Es wird behauptet, dass der Pfad des Dienens eine Königsstraße zur Erleuchtung sei. Und auch wenn er dies nicht ist, sorgt er für viel Gutes in der Welt. Deshalb ist das Helfen anderer, die in Not geraten sind, immer ein wertvolles Bestreben. Doch ist Dienen alleine wirklich ein Pfad zur Erleuchtung? Welche Rolle spielt es bei der Erfüllung unserer letztendlichen spirituellen Bestrebungen?
Es gibt einige sehr berühmte Menschen, die ihr ganzes Leben im Dienst an anderen verbrachten, sich also auf das richtige Handeln einschworen, die aber trotzdem daran zweifelten, ob sie Gott oder der Wahrheit im absoluten Sinne näher gekommen sind, obwohl sie bis an ihr Ende gedient haben.
Warum?
Wahrscheinlich weil es beim wirklichen Dienst niemals darum geht, was wir vielleicht von ihm als Ergebnis für uns erwarten, selbst wenn unsere Erwartung auf etwas wie spirituellen Fortschritt abzielt. Wir tun es einfach, weil wir aus dem Inneren heraus motiviert sind. Es ist ein bisschen wie mit dem Küken und dem Ei. Was kommt zuerst, spiritueller Fortschritt oder das Dienen? Es kann auf beiden Wegen funktionieren.
Eines ist sicher: Ehrliches Dienen für andere kommt aus unserem Inneren und kann nicht von außen geregelt werden, zumindest nicht vollständig. Das ist der Unterschied zwischen Dienst und Knechtschaft. Für das eine entscheiden wir uns aus freien Stücken, das andere wird uns aufgezwungen, möglicherweise sogar durch unsere eigene innere mentale Tyrannei. Ironischerweise liegt die Gefahr bei einem strengen Leben mit aufgezwungenen Verhaltensregeln darin, dass dies spirituell kontraproduktiv sein kann. Die freie Entscheidung ist ganz klar vorzuziehen. Man kann das Herz nicht öffnen, wenn man festhält. Nur durch Loslassen ist das zu erreichen. Dann können wir sehen, dass die Nöte anderer für uns genauso wichtig sind, wie unsere eigenen Nöte, und wir fühlen uns zum Dienen hingezogen. Das ist der Kern der goldenen Regel: »Handle anderen gegenüber so, wie du gerne von anderen behandelt werden willst«. Das bildet das Wesen von richtigem Handeln.
Ist richtiges Handeln auf unserem spirituellen Pfad Ursache oder Wirkung? Dazu stellt sich die Frage: Was bringt uns an den Punkt in unserem Leben, an dem wir uns aus freien Stücken entscheiden, anderen weniger zu schaden und anderen mehr zu dienen, als wir dies zuvor getan haben? Ist das unser ansteigendes Bhakti? Sind es andere, die uns durch ihr gutes Beispiel dazu ermuntern? Ist es unsere tägliche tiefe Meditation und die sich daraus ergebende innere Stille?
All diese Elemente leisten ihren Beitrag.
Merken wir einmal, dass wir uns dafür entscheiden, für andere mehr zu tun, kann dies zu einer Gewohnheit werden. Diese ist zu Beginn nicht notwendigerweise nur gut, denn es kommt da zu Rückkoppelungen – positive Verstärkungen. Man lobt uns für unsere Dienste, man bewundert und verehrt uns. Menschen geben uns vielleicht sogar Geld, damit wir fortfahren können, in größerem Maßstab zu dienen. Wir mögen versucht sein, dann nur noch aus diesen Gründen weiterzumachen. Aber was wird dann aus unserer Bhakti, aus unserem gewählten Ideal und der Beziehung unserer Aktivitäten zu unserer tiefen Meditation und anderen Yoga-Übungen? Für jene, die Dienen zu ihrem Beruf machen, kann das etwas konfus werden.
Heißt das, wir sollten am besten überhaupt nicht dienen? Nein, das heißt es nicht. Doch es ist weise, darauf zu achten, dass sich das Dienen im Gleichschritt mit unserem inneren Drang entwickelt, besonders was unsere Bhakti und unsere spirituellen Übungen betrifft.
Für jene, die gerne die Welt verändern wollen, ist der Rat einfach: Steh ein für das, an was du glaubst, arbeite aber immer daran, durch die tägliche tiefe Meditation die innere Stille zu kultivieren. Betrachte das Leben und Werk großer Persönlichkeiten wie Gandhi, Martin Luther King und Mutter Theresa von Kolkata. Bewege dich mit der Stille – nicht so, wie Gier und Furcht wollen, dass du dich bewegst.
