Es ist ein Paradox, dass wir über verschiedene Stile der Selbst-Analyse oder Selbst-Erforschung reden können, obwohl dem allem in Wirklichkeit nur ein Vorgang zugrunde liegt – die Identifikation der uns angeborenen Bewusstheit mit den Objekten, die wir als Denken, Fühlen und Wahrnehmen der Welt in uns und um uns herum erfahren. Dennoch gibt es viele Stile der Selbst-Analyse, weil es so viele Wege gibt, auf denen uns unser Verstand in die Erfahrungen von Person oder Ego verwickeln kann.
Selbst-Analyse kann so einfach sein, wie sich die Frage zu stellen: »Wer bin ich?«, und diese in die Stille loszulassen. Tun wir das aufrichtig, wird sich die Wahrheit mit der Zeit einstellen. Das ist einfach. Andererseits kann es auch so komplex sein wie das ständige Zerlegen der endlosen Ausdrucksweisen unseres Verstandes, wie sie im täglichen Leben auftauchen oder wie das Beobachten der Nicht-Realität der Geschichten, die andauernd gesponnen werden, um eine Identität in dieser Welt von Zeit und Raum zu schaffen. Ist dies die Wahrheit von dem, was wir sind?
Ob wir eine einfache Herangehensweise wählen oder eine komplizierte, am Ende geht es nur um eines: Sind wir bewusst? Sind wir bewusst und beobachten wir, was hinter und jenseits der Struktur liegt, die unser Verstand in diesem Augenblick erzeugt? Sind wir das, und wenn auch nur ein wenig, werden wir im Augenblick sein und ein natürliches Glück ausstrahlen, anstatt uns in einer imaginären Vergangenheit oder Zukunft zu verlieren. Und falls nicht, dann drehen wir so lange wir uns mit den Konstrukten unseres Verstandes identifizieren und dem Frieden ausweichen, der uns immer im Augenblick zugänglich ist, weiter das Hamsterrad.
Im Augenblick zu sein, bedeutet, niemand und jeder zu sein. Der Verstand weiß nicht, was er damit machen soll, außer mehr Strukturen oder Geschichten darum herumzubauen, und dann sind wir wieder in der Illusion von Zeit verloren. Doch man kann den Verstand transzendieren und ihn so transformieren, dass er nicht mehr Herr, sondern Diener ist. Die Wahrheit wird sich durchsetzen. Dies im Hinterkopf behaltend wollen wir also einige Stile der Selbst-Analyse auflisten und beobachten, wie jeder oder alle davon uns helfen können, die Dinge zu entwirren, sodass eine ständige Erkenntnis dessen, wer wir in der Gegenwart sind, offenbart wird:
1. Fragen
– Ultimative Fragen wie: Wer bin ich? Was tue ich hier?
– Praktische Fragen wie: Ist meine Geschichte wahr? Sind meine augenblicklichen Reaktionen wahrheitsgemäß?
2. Affirmationen:
– Ultimative Affirmationen wie: Ich bin DAS. Du bist DAS. Alles dies ist DAS.
– Praktische Affirmationen wie: Gott ist mit mir. Ich werde diese Krise überstehen.
3. Unterscheidungen
– Ultimative Unterscheidungen wie: Nichts ist real. Das Ego-Selbst ist falsch. Alles ist leere Bewusstheit.
– Praktische Unterscheidungen wie: Dieses Ereignis oder Ding ist nicht real. Nicht dies, nicht das (neti, neti).
4. Erlauben:
– Zulassen der ultimativen Unbequemlichkeit wie: Das Fühlen des Schmerzes der Welt, ohne zu urteilen.
– Zulassen der lokalen Unbequemlichkeit wie: Fühlen des Schmerzes in meinem Körper/Verstand ohne zu urteilen.
5. Freude (ohne Anhaftung):
– Ultimative Freude wie: Das Gefühl der Einheit von Allem. Loslassen in DAS.
– Lokale Freude wie: Das Gefühl der ekstatischen Glückseligkeit des Körpers. Sich am ausstrahlenden Herz erfreuen.
Wir könnten noch mehr Beispiele und Variationen von Stilen anführen, doch du hast die Idee verstanden. Viele Bände sind über die Stile der Selbst-Analyse geschrieben worden. Es gibt so viele Ansätze, wie es spirituelle Lehrer und Übende gibt. Zweifellos sind dir einige der oben aufgelisteten bereits begegnet und vielleicht hast du ja auch schon einige davon »geübt«. Nach einiger anfänglicher Inspiration hat das bei dir vielleicht zu einem Gefühl der Frustration geführt? Vielleicht versuchst du es noch einmal mit ihnen? Werden sie jetzt bessere Ergebnisse liefern oder wird der Versand möglicherweise wieder nur mit sich selbst spielen?
