durch körperliche Bewegungen. Was immer für Symptome auftreten oder fehlen, alle werden durch die systematische Anwendung von täglichen Yoga-Übungen gereinigt und geöffnet.
Wenn es während unserer Übungen oder außerhalb dieser zu Regungen des Körpers oder zu anderen Symptomen kommt, was sollten wir dann tun? Während der Übungen gilt dasselbe wie bei jedem Gedanken, jeder Vision oder Empfindung, die auftreten: Merken wir, dass unsere Aufmerksamkeit von den Übungen, die wir gerade machen, abgedriftet ist, kehren wir locker und leicht zur Übung zurück. Praktizieren wir die tiefe Meditation, kommen wir locker und leicht zum Mantra zurück. Üben wir das Pranayama der Wirbelsäulenatmung, kehren wir genauso locker und leicht zum Verfolgen des Atems zwischen Wurzel und Stirn zurück. Machen wir gerade Asanas, dann favorisieren wir locker und leicht die Stellung, die wir gerade einnehmen.
Wird der automatische Yoga überwältigend, können wir mit unserer Übung für einige Minuten pausieren und unsere Aufmerksamkeit locker und leicht bei der Empfindung verweilen lassen, die wir gerade spüren. Das beruhigt gewöhnlicherweise die Energie. Dann können wir zu unserer Übung zurückkehren. Bleiben die körperlichen Symptome weiterhin intensiv, können wir uns hinlegen und für eine Weile ausruhen.
Alle Reinigung geht vorüber, sobald es zu Öffnungen kommt und alle Symptome von Energie-Bewegungen werden sich mit der Zeit legen, sobald unser Nervensystem zu einem reineren Leiter der riesigen inneren Energien wird, die wir mit unseren Yoga-Übungen erwecken. Automatischer Yoga während der normalen täglichen Aktivitäten ist zwar weniger üblich, trotzdem kann es manchmal zu ihm kommen. In diesem Fall gilt dasselbe wie bei allen anderen spirituellen Erfahrungen, die wir durchleben. Wir können die Erfahrungen zulassen, während wir sie ohne übermäßige Erwartungen, Teilnahme und Urteile beobachten. Wir können in dem Bewusstsein, dass alles mit rechten Dingen zugeht, mit unseren täglichen Aktivitäten weitermachen. Mit der Zeit glätten sich all diese Symptome. Sie werden zu einem Synonym für den göttlichen Fluss unseres Lebens. Das hat viel mit unserer Öffnung und Akzeptanz unseres göttlichen Zustands zu tun. Wir haben stets die Wahl. Automatischer Yoga kann uns nur dominieren, wenn wir ihm mit Furcht begegnen.
In einigen Übungssystemen gibt es bestimmte Zeiten, in denen das Auftreten des automatischen Yoga in Form von körperlichen Bewegungen als Teil der Übung erlaubt sein kann. Im FYÜ-Standardübungssystem kann dies während Samyama wahrscheinlicher sein, wenn Stille mehr dazu neigt, uns körperlich in Bewegung zu bringen. Unwahrscheinlicher ist es während anderer sitzender Übungen, in denen wir nicht dagegen ankämpfen, dass unser Körper hin- und herwiegt und andere gelegentliche spontane Bewegungen macht, die während dem normalen Verlauf unserer Übungen erscheinen können. Das bedeutet nicht, dass wir uns von unserer Übung entfernen, um unsere ganze Aufmerksamkeit auf den automatischen Yoga zu richten. So etwas könnte sich als kontraproduktiv erweisen, weil es zum Übertreiben führt, besonders mit Veränderungen in der Atmung und dem Anhalten des Atems.
