Lektion 56 – Sambhavi – Öffnung des dritten Auges

Lektion 56 – Sambhavi – Öffnung des dritten Auges

In der letzten Lektion haben wir Mulabandha vorgestellt. Damit stimuliert man den Wirbelsäulennerv (Sushumna) in der Nähe des unteren Endes und regt dadurch den Fluss der sexuellen Energie nach oben an. Jetzt gehen wir an das obere Ende des Wirbelsäulennervs und beginnen dort eine Verbindung herzustellen.

Eine Verbindung mit was? Das ist eines der erstaunlichsten Dinge, wenn man mit dem Wirbelsäulennerv arbeitet. Wird der Wirbelsäulennerv allmählich durch Pranayama und Meditation gereinigt, wird eine neue Art von Erfahrung möglich. Wir beginnen sexuelle Energie zu erwecken, aus der Nähe der Wurzel in eine Aufwärtsbewegung zu bringen und dann stellen wir eine Verbindung zwischen dem unteren und oberen Ende des Wirbelsäulennervs her. Diese Verbindung ist etwas Reales und kann vom Übenden klar als eine Art Leitfähigkeit durch den Wirbelsäulennerv, eine ekstatische Leitfähigkeit, wenn du so willst, wahrgenommen werden. Der Wirbelsäulennerv wird zu einem Leiter für ekstatische Erfahrung. Von dort breitet sie sich über alle Nerven des Körpers aus. Das nimmt man direkt durch alle fünf Sinne wahr, die im Inneren des Körpers wirken. Wenn die Erfahrung ekstatischer Leitfähigkeit tiefer in jede Zelle des Körpers eindringt, richten sich auch die Sinne nach innen aus. Die Erfahrung ist so angenehm und so bezaubernd, dass die Sinne nicht widerstehen können und nachfolgen. Das ist eine einzigartige Situation, in der die Sinne bereitwillig nach innen anstatt nach außen gehen. In der Yoga-Terminologie nennt man das Pratyahara – das Einziehen der Sinne nach innen. Diese Reaktion ist etwas vollkommen Natürliches, sobald die Erfahrungen von riesiger innerer Wonne unsere Sinne nach innen führen. Es ist zugleich ein großes Vergnügen. Manch einer sagt, das sei ein größeres Vergnügen als weltlicher Sex. Gut, du kannst dir selbst ein Urteil darüber bilden.

Mit Mulabandha haben wir mit dem Prozess der direkten Stimulation von ekstatischer Leitfähigkeit im Körper begonnen. Die ersten Male stimuliert das sexuell und man wird dadurch etwas abgelenkt. Doch die vitalen Essenzen arbeiten sich langsam weiter nach oben und beleben die höheren Energiezentren im Körper. Mit der Zeit wächst diese Erfahrung in etwas hinein, das ausgedehnter ist als weltliche sexuelle Gefühle. Um diesen Prozess zu erleichtern, werden wir noch weitere fortgeschrittene Yoga-Übungen anwenden. Jeder Erfahrungsebene begegnen wir auf ganz natürliche Weise, sobald die Tür mit den notwendigen Hebeln ein wenig aufgeschlossen wurde. Der menschliche Körper ist für die Ekstase geschaffen und schon ein klein wenig davon ist genug, den Skeptiker zu überzeugen. Es gibt nichts Besseres als direkte Erfahrung. Das Ziel dieser Lektionen ist es, dich in die Lage zu versetzen, direkte Erfahrungen zu machen. Du sollst dich also hier mit Übungen befassen, die auf deinen eigenen Erfahrungen aufbauen, statt auf reine Nachahmung oder blinden Glauben. Dein Fortschreiten durch die fortgeschrittenen Yoga-Übungen ist so entworfen, dass es immer erfahrungsorientiert bleibt.

Wir stimulieren also jetzt den Wirbelsäulennerv dort, wo er auf den Punkt zwischen den Augenbrauen trifft. Diese Stimulation trägt den Namen „Sambhavi“. Wir wenden das während unserer gewöhnlichen Pranayama-Sitzung an und machen auch alles andere, was wir bisher schon gelernt haben. Versichere dich, dass du in deiner Pranayama-Übung gefestigt bist, wenn du daran denkst, Sambhavi anzugehen. Aber auch, wenn die Dinge mit Mulabandha noch etwas hektisch ablaufen und die sexuelle Energie in den unteren Regionen noch herumhüpft, ist es trotzdem in Ordnung mit Sambhavi anzufangen, weil Sambhavi dabei helfen wird, die sexuelle Energie höher nach oben zu bringen, wo sie größere Stabilität erreicht. Sambhavi und Mulabandha arbeiten dabei Hand in Hand – sie stimulieren und stabilisieren die sexuelle Energie, die während der Wirbelsäulenatmung den Wirbelsäulennerv hinauf- und hinunterwandert.

Sambhavi besteht aus zwei Hauptteilen. Zuerst setzt man ein sanftes Runzeln der Stirn am Punkt zwischen den Augenbrauen. Dadurch bewegen sich die beiden Augenbrauen leicht in Richtung Mitte. Das ist aber kaum körperlich wahrnehmbar und bleibt meist eine bloße Absicht. Es ist nur so weit physisch, dass es ein Feedback abgibt, worum sich eine Gewohnheit bilden kann. Unter normalen Umständen wird das für einen äußeren Beobachter nicht sichtbar sein – möglicherweise nur ein wenig in der Anfangsphase. Mit etwas Übung wirst du feststellen, dass dies wirklich eine innerliche Bewegung ist, die in das Zentrum deines Gehirns zurückreicht und das Zentrum deines Gehirns nach vorne zum Punkt zwischen den Augenbrauen zieht. Diese innere Aktivität beginnen wir mit dem gerade beschriebenen Stirnrunzelimpuls. Das wird sich danach natürlich entwickeln, sobald sich die ekstatische Leitfähigkeit einstellt. Du wirst fühlen, wie das im Inneren deines Kopfes arbeitet.

Die zweite Komponente von Sambhavi ist das körperliche Heben der Augen zu dem Punkt, an dem das Runzeln zwischen den Augenbrauen stattfindet. Zu dem Punkt, an dem das Runzeln zwischen den Augenbrauen fühlbar ist, gehen die Augen. Dazu ist es nötig, die Augen etwas anzuheben und zu zentrieren. Während wir das tun, halten wir die Augen bequem geschlossen. Wir zwingen die Augen nicht. Anfangs mögen sie vielleicht nicht so weit nach oben gehen, wie wir das wünschen. Das ist in Ordnung. Zwinge sie nicht. Lass sie nur auf ganz natürliche Weise durch die Empfindung des Runzelns zum Punkt zwischen den Augenbrauen hingezogen sein. Noch einmal, das ist eine feinsinnig körperliche Angewohnheit, die wir kultivieren wollen. Hat man die Gewohnheit einmal aufgebaut, ist die Aufmerksamkeit frei für das Atmen durch die Wirbelsäule. