Frage: Das Hauptziel meines restlichen Lebens ist es, alle möglichen Anstrengungen zu unternehmen, damit ich noch in diesem Leben vom Rad der Wiedergeburt befreit werde. Wie wird man erleuchtet?
Ich weiß, dass ich noch viele Schwächen überwinden muss. Doch will ich dennoch alle möglichen Anstrengungen auf mich nehmen, damit ich von ihnen loskomme und noch in diesem Leben diese Seele mit der Höchsten Seele sich vereinigen lasse. Ist das möglich oder nicht? Wenn ich mich dazu für längere Zeit einer intensiveren Übungsweise unterziehen muss, will ich das gerne tun, z.B. eine längere Wirbelsäulenatmung und Meditation oder irgendwelche andere Übungen. Würdest Du mich bitte dazu anleiten?
Antwort: Ja, das verstehe ich, dass Du keine Minute verschwenden willst, die Du auf Deine Erleuchtung verwenden könntest. Das ist sehr gut! Seit ich vor vielen Jahren in diesem Leben mit den Übungen begonnen habe, ist meine Einstellung dieselbe. Du solltest entsprechend Deiner Möglichkeiten mit den Übungen fortfahren, aber Selbstabstimmung anwenden und darauf bedacht sein, es nicht zu übertreiben.
Führt es zu Überanstrengungen, dann ist es zu viel. Jeder muss in seiner eigenen Geschwindigkeit weitergehen. Sonst wird der Fortschritt behindert. Ich werde mein Bestes geben, damit hier in diesen Lektionen alles steht, was Du brauchst – alles, nur kein gereinigtes Nervensystem. Das musst du selbst leisten – angetrieben von Deinem eigenen Bhakti, Deiner Liebe zur Wahrheit und zu Gott, d.h. dem lebendigen Gott in Dir.
Sei Dir aber bewusst, dass „Erleuchtet Werden“ eine Strategie des Egos ist und dass es dann sehr wahrscheinlich nicht in diesem Leben erreicht wird, wenn es in dieser Weise auf einer Basis des „Bekommens“ weitergeht. Das heißt andererseits nicht, dass die Übungs-Praxis für den Fortschritt nicht nötig ist. Aber das Erleuchtet-Werden ist ein Loslassen – ein Paradox. Nicht notwendigerweise das Loslassen von Übungen, doch das Loslassen von etwas Bestimmtem: Loslassen unserer Sehnsucht, es zu werden. Wie können wir das loslassen, wonach wir uns so verzweifelt sehnen, was wir so nötig haben? Wie können wir genau das loslassen, was wir kultivieren – ein intensives Verlangen nach Gott?
Das ist ein sonderbares Ding. Irgendwo entlang des Wegs hören wir auf, die Erleuchtung „bekommen“ zu wollen und erkennen, dass wir uns ihr „hingeben“. Wir machen vielleicht genau dasselbe – Übungen, Bhakti, Dienst an anderen und all das. Vielleicht machen wir sogar mehr Übungen – ja, ganz bestimmt mehr Übungen. Wenn das Nervensystem sich öffnet, will es sie machen. Aber etwas verändert sich. Vielleicht hat es mit dem Aufsteigen der Kundalini zu tun und wir fühlen, dass wir nicht mehr die Befehlsgewalt innehaben.
Es ist leicht, sich einem kraftvollen göttlichen Prozess hinzugeben, der im Inneren automatisch abläuft, selbst wenn wir weiterhin aggressive Übungen ausführen. Löst sich das Ego auf und wird zu reinem Glückseligkeitsbewusstsein, sehnt es sich immer noch nach Erleuchtung und bemüht sich, mehr davon zu „bekommen!“. Dann verändert sich aber auf magische Weise unsere Notwendigkeit zu „bekommen“ in eine Notwendigkeit zu „geben“. Das ist ein wichtiger Wendepunkt, der seinen Ursprung in den Übungen und im zunehmenden Bhakti hat. Es ist ein Reifwerden, zu dem es in unserem Nervensystem kommt, wenn es gereinigt wird.
Ich halte es für die effektivste Strategie, sich einen Tag um den anderen vorzunehmen. Hier muss man sich auf einen höherer Pfad begeben. Kümmere dich nicht um die Erleuchtung, auf die Du irgendwo auf dem Weg triffst. Wie ist es heute? Geht es heute besser als gestern, letzte Woche und letztes Jahr? Das ist etwas Reales und Konkretes. Die Erleuchtung kann vielleicht nächstes Jahr oder von heute aus in hundert Leben da sein. Wer weiß das? Wie wir uns heute fühlen und was wir tun können, damit wir uns morgen besser fühlen, ist nicht so nebulös. Das ist etwas Reales, wohingegen Erleuchtung, Erlösung oder was immer sich irgendwo draußen in der Vorstellung befindet.