Beim Dienen geht es nicht vor allem um das Verrichten solch großer Dinge, dass die ganze Welt darauf aufmerksam wird. Nur ganz wenige sind dazu berufen. Beim Dienen geht es vielmehr darum, was wir im Augenblick tun. Es geht um unsere gegenwärtigen Beziehungen und aktuellen Gelegenheiten, bei denen wir uns hilfreich erweisen können und den nächsten Schritt zu gehen, jemandem zu helfen – egal, um wen es sich handelt. Wir können uns glücklich schätzen, Verantwortungen zu tragen und Menschen zu kennen, die hier an Ort und Stelle und im Augenblick in Not sind.In der Lage zu sein, dazu »Ja« zu sagen, ist ein Schritt auf unserem spirituellen Pfad, vorausgesetzt wir führen weiter ein ausgeglichenes Leben und wir halten weiter eine gute Selbstabstimmung bei unserer Bhakti, den Übungen sowie der täglichen Routine von Aktivitäten bei. Öffnen wir uns hier und jetzt in uns, öffnen wir die gesamte Welt.
Das Leben in einer Familie kann uns tiefer in Übungen und das Dienen hineinziehen, was zu viel Freude und Erfüllung führt. Die größte Herausforderung, die mit dem Familienleben auf dem spirituellen Pfad verbunden ist, ist die Notwendigkeit, für jeden zu sorgen, während man sich gleichzeitig Zeit für die Übungen nehmen muss. Das erfordert eine feste Entschlossenheit, d.h. sehr viel Bhakti. Es gibt aber viele Belohnungen, wenn man hier ein Gleichgewicht halten kann. In Lektion 209 findest du Tipps, wie man tägliche Übungen in ein geschäftiges Leben einbindet.
Manche mögen es vorziehen, sich lediglich auf ihr spirituelles Leben zu konzentrieren und äußere Verantwortung zu meiden. Das ist jedoch auch nicht so einfach. Ohne eine sinnvolle Betätigung in der Welt können Entsagende betriebsblind und engstirnig werden, ohne sich viel um die Belange anderer zu kümmern. Das kann sie in ihrem spirituellen Fortschritt behindern, auch wenn sie viele Yoga-Übungen machen.
Dienst an »einer Familie« in irgendeiner Form, ist notwendig, um das Herz und den spirituellen Fortschritt am Wachsen zu halten. Die Familie kann unser Nachbar sein, der Hilfe braucht, unser Ehegatte und die Kinder, unsere Gemeinde oder die gesamte Menschheit. Ein Verbinden, das uns mit anderen im Dienst zusammenschließt, ist wichtig, wer immer wir auch sind. Das ist ein wesentlicher Teil des Pfades eines jeden, besonders in den späteren Stadien der spirituellen Öffnung, wenn es vor allem um die Kultivierung des göttlichen Flusses im täglichen Leben geht. Dadurch bringen wir die innere Realität in die äußere Manifestation.
Ist Heirat und Familienleben Teil unseres Pfades, ist das großartig. Ob wir aber verheiratet sind oder nicht, es ist wahrscheinlich, dass wir mit der Zeit in eine Rolle im Leben hineinwachsen, die Verantwortung auch für andere, nicht nur für uns selbst, beinhaltet. Helfen wir anderen, so helfen wir uns selbst. Dies ist die älteste Weisheit in den heiligen Schriften. Dazu kommt es auf natürliche Weise, wenn die Stille beginnt, sich von uns in Wellen von Liebe und ekstatischer Glückseligkeit nach außen zu bewegen.
Wahrhafter Dienst basiert auf der bleibenden inneren Stille, dem Zeugen, und wird nicht beeinflusst von äußeren Umständen oder den Sirenen von Lob oder materiellen Belohnungen – diese können damit einhergehen oder auch nicht. Man kann sagen, dass innere Stille die wichtigste Voraussetzung für Dienst ist. Diese wird unsere eigene spirituelle Entwicklung vorantreiben und gleichzeitig die derer, denen wir dienen. In diesem Sinne ist eine Bhakti, die uns zuerst zur täglichen Meditation ruft, wertvoller für unseren spirituellen Fortschritt, als eine Bhakti, die uns zum Dienen ruft. Geben wir der Meditation die Priorität, dann werden wir ganz gewiss zu einem Dienst hingezogen, der unsere evolutionäre Entwicklung fördert, anstatt uns nur zu binden.
Auch wenn wir denjenigen helfen, die in Not sind, besteht der wichtigste Teil des Dienstes an ihnen und uns selbst in der Liebe, die infolge unserer inneren Stille beziehungsvoll übermittelt wird. Regt sich innere Stille, schmilzt das Herz und dies ist die Kerndynamik des Dienens. Ist dieser Prozess einmal auf dem Weg, wird das Dienen selbst das Schmelzen befördern und den Fluss der aus dem Inneren kommenden göttlichen Liebe ansteigen lassen. Bevor die innere Stille ein bleibender Faktor ist, kann es zu Zweifeln kommen und der Dienst mag dann erzwungen sein. Wir werden das erkennen, sobald wir es fühlen und wir sollten unser Dienen, falls notwendig, selbstabstimmen, wie wir dies bei jeder anderen Yoga-Übung tun.
Es gibt viele Ebenen des Dienens. Es beginnt zuhause, wo immer das sein mag, und mit wem immer wir eine tägliche Beziehung unterhalten. Wenn wir bereit dafür sind, ergeben sich aus kleinen dienstfertigen Handlungen große Öffnungen.
Entwickeln wir einen Hunger nach unserem inneren Wachstum (Kultivierung von Bhakti) und meditieren wir täglich tief, werden wir auf natürliche Weise dazu neigen, zu dienen. Wir brauchen keinen großen Wirbel darum zu machen. Wir können damit beginnen, ein paar Aufgaben mehr um das Haus herum zu erledigen, zu denen wir vorher vielleicht keine Lust hatten. Wir können der Negativität, die wir in uns und in jenen um uns herum finden, mit mehr Freundlichkeit begegnen. Und wir können vergeben. Das ist der größte Dienst, den wir irgendjemandem und genauso uns selbst erweisen können. Ein Herz, das ständig all die Schwächen der Welt, nah oder fern, vergibt, ist ein Herz, das ständig dient.
Die Heiligen und Weisen legen genauso viel Freude in die kleinen dienstfertigen Handlungen, wie in die großen. Das gilt genauso für jemanden, der zur Stille im Handeln wird.
Zu dieser Transformation kommt es nicht von heute auf Morgen. Gehen wir im Wunsch, eine engere Verbindung mit dem Göttlichen in uns herzustellen, auf unserem Weg weiter und machen wir dabei die tiefe Meditation genauso wie andere spirituelle Übungen, werden wir einen allmählichen Anstieg unserer Empathie für jene um uns herum erkennen. Jeden Monat und jedes Jahr werden wir in der Lage sein, anderen und uns selbst ein klein bisschen mehr zu vergeben. Und unser Verhalten läutert sich allmählich. Es wird zu einem natürlichen Ausfließen. Geschieht das, wird es uns gar nicht mehr so bewusst, welches positive Feedback als Ergebnis unserer positiven Handlungen da kommen mag oder auch nicht. Die so genannten Früchte unseres Handelns sind uns immer weniger wichtig.
Gleichzeitig werden wir auf jeden negativen Aspekt unseres Handelns sehr viel schneller aufmerksam und geneigt sein, die nötigen Korrekturmaßnahmen vorzunehmen, um negative Konsequenzen für uns und andere zu verringern. Unsere Handlungen sind zunehmend intuitiv und moralisch selbstregulierend. Uns werden die Konsequenzen klar, noch bevor wir beginnen, das zu tun, was diese hervorbringt. So können wir Anpassungen vornehmen, damit unsere Handlungen die besten Ergebnisse zeitigen, auch wenn uns an den Ergebnissen selbst gar nicht so viel liegt. Das ist dann wie bei der großen Konzertpianistin, die alle Noten von der ersten bis zur letzten in jedem Augenblick ihres Spiels hört. Genauso werden unsere Handlungen im göttlichen Fluss auf natürliche Weise zu einer Optimierung der Ergebnisse führen.
Obwohl es wahr ist, dass Karma-Yoga letztendlich ein Handeln ohne Anhaftung an den Früchten ist, ist es genauso ein Handeln mit den entwicklungsgemäßesten Folgen. Es ist ein natürlicher, innerer Prozess, zu dem es in der Stille kommt. Mit der Zeit wird dies zu einem Automatismus.
Diese Art von Dienst beginnt in unserem gewöhnlichen Leben. Weitet sich das auf ein größeres Gebiet aus, so dass dadurch viele andere berührt werden, dann ergibt sich das im Rahmen unserer eigenen Neigungen. Was wir zuhause tun können, können wir überall tun. Gewinnen wir großes Ansehen, weil wir unseren Dienst im Lichte der Öffentlichkeit verrichten, obwohl wir zuhause das Gegenteil tun, dann wird unser spiritueller Pfad davon in Mitleidenschaft gezogen. Es heißt, dass man die wirkliche spirituelle Tiefe eines Weisen nicht in seinem öffentlichen, sondern in seinem Privatleben erkennt.
