Lektion 388 – Unsere Rolle als Lehrer
Wir befinden uns an einem kritischen Punkt in der Geschichte der menschlichen spirituellen Entwicklung. Aus einer sehr langen Zeit des Aberglaubens und Wissens aus zweiter Hand bewegen wir uns in eine Zeit des direkten Wissens aus erster Hand, das wir aus unmittelbarer Erfahrung infolge von Übungen gewinnen. Wichtiger noch: Mit einem wissenschaftlichen Ansatz der Praxis übernehmen wir selbst Verantwortung für unsere eigene spirituelle Entfaltung.
Denn dieser wissenschaftliche Ansatz erlaubt es uns, Ursachen und Wirkungen zu beobachten und diese im Sinne bester individueller und kollektiver Ergebnisse zu optimieren. Es vollzieht sich ein dramatischer Wandel. Die Verhältnisse und Vorgehensweisen sind ganz anders als in der Vergangenheit. Das führt zu einem enormen Zuwachs der Verfügbarkeit und Effektivität von Übungen – jetzt und für alle Zukunft.
Da gab es diejenigen, die gesagt haben, dass menschliche Wesen nicht in der Lage seien, ihre eigene spirituelle Entfaltung zu koordinieren und dass diese Verantwortung denen übertragen werden müsse, die wissen. Platz für Wahl oder Anpassung durch den Übenden war nicht vorgesehen. Die Ergebnisse eines solchen Verfahrens waren ineffizient und die Geschichte spricht diesbezüglich für sich selbst. Die Zeit für Veränderung ist gekommen.
Verantwortung
Die Reise der Reinigung und Öffnung bedarf einer vorsichtigen Steuerung der Übungen. Nur der Übende selbst kann diese Steuerung übernehmen. Es geht also um Verantwortung. Das Maß an Verantwortung, das die Praktizierenden des Open Source Systems der Fortgeschrittenen Yoga Übungen zeigen, ist beeindruckend.
Schon immer gab es diese Prophezeiungen, dass offen zugängliches Wissen von spirituellen Praktiken zu desaströsen Ergebnissen führen würde. Das ist nicht wahr – zumindest nicht hier und jetzt. Selbstabstimmung ist ein Prinzip und eine Übung, die einfach zu verstehen und anzuwenden ist. Die Analogie mit dem „Erlernen, ein schnelles Auto zu fahren“ verstehen wir alle. Dort ist die Anpassung der Geschwindigkeit an unterschiedliche Fahrbedingungen notwendig, um einen guten und sicheren Fortschritt auf unserer Reise beibehalten zu können. Bei der Anwendung kraftvoller spiritueller Praktiken ist es dasselbe.
Die Neigung, bei den Übungen zu verzweifeln und zu übertreiben, rührt mehr von einem Mangel als von der offenen Verfügbarkeit von effektiven Übungen her. Wir neigen dazu, uns nach dem, was man uns vorenthält, verzweifelt zu sehnen und häufig überkompensieren wir das mit den Übungen, die wir zur Verfügung haben. Ist etwas frei verfügbar, müssen wir die Fähigkeit entwickeln, es verantwortungsvoll zu gebrauchen – und das können wir. Es ist so einfach.
Es gibt also vieles, wofür wir dankbar sein können, wenn wir uns verantwortungsvoll mit unseren Übungen, Schritt-für-Schritt, vorwärts bewegen. Die Straße zur spirituellen Transformation des Menschen liegt vor uns und viele haben herausgefunden, dass die Entwicklung guter Selbstabstimmungsfertigkeiten im Zentrum eines erfolgreichen Ansatzes liegt. Das bedeutet, wir sind auf dem besten Weg zur Selbstgenügsamkeit bei unseren spirituellen Bemühungen. Verantwortungsvolle Anwendung von Übungen mit Selbstabstimmung ist der Schlüssel, um Fortschritt im Erleuchtungsprozess aufrecht zu erhalten. Das bedeutet, wir können das selbst machen. Sobald wir das erkannt haben, gibt es nichts, was uns aufhält und das Wissen um die menschliche spirituelle Transformation kann leicht überall verteilt werden.
Unterrichten – unsere Rolle als Lehrer
Jeder ist in der Lage, Yoga vom eigenen Erfahrungsstand aus zu unterrichten. Jeder, der in tiefer Meditation, Wirbelsäulenatmung usw. auf seiner Ebene verankert ist, kann diese Erfahrung anderen weitergeben. Die FYÜ Schriften sind ausreichend detailliert, so dass jeder, der seine unmittelbare Erfahrung weitergibt, diese Schriften als Hilfe und zur Stimulation verwenden kann. Wir sollten uns also alle frei fühlen, dies zu tun – bis zu dem Grad, der uns aus unserer inneren Stille heraus angenehm erscheint. Dieser offene Prozess von Übertragung ist hilfreich für beide – den Lehrer und den Schüler. Der Lehrer lernt immer mindestens genauso viel wie der Schüler.