Die Frage ist: Wer wendet diese Stile der Selbst-Analyse an? Ist es jemand namens Willi oder Susi, der die Fragen stellt, dann ist das alles nicht-beziehungsvoll (nicht auf dem Zeugen basierend). Dies führt dann zu dem Gefühl des Steckenbleibens – der Verstand forscht über den Verstand nach. Wenn es dieser Mann, diese Frau, ein Fleischer, ein Bäcker oder dieser Kerzenmacher ist, werden diese alle zu Enttäuschungen führen. Es wird da eine Kluft herrschen …
Wer kann diese Dinge dann nutzen, um einen praktischen Gewinn daraus zu ziehen? – Der Zeuge, die bedingungslose Bewusstheit, die du jenseits aller Etikette bist. Der Erfahrende, der jenseits aller Definitionen von »was wir sind« existiert. Bedingungslose Bewusstheit. Bleibende innere Stille. Der Zeuge.
Es ist behauptet worden, dass ein Analysieren ohne Nutzung irgendwelcher anderer Mittel den Zeugen offenbaren würde. Durch die einfache Handlung des Beobachtens der Identifikation des Bewusstseins im Verstand als unwahres »Selbst« werde der Zeuge hervorgebracht. Vielleicht, doch wenn es wirklich so einfach wäre, würden uns dann heute so viel Ignoranz und Leiden auf der Welt begegnen? So viele streben danach, über das alles hinauszuwachsen. Es ist offensichtlich, dass da eine Kluft besteht, irgendetwas, das zwischen der nicht-beziehungsvollen und der beziehungsvollen Selbst-Analyse steht. Es ist eine Gewohnheit, eine tief eingefurchte Gewohnheit, die über unser bewusstes Denken hinausgeht – die verborgene Neigung des Verstandes, eine Trennung in allem zu erzeugen, was er tut – auch noch in seiner eigenen Selbst-Analyse. Man hat das auch als eingebaute Blockierung bzw. Unreinheit in unserem Nervensystem bezeichnet. Wie kommen wir also über das Steckenbleiben bei der Analyse, wie über das Steckenbleiben in den Affirmationen, wie über das Steckenbleiben bei der Unterscheidung, das Steckenbleiben beim Erlauben, das Steckenbleiben beim Erfreuen hinaus? Wie bewegen wir uns über das Steckenbleiben in den funktionsgestörten Gewohnheiten des unterbewussten Verstandes hinaus?
Wenn du denkst, das wird wieder eine Verkaufspräsentation für die tägliche tiefe Meditation, dann hast du recht. Doch diese Trommel haben wir in vorhergehenden Lektionen zur Selbst-Analyse schon öfter gerührt, deshalb wollen wir annehmen, dass du dich bereits darum kümmerst und bleibende innere Stille (den Zeugen) täglich kultivierst. Wie geht es dann weiter? Wie wissen wir, ob wir für etwas effektive Selbst-Analyse bereit sind? Wie können wir anfangen, diese Kluft zu überwinden?
Interessanterweise ist die Art, wie sich die Selbst-Analyse anfühlt ein Indikator dafür, wie viel Arbeit wir noch in die Kultivierung des Zeugen durch andere Mittel stecken müssen. Besitzen wir einmal etwas bleibende Eigenschaft des Zeugen, werden wir mehr Zugkraft in allen Gebieten der Selbst-Analyse feststellen. Selbst-Analyse wird einfacher und das Leben besser. Welche Stile der Selbst-Analyse wir nutzen, hängt von unseren Neigungen ab und diese werden vom Lebensstil beeinflusst, den wir pflegen. Unsere täglichen Erfahrungen werden bestimmend dafür sein, wo unsere Nachforschungen, Affirmationen, Unterscheidungen etc. auftreten. Die Möglichkeiten sind endlos, doch die zugrunde liegenden Prinzipien sind dieselben. Widme dich also den Grundlagen und der Rest wird sich ergeben.
Einer der ersten Stellen, an denen wir merken, dass unsere Fähigkeit, Selbst-Analyse zu betreiben, effektiv ist, liegt in der Art des Umgangs mit aufkommenden Körperempfindungen. Aufgrund der Verbindung von Körper und Geist spiegelt sich alles Denken und Fühlen auch im Körper wieder, was wir unmittelbar als Wahrnehmung erfahren können. In manchen Fällen ist das offensichtlich. Hast du jemals jemanden kennengelernt, der sich buchstäblich krankgesorgt hat?
Für andere weniger offensichtlich sind die verborgenen emotionalen und körperlichen Unannehmlichkeiten, die wir jeden Tag als Ergebnis eines funktionsgestörten egozentrischen Denkens erfahren. Sind wir in der Lage diese körperlichen Wahrnehmungen zu akzeptieren, ohne sie zu benennen, ohne zu urteilen, nur als Zeuge, dann können wir eine Entfaltung erfahren und ein Gefühl des Loslassens. Nicht nur werden die Symptome verschwinden, auch die Funktionsstörungen dahinter werden sich allmählich auflösen, wenn wir die Methode nur oft genug anwenden. Dies ist eine Selbst-Analyse im »erlaubenden« Stil. Diese ist heutzutage populär, weil sie in einer Welt, in der sich das Weltbewusstsein (aufgrund der größeren Vergegenwärtigung des angeborenen Bewusstseins in jedem Einzelnen) ausdehnt, immer effektiver wird. Es ist einer der einfachsten Wege, systematisch aus dem aufkommenden Zeugen im täglichen Leben Vorteile zu ziehen.
Tatsächlich haben wir mit dieser Form der Selbst-Analyse bereits in den frühen Tagen der Fortgeschrittenen Yoga Übungen begonnen, als wir die tiefe Meditation erlernten. Es ist ein Prozess, den wir während der tiefen Meditation nutzen können, wenn wir von Gedanken, Gefühlen und körperlichen Empfindungen so überwältigt werden, dass wir nicht in der Lage sind, leicht zum Mantra zurückzukommen. In Lektion 15 findest du die ersten Anweisungen dazu.
In gleicher Weise können wir bei unseren täglichen Aktivitäten, sobald wir eine mentale, emotionale oder körperliche Unannehmlichkeit fühlen, unserer Aufmerksamkeit locker und einfach erlauben, bei dieser zu bleiben, ohne zu analysieren oder dem irgendeinen Namen zu geben. Wir können sie ständig im Körper lokalisieren und wir können ganz einfach bei diesem Gefühl bleiben. Du wirst feststellen, dass diese Art der Handhabung zu dem Gefühl führen kann, dass »sich etwas auflöst« im Inneren, gefolgt von einer Empfindung der Erleichterung und der Freude. Ohne dass man sich also zu sehr darauf einlässt, immer alles auseinanderzudividieren, was der Verstand an nicht Wünschenswertem herbeizaubert, haben wir bereits ein Mittel eingebaut, das die weitreichenden Auswirkungen eines funktionsgestörten Denkens normalisiert.
Kultivieren wir den Zeugen durch die tiefe Meditation und beginnen wir, uns zu erlauben, unsere Gedanken, Gefühle und körperlichen Empfindungen bei den täglichen Aktivitäten zu erfahren, ohne zu urteilen, dann sind das die Anfänge einer praktikablen Herangehensweise an die Selbst-Analyse. Dies ist das natürliche Ergebnis unserer Praxis der tiefen Meditation. Damit können wir beginnen, die Kluft zwischen der nicht-beziehungsvollen und der beziehungsvollen Selbst-Analyse zu überwinden. Davon ausgehend ist es möglich, je nach Bedarf, zusätzliche Elemente des Nachforschens und der Analyse hinzuzufügen. Hat man erst einmal mit ihr angefangen, entwickelt sich die Selbst-Analyse ganz natürlich und der Verstand macht eine Evolution zu einem höheren Funktionieren durch, das das Ansteigen der Erleuchtung unterstützt. In der nächsten Lektion wollen wir das weiter vertiefen.
Allerdings bleibt es ganz uns selbst überlassen, wie wir auf diese Anfänge unserer Selbst-Analyse aufbauen. Zweifellos wird es uns dahinziehen, etwas über das Thema zu lesen, und wir werden mit der Zeit unseren eigenen Weg der Selbst-Analyse finden, einen Weg, der kompatibel mit unseren Neigungen und unserem Lebensstil ist. Niemand kann uns genau sagen, wie das aussehen wird, und wir tun gut daran zu vermeiden, den Äußerungen anderer zu diesem Thema nachzueifern. Bei der Selbst-Analyse funktioniert so etwas nicht. Deshalb wirst du hier auch keine Verlautbarungen finden, wie du die Welt sehen solltest. Jeder wird das durch direkte Erfahrung selbst herausfinden. Unsere Suche ist ebenfalls eine Form der Selbst-Analyse, die Reise unserer Entfaltung. Wenn wir uns darin nachdrücklich behaupten, werden wir die Kluft überbrücken und die Wahrheit in allem erfahren, was wir tun. D.h. wir werden ganz einfach die strahlende ewige Freude sein, zu der wir durch das Leben im Augenblick werden.
Der Guru ist in dir.