Auch der Umfang unserer Handlungen wird durch Karma beeinflusst. Jeder von uns hat besondere Neigungen und wir können diesen nachgehen, um mehr Gutes zu bewirken. So etwas wie ein »gutes« und ein »schlechtes« Karma gibt es nicht. Es gibt nur den heutigen Ausdruck von Karma beim Verfolgen unserer Neigungen, wodurch diese auf eine höhere Ebene der Zweckmäßigkeit gehoben werden, während wir uns auf dem spirituellen Pfad weiter vorwärtsbewegen. Das drückt sich in den besonderen Handlungen aus, auf die wir uns einlassen, um jene Neigungen in der Gegenwart zu manifestieren.
Mit anderen Worten: Unsere gegenwärtige spirituelle Verfassung bestimmt den Ausdruck unseres Karmas. Bringen wir eine karmische Tendenz mit, bei der Ausführung von Aufgaben heftig und ungeduldig zu sein, dann kann sich das als Heftigkeit und Ungeduld ausdrücken, unseren spirituellen Fortschritt in uns und in den Menschen um uns herum maximal zu beschleunigen. Natürlich kann das manchmal zu viel sein und deshalb raten wir zur Selbstabstimmung. Doch die karmische Energie, die andernfalls vielleicht zu unangenehmen Reibungen im Leben geführt haben könnte, wird sinnvoll eingesetzt, um mit Elementen von Bhakti und spirituellen Übungen den spirituellen Fortschritt voranzubringen. Es gibt viele Fälle, in denen Menschen durch negative Erfahrungen dazu inspiriert wurden, Großes zu vollbringen.
Wie die emotionale Energie ist Karma eine Energie, die von dem spirituell Übenden automatisch zu seiner höchsten Manifestation gelenkt werden kann. Und indem er das tut, werden die Auswirkungen der unternommenen Handlungen auf eine höhere Ebene gehoben. Dies ist die Kerntechnik von Bhakti – die Transformation aller Energie, so dass sie unserem gewählten Ideal dient.
Dazu kommt es im gewöhnlichen Leben, bei unserer Arbeit, in unserer Familie und bei unseren Interaktionen mit jedem, dem wir begegnen mögen. Das kann so etwas Einfaches sein, dass wir uns für jemanden in Not zur Verfügung halten oder so komplex, dass wir ein riesiges Hilfsprogramm auf institutioneller Ebene organisieren und leiten. Was immer von uns gefordert wird und für was immer wir uns in diesem Kontext entscheiden zu tun, innere Stille wird die Ergebnisse auf Wegen positiv beeinflussen, die weit jenseits menschlichen Verständnisses liegen. Auf diese Weise werden wir durch ein Voranbringen von Karma Yoga zu reinen Kanälen für das Göttliche.
Aus dieser Perspektive wird jedes Ereignis, dem wir im Leben begegnen, eine Öffnung in das reine Glückseligkeitsbewusstsein hinein. Auch wenn wir die Tragödien betrauern, die uns in diesem Leben unweigerlich heimsuchen, wissen wir, dass Verlust und Widerstand uns zu neuen Ausströmungen göttlicher Liebe und spiritueller Erkenntnis verhelfen. Der beste Weg, die Vergangenheit zu würdigen, ist eine vollständige Würdigung der Gegenwart, indem wir uns um das Wohlergehen derjeniger kümmern, die heute mit uns Umgang haben. Dies ist Bhakti und Karma-Yoga im Handeln.
Die Rolle des Dienens ist im spirituellen Leben sowohl Wirkung als auch Ursache. Dienen ist eine Auswirkung von ansteigender innerer Stille und eine Ursache für die Transformation allen Karmas zu seiner höchsten Form des Einflusses für die Evolution der Menschheit und aller manifestierten Existenz. Dies ist der einzige Zweck von Karma und seine Erfüllung findet man in unserer Erfüllung. Unsere Evolution ist dieselbe wie die Evolution des gesamten Kosmos. Unterlaufen wir den Prozess der Reinigung und Öffnung in unserem Nervensystem, handeln wir auch dementsprechend. Es ist die sanfte Favorisierung von Stille in allen Handlungen, sehr vergleichbar mit der sanften Favorisierung des Mantras bei der einfachen Technik der tiefen Meditation.
Alles, was wir von dort tun müssen, ist: Hinauszugehen, uns in den normalen täglichen Aktivitäten engagieren und dabei den Sehnsüchten unseres Herzens folgen, die sich in Richtung unseres gewählten Ideals ausdrücken. Die Stille kümmert sich um den Rest.
Der Guru ist in dir.