Über die Jahre wurden Bedenken geäußert, dass es mit Gefahren verbunden sei, wenn Menschen eine Ebene von Yoga lehren, die sie selbst noch nicht verwirklicht haben. Dies ist in der Tat ein Risiko für jeden Lehrer – sogar für die fortgeschrittenen, die diese Sorge vielleicht zum Ausdruck bringen. Jeden aufgrund dieser Sorge zurückzuhalten, ist jedoch unrealistisch. Ein Titel oder ein Zertifikat garantiert keine komplette, ganzheitliche Lehre. Meist haben derartige Qualifikationen zu sektiererischen Ansätzen geführt. Das ist zwar weit besser als kein Ansatz, aber immer noch begrenzt.
Was wir wirklich brauchen, sind viel mehr Menschen, die unabhängig voneinander den Zustand der inneren Stille und göttlichen Ekstase aus dem Inneren heraus erreichen und das in ihr tägliches Leben einfließen lassen – mit allen Mitteln, die sich für die Situation und Kultur eignen. Je weiter wir in dieses neue Zeitalter hinkommen, desto mehr werden die Lehren auf diese Weise aus dem Inneren kommen und desto geringer wird der Einfluss von äußeren Lehrgebäuden.
Äußere Lehrgebäude werden nicht länger die vornehmliche Quelle für Wissen sein. Sie werden nur dazu dienen, den Fluss der Stille im Handeln, der aus dem Inneren von jedem kommt, zu unterstützen. Die effektivsten Lehren werden sich dadurch auszeichnen, dass sie diesen göttlichen Impuls, der aus dem Inneren kommt, stimulieren und loslassen. Die besten Lehren werden die sein, die sich selbst arbeitslos machen. In der Vergangenheit, in der Abhängigkeiten kultiviert wurden anstatt Freiheit, hat es so etwas nur selten gegeben.
Teilen wir eine pragmatische Integration von Wissen, die auf der direkten in uns selbst sich abspielenden Erfahrung basiert, dann wird dies ‚Titel und Zertifikat‘ genug sein, um irgendjemanden zu unterrichten. Das bedeutet nicht, dass FYÜ-Lehren nie zertifiziert werden. Es wird vermutlich irgendwann einmal dazu kommen, um gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, doch wird das niemanden in seinem eigenen Recht zu lehren einschränken.
Kommen wir immer wieder zu den fundamentalen Prinzipien und Übungen zurück, die dem Nervensystem innewohnen – wie sollen wir da auf Abwege geraten? Das ist der Grund, warum die FYÜ Schriften veröffentlicht wurden. Nicht, um eine Anhängerschaft, eine Bewegung oder eine Organisation zu begründen. Auch nicht, um als monumentales Lehrgebäude dazustehen. Sondern, um ein Hilfsmittel zu sein, das man auf vielerlei Weise in die täglichen Erwägungen zur spirituellen Transformation einweben kann – ein Maßstab der Wahrheit, der jeden dabei unterstützen kann, ein Leuchtfeuer des Lichts für sich selbst und für viele andere zu werden.
Die FYÜ Schriften entstammen keiner bestimmten Tradition. Sie leiten sich aus dem breiten (und häufig uralten) multikulturellen Wissen der Menschheit ab – und was am wichtigsten ist, aus der Überprüfung der Übungen durch die vielen in der Gegenwart, die damit unmittelbare Erfahrungen in ihrem menschlichen Nervensystem machen.
Wenn quelloffene Lehren wie das Standardsystem der Fortgeschrittenen Yoga Übungen mehr in den Fokus des gesellschaftlichen Interesses rücken, wird aufgrund der direkten Erfahrung einer stetig wachsenden Zahl von Übenden auf der ganzen Welt, die diese ständig weitergeben, mehr horizontale Übertragung von Wissen stattfinden. Diese Art der Übertragung von spirituellem Wissen wurde auch als Peer to Peer (unmittelbar, gleichrangig) bezeichnet. Aufgrund seiner nicht-hierarchischen Natur vermeidet diese Art von Wissensübertragung viele Fallstricke, die man in hierarchischen Systemen antrifft – wo der Missbrauch von Macht über andere weit verbreitet ist.
Die horizontale gleichrangige Struktur ist vergleichbar mit der „Weitergabe der Flamme von Kerze zu Kerze, bis alle Kerzen brennen“. Dies ist mit dem Aufkommen echten spirituellen Fortschritts bei vielen Übenden möglich. Dabei handelt es sich nicht nur um die Übertragung von Ideen, sondern auch um die Übertragung von spiritueller Energie, die den Prozess der menschlichen spirituellen Transformation in jedem beschleunigt. Früher war dies nicht möglich. Mit dem rasanten Anstieg des Bewusstseins auf der ganzen Welt etabliert sich dieser neue Modus des Lehrens – die direkte Übertragung von Wissen und spiritueller Energie, das ist Stille im Handeln.
Was die Übungen angeht, ist es ein allmählicher Prozess von inspirierender Bhakti (spirituellem Wunsch) und der darauf folgenden Bereitstellung der Werkzeuge für die Kultivierung innerer Stille und ekstatischer Leitfähigkeit in jedem Individuum.
Diejenigen, die auf dem Weg weit vorangekommen sind, sollen daran erinnert werden, dass jeder die Reise von dort aus antreten muss, wo er sich gerade befindet und dass er dabei die effektivsten Methoden einsetzen sollte. Unter denen, die im spirituellen Prozess fortgeschritten sind, gibt es die Neigung, das Ziel (ihr eigener gegenwärtiger Zustand) zu lehren, als wäre das der Weg. Dies kann dazu führen, dass Schüler sich mit etwas beschäftigen, was wir als nicht-beziehungsvolle Selbstanalyse der nicht-dualen Natur der Existenz bezeichnen.
Das heißt, die Analyse findet im Verstand statt, nicht in Stille. Diese Selbst-Analyse trägt fast keine Früchte und kann sich schädlich auf die Psyche auswirken. Mit dem Aufstieg der inneren Stille (dem Zeugen) wird beziehungsvolle Selbst-Analyse möglich. Das Wichtigste ist also erst einmal die Kultivierung der inneren Stille. Beim Ansatz der Fortgeschrittenen Yoga Übungen erreichen wir dies durch tiefe Meditation und verwandte Mittel.
Das Gleiche gilt für Lehren, in denen es um unsere Beziehung zum Karma, zu den Ereignissen, die sich um uns herum zutragen und zu den Zeiten, in denen wir in unserem Leben schmerzliche Erfahrungen machen, geht. Zu Schmerz wird es kommen, aber wir können ihn ohne Leiden ertragen – jedoch nicht einfach, weil man uns sagt, dass dies so ist.
Durch das Aufkommen der inneren Stille (dem Zeugen) gelangen wir dahin, wo wir das Leiden, das die Folge von Identifikation des Bewusstseins mit dem Denken, den Gefühlen und den Wahrnehmungen von der Welt um uns herum ist, transzendieren können. Werden wir frei von der Identifikation mit den Objekten der Wahrnehmung – ganz gleich wie glorreich oder schmerzhaft diese auch sein mögen – können wir unsere Freiheit mit anderen teilen und auch die Mittel, womit andere in ihrem Inneren frei werden können. In jedem von uns ist das bereits vorhanden.
Im Laufe der Zeit werden viele erleuchtete Übende immer mehr in Erscheinung treten, zusammen mit den schriftlich dargelegten unterstützenden Lehren. Schriften, die wahr sind und flexibel in ihrer Anwendung, werden lange Zeit aktuell bleiben und nicht an Kraft verlieren. Mit der Zeit werden sich die Anwendungen von Methoden und die Erfahrungen der Übenden auf der ganzen Welt auf natürliche Weise ausweiten und alle acht Säulen des Yoga umfassen.
Diejenigen, die selbstbestimmt ganzheitliche Übungen praktizieren, bilden die Avantgarde. Von ihnen ausgehend wird sich das Feld des Yoga zunehmend auf die Förderung individueller Selbstständigkeit im ganzheitlichen Prozess der menschlichen spirituellen Transformation konzentrieren. In dem Ausmaß, in dem Erleuchtung über die Jahrhunderte auf der Welt in Erscheinung trat, war sie stets auf individuelle Selbstgenügsamkeit gegründet.
Die Rolle unserer Schulen und höheren Bildungseinrichtungen wird sich in diesem Prozess zunehmend erweitern. Denn die Menschen werden bemerken, dass sich das in ihrem Umfeld zuträgt und sie werden die notwendige Schulung verlangen. Der Unterricht in ganzheitlichen spirituellen Praktiken wird im ganzen Land in Yoga-Studios, Retreat-Zentren, Berufsschulen und Universitäten stattfinden. Doch zuerst wird es dazu zu Hause bei den Übenden überall kommen. Das ist wie ein großes und breitgefächertes Netzwerk, das sich ausweitet, bis jeder davon berührt wurde.
Das Unterrichten beginnt zu Hause bei unseren Kindern, und zwar auf Wegen, die sie ihr Leben lang inspirieren können, ohne ihnen das in der Gegenwart aufzudrängen. Wie man die eignen Kinder unterrichtet, wird detailliert in Lektion 256 behandelt.
Heutzutage ereignet sich in Millionen von Menschen eine spirituelle Transformation. Das ist etwas Neues, das sich im Laufe des letzten Jahrhunderts beständig beschleunigte – ein Aufkommen von Yoga und spiritueller Praktiken im großen Stil. Dabei handelt es sich um ein globales Phänomen. In dieser mit Energie geschwängerten Situation wird schon ein wenig richtige Information sehr viel bewirken. Individueller Wunsch bzw. Bhakti und tägliche Übungen werden sich um das Übrige kümmern.
Wir wollen also alle das tun, wozu uns unsere innere Stille antreibt – in unseren Übungen und bei unserem Unterrichten. Und auf alle Fälle wollen wir dabei Spaß haben!
Update 2019: AYP Yoga Alliance Yoga Lehrer Ausbildungen gibt es seit 2017. Mehr Informationen dazu findet man auf der AYP-Real-World-Program-Seite (englisch).
Der Guru ist in Dir!
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