Frage: Ich bin über das Pranayama verwirrt, besonders über das Atemanhalten. Welchen Einfluss hat das auf die Kundalini-Erweckung? In den Fällen, in denen es zu einer Kundalini-Erweckung kommt, können das Pranayama und das Atemanhalten der Grund dafür sein und auch der Grund für Symptome des Übertreibens, Unannehmlichkeit usw. In anderen Fällen kann Pranayama mit dem Atemanhalten zur Entspannung, Reduzierung der Verspannungen etc. angeboten werden. Was ist nun Pranayama? Eine Entspannungstechnik oder eine Technik zur Erweckung der Kundalini?
Antwort: Pranayama ist beides. Das hängt von den Umständen ab.
Man muss da einen Unterschied machen zwischen den Atemübungen (wozu auch das Atemanhalten – Kumbhaka gehört), die ohne die tiefe Meditation ausgeführt werden und Atemübungen, die man in einer Abfolge mit der tiefen Meditation ausführt. Bei Letzteren wird man bei beständiger täglicher Übung mit der Zeit sich steigernde Ergebnisse feststellen. Dieser Unterschied ist verantwortlich für die entspannende Wirkung der Atemübungen (mit oder ohne Atemanhalten), wenn man sie alleine praktiziert. Dahingegen kommt es zu kraftvollen Kundalini-Erweckungswirkungen von ähnlichen Methoden, wenn man sie in einer Routine einschließt, zu der auch die tiefe Meditation gehört. Das mag auch die Ursache dafür sein, dass Atemtechniken, die man alleinstehend nutzt, auch wenn sie gut für die Entspannung sind, für die spirituelle Praxis nicht besonders progressiv sind.
Wie wir das in den frühen Lektionen (vgl. Lektion 39) erörtert haben, bereitet (entspannt) das Pranayama den Boden des Nervensystems, so dass der Samen der inneren Stille daraus hervorsprießen kann. Offensichtlich muss sowohl der kultivierte Boden wie auch der Samen vorhanden sein, damit dies erscheinen kann. Ganz ähnlich wird der Boden des Nervensystems viel durchlässiger (aktivierter), sobald die innere Stille als Ergebnis der tiefen Meditation aufkommt. Das ist der Auslöser für die Dynamik, in der Prana sich ohne Schwierigkeiten bewegt, um ein leichtes Sauerstoffdefizit im Nervensystem, das die Folge des Pranayama (und des Atemanhaltens) ist, auszugleichen. Diese Dynamik des Pranayama, zusammen mit der Anwendung von Mudras und Bandhas bildet den Kern der systematischen Kultivierung von ekstatischer Leitfähigkeit (Kundalini). In dem Fall, wo Pranayama und tiefe Meditation in die Übungsroutine integriert sind, kann ein exzessives Pranayama (besonders mit Atem-Anhalten) zu Energieüberlastungen führen. Diese stellen sich oft als verzögerte Wirkungen erst Tage oder Wochen nach dem Übertreiben ein. Deshalb ist eine vorsichtige Regulierung der Übungen notwendig.
Viele haben diese Beziehung zwischen Pranayama, Meditation, innerer Stille, Kundalini-Erweckung und allgemeiner spiritueller Entfaltung bestätigt. Aus diesem Grund legen wir so viel Nachdruck auf das Selbstabstimmen der Übungen und aus diesem Grund kommt es bei uns auch zu relativ wenigen Kundalini-Krisen bei der Anwendung des Standard-Programms (Systems) der Fortgeschrittenen Yoga Übungen. Es ist wichtig, dass man sich Ursachen und Wirkungen dieser kraftvollen Übungen in der eigenen individuellen Anwendung bewusst ist. Sind wir bei unseren Übungen konsequent und vorsichtig, können wir viel daraus gewinnen.
Es sollte auch beachtet werden, dass Atemanhalten abhängig vom Grad der inneren Stille und vorhandenen Sensibilität (energetische Durchlässigkeit), die angeboren sind oder im Nervensystem kultiviert wurden, für die einen nicht dasselbe sein wird wie für andere. Eine selbstgesteuerte spirituelle Praxis erfordert deswegen einen Ausgleich zwischen den von uns genutzten Übungen und dem anhaltenden, im Nervensystem auftretenden Prozess der Reinigung und Öffnung. Die Idee dabei ist, einen maximalen Fortschritt mit einem Minimum an Unannehmlichkeit zu stimulieren. Das scheint auch für viele zu funktionieren.
Vor der Entwicklung einer täglichen spirituellen Praxis auf dieser Ebene der Integration und Kraft kann man das Pranayama (mit oder ohne Atemanhalten) als Entspannungstechnik einsetzen. Tatsächlich bieten viele Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen ihren Patienten Atemübungen zu diesem Zweck an und sie erzielen damit gute Ergebnisse. Doch das unterscheidet sich völlig von fortgeschrittenen Yoga Übungen. Das ist, wie wenn man einen Pfeil wirft, anstatt ihn mit einem kraftvollen Bogen abzuschießen. Der Pfeil selbst mag nützlich dafür sein, in den Zähnen herumzustochern und für andere Aufgaben, die das Abschießen des Pfeils mit einem kraftvollen Bogen nicht erfordern. Doch wir würden gar nicht versuchen, solche Aufgaben mit dem Abschuss des Pfeils vom Bogen zu erledigen. In gleicher Weise werden wir, sobald wir einmal mit der tiefen Meditation, Wirbelsäulenatmung und anderen kraftvollen Techniken begonnen haben, die wir täglich in integraler Form praktizieren, feststellen, wie sich unsere Beziehung zum Atem verändert und wir werden gezwungen sein, unsere Sichtweise auf das Pranayama anzupassen. In diesem Fall sind sanfte Formen des Pranayama wie die Wechselatmung (ohne Atemanhalten) für die Entspannung immer noch nützlich. Doch wir werden entdecken, dass extremere Formen des Pranayama aufgrund des Aufkommens der ekstatischen Leitfähigkeit in unserem Nervensystem eine viel stimulierendere Wirkung haben. Sobald wir es sehen und unsere Übungen entsprechend selbstabstimmen, wissen wir es.
Der Guru ist in dir.