Man sollte stets daran denken, dass der automatische Yoga keine Rücksicht darauf nimmt, dass unsere Fähigkeit der Reinigung und Öffnung innerhalb bestimmter Zeitperioden bestimmten Beschränkungen unterliegt. Vielmehr ist der automatische Yoga ein Impuls, jetzt im Augenblick alles auf einmal zu haben. Dies ist jedoch ohne eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass man sich extremen Unannehmlichkeiten unterzieht und dann nicht mehr in der Lage ist, für einige Zeit mit den Übungen weiterzumachen, unmöglich. Im Yoga ist es immer am besten, dem gesunden Menschenverstand das letzte Wort zu geben, besonders wenn sich ein Impuls regt, der uns zu Extremen verführt. Deshalb gewähren wir jederzeit unserer vorbestimmten strukturierten Routine mit Übungen den Vorrang, was immer kommen mag. Dann können wir sicher sein, dass wir einen guten Fortschritt mit den geringsten Beeinträchtigungen hinlegen. So kommt unser Prozess der inneren Reinigung und Öffnung weiter voran. Wir favorisieren immer locker und leicht die Übung gegenüber den Erfahrungen.
Kommt es zu einigen Aufwallungen, Beugungen, ruckartigen Bewegungen oder ekstatischen inneren Liebkosungen entlang des Wegs, ist das genauso normal wie deren Abwesenheit. Das ist alles Teil unserer natürlichen Entfaltung.
Die Gefahren, die mit dem Erzwingen von Übungen einhergehen
Jeder hat in seinem Leben das ein oder andere Mal den Drang verspürt, etwas „durchzuziehen“, Gas zu geben, um ein Ziel zu erreichen. In vielen Feldern menschlichen Bestrebens wird es als eine Tugend angesehen, diesem Impuls des sprichwörtlichen Wettlaufs zur Ziellinie, wo immer wir uns engagieren, nachzugeben. Das ist das Zeug, aus dem Helden gemacht sind.
Doch nicht im Yoga. Hier ist der Held derjenige, der in der Lage ist, in Übungen Verzweiflungshandlungen zu lassen und dem natürlichen Prozess der Reinigung und Öffnung zu erlauben, mit der geringsten Störung aufzutreten.
Das Erzwingen von Yoga-Übungen führt zu übermäßigen Reinigungssymptomen, die mit Unannehmlichkeiten einhergehen. War das Erzwingen extrem, besonders wenn man zu sehr mit der Inangriffnahme von fortgeschrittenen Übungen vorausgeeilt ist, dann können die Unannehmlichkeiten sehr ausgeprägt sein – bis zu dem Punkt, dass man mit dem Praktizieren aufhören muss.
Symptome des Übertreibens beim Üben sind die Folge der übermäßigen Reinigung im Nervensystem. Sie stehen oft mit einer vorzeitigen Kundalini-Erweckung in Verbindung. Die Symptome können mental, emotional, physisch oder eine Kombination aus diesen sein. Kundalini, die Quelle großer Ekstase in uns, kann genauso große Unannehmlichkeiten mit sich bringen, wenn man nicht achtsam genug vorgeht. Die Betrachtung von Kundalini, ihrer Symptome des Übertreibens und dazugehöriger Gegenmittel ist ein komplexes Untersuchungsfeld, das in den Lektionen ausführlich behandelt wird. Werden Yoga Übungen in logischer Reihenfolge und mit vorsichtiger Selbstabstimmung angewandt, dann kann ein Zuviel des Guten und die mit einer vorzeitigen Kundalini-Erweckung einhergehende Unannehmlichkeit weitgehend vermieden werden.
Machen sich Symptome von inneren Energieungleichgewichten zu stark bemerkbar, dann sind besondere Maßnahmen notwendig, damit man sich wieder erholt, bevor die spirituelle Reise weitergehen kann. So kann ein Erzwingen unserer Übungen zu einer signifikanten Verlangsamung unseres spirituellen Fortschritts führen, wobei wir die vermeidbaren Unannehmlichkeiten noch ganz unberücksichtigt lassen. Während wir uns vom Übertreiben erholen, läuft die Uhr weiter.