Die Zukunft ist nichts Reales. Heute ist real. Es ist etwas Kümmerliches, etwas Zukünftiges zu wollen, wo es sich doch dort außer Reichweite befindet. Die Zukunft kommt niemals. Sie ist Maya (Illusion). Andererseits ist das zu wollen, was wir heute schon haben, Glückseligkeit, wenn es etwas Gutes ist, und wir davon kosten, wissend, dass es morgen schon wieder mehr sein wird. Deshalb habe ich gesagt: „Mache heute etwas Nettes für jemanden.“ Das ist mehr Erleuchtung, als wir irgendwo in unserer Vorstellung über die Zukunft finden können.
Wenn es Erleuchtung gibt, muss sie heute gefunden werden. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Solange wir Übungen für die Zukunft machen, wird auch die Erleuchtung in der Zukunft bleiben. Machen wir Übungen für unser heutiges oder morgiges Glück, ist die Erleuchtung plötzlich viel näher da. Dann können wir ein bisschen entspannen und durchatmen. Das Entspannen und tiefe Atmen ist schon die Erleuchtung, die sich bemerkbar macht.
Werden wir jemals die Erleuchtung in der Zukunft erfahren? Nein, niemals werden wir das. Wir können sie nur in der Gegenwart erleben – das heißt heute.
Was bedeutet dies für unsere Übungen? Erinnere Dich daran, dass Meditation heißt: nach innen gehen, wenn wir sitzen, und danach hinausgehen in die täglichen Aktivitäten, um mit der glückseligen Stille, die wir erlangt haben, etwas zu unternehmen. Meditieren wir den ganzen Tag, haben wir sehr viel Stille.
Nehmen wir die Stille aber nicht für bedeutungsvolle Aktivitäten in Dienst, werden wir keine volle Erleuchtung erlangen – vielleicht nur die erste Stufe: unendliche innere Stille. Das ist nicht schlecht, aber auch nicht das Ganze. Erleuchtung ist die Vereinigung des Inneren mit dem Äußeren. Sind wir nur das Innere und nichts von dem Äußeren, sind wir nicht im Yoga. Wir müssen zum ganzen Inneren und zum ganzen Äußeren werden – zweimal ein Ganzes. Dann werden wir zu ihm.
Seit Monaten sitze ich hier und schreibe das alles auf. Warum tue ich das? Gut, natürlich ist das eine wichtige Sache, die getan werden muss, das ist klar. Das werden viele unterschreiben. Ich selbst sehe das so, dass ich mit meiner inneren Stille hinaus in viele Leben gehe und das hilft mir, mich im Inneren gewaltig auszudehnen.
Je mehr ich von mir fortgebe, desto mehr fülle ich mich mit ekstatischer Glückseligkeit. All diese Weitergabe von Wissen mache ich aus sehr selbstsüchtigen Gründen. Aber mein Selbst wird zu mehr und mehr in jedem. Deine Freude ist meine Freude. Du kannst es in Deinem Leben ebenso machen. Führe Deine sitzenden Übungen aus – wie viele und von welcher Art Du immer findest, dass sie gut für Dich sind – und dann geh und tu etwas Gutes für jemand anders. Das ist die aufkommende Erleuchtung.
Teilen wir es nicht mit anderen, bekommen wir es auch nicht. Es kann sich schon heute ereignen. Mach Dir keine Gedanken über eine Erleuchtung in der Zukunft. Fordere Erleuchtung heute ein, indem Du Deine Übungen machst, und gib dann Deine Stille und Deine Glückseligkeit an andere weiter. Was für gute Gefühle die Übungen Dir immer bringen, gib sie in Deinen täglichen Aktivitäten weiter. Das ist die Erleuchtung, die sich jetzt schon bemerkbar macht. Alles was wir tun müssen, ist „Ja“ zu sagen zu dem Strom göttlicher Liebe, der hinausgeht, und sie wird wie ein endloser Fluss ekstatischer Glückseligkeit durch uns nach außen strömen.
Dann werden wir die ganze Zeit wie frohe unschuldige Kinder lachen. Das sind wir auch, wenn erst einmal all die Blockaden und all das Festhalten weg sind.
Die Erleuchtung bekommen heißt, sie weiterzugeben. Die Erleuchtung zu bekommen ist ein Loslassen.
Der Guru ist in Dir.