In manchen Fällen, wenn man bei den Übungen erzwingt und zu viel macht, führt dies nicht zu sofortigen unbequemen Symptomen. Allerdings besteht auch die Möglichkeit von verzögerten Reaktionen, die ziemlich stark ausfallen können. Dies gilt besonders beim Pranayama und Methoden des Atemanhaltens (Kumbhaka). Tatsächlich können die Symptome beim Übertreiben zunächst angenehm sein und den Übenden dazu inspirieren, noch mehr zu übertreiben. Und dann plötzlich …
Deshalb ist es sehr wichtig für uns, dass wir uns eine stabile Routine mit Übungen angewöhnen, die wir langfristig aufrecht erhalten können, und die wir in kleinen Schritten von Zeit zu Zeit erweitern, wenn wir die Gewissheit haben, dass wir dazu bereit sind. Diese maßvolle Herangehensweise ist der schnellste und verlässlichste Weg, den spirituellen Fortschritt zu kultivieren.
Fahren wir auf einer kurvenreichen Bergstraße mit unserem Auto zu schnell und stürzen über die Klippe, werden wir es schwer haben, unser Ziel rechtzeitig zu erreichen. Sind wir andererseits vorsichtig, steuern das Auto geschickt mit sicherer Geschwindigkeit und bremsen wir ab, sobald es durch die holprigen Abschnitte geht, dann erreichen wir unser Ziel mit Sicherheit zur rechten Zeit.
Erdung zum Zweck höherer Stabilität
Haben wir bei den Übungen ein bisschen übertrieben, werden wir erkennen, dass wir unsere Übungszeiten reduzieren müssen, bis die Ungleichgewichte unserer inneren Energien aufgelöst sind. Eine wichtige Rolle dabei spielt unsere tägliche Aktivität.
Auch wenn wir uns eine stabile Routine mit sitzenden Übungen angeeignet haben, ist unsere tägliche Aktivität sehr wichtig. Die innere Stille, die wir in der tiefen Meditation kultivieren und das Erwachen der inneren Energien, das wir mit dem Pranayama der Wirbelsäulenatmung und anderen Übungen stimulieren, muss durch regelmäßige tägliche Aktivitäten stabilisiert werden. Dies ist sehr wichtig, damit wir diese inneren spirituellen Eigenschaften in unser tägliches Leben integrieren können. Für die innere Stille und für die inneren Energien ist es natürlich, dass sie einen äußeren Ausdruck in der Welt suchen. Was immer wir während des Tages zwischen unseren Übungen tun, wird zu diesem Pfad werden. Deshalb ist es unerlässlich, dass wir ein aktives Leben beibehalten, wie es unseren eigenen Neigungen entspricht. Dann werden unsere inneren Eigenschaften in allem, was wir tun, zunehmend gefestigt. Daraus erwächst uns Friede, Kreativität und Energie in allen Aspekten unseres täglichen Lebens.
Deshalb ist Erdung etwas Fundamentales bei allen spirituellen Übungen, auch wenn wir das beim Verfolgen unserer normalen Aktivitäten nicht so bezeichnen.
Kommt es aufgrund des Übertreibens in unseren Yoga-Übungen oder aus anderen Gründen zu einem Überschuss von innerer Energie, ist es weise, unsere Übungen zeitweise zurückzuschrauben und erdende Aktivitäten zu intensivieren. Das kann bedeuten, dass man sich regelmäßig körperlich betätigt, mehr Engagement in sozialen Einsätzen aufbringt, Aufgaben um das Haus herum erledigt, den Garten umgräbt, täglich eine Tai Chi Routine macht, schwerer Kost zu sich nimmt – was auch immer nötig sein mag, um uns zu erden. Während solcher Zeiten wird es weise sein, sich weniger mit spiritueller Literatur, Selbst-Analyse und hingebungsvollen Aktivitäten zu beschäftigen. Denn auch diese können unsere inneren Energien zu stark stimulieren.
All dies sind nur zeitweise Maßnahmen, bis wir unser Gleichgewicht im täglichen Leben wieder hergestellt haben. Ist das erreicht, können wir zu unserer alten Übungsform zurückkehren und unsere täglichen Aktivitäten an das anpassen, was die Beibehaltung eines stetigen langfristigen Fortschritts mit Bequemlichkeit und Sicherheit erfordert.
Der Guru ist in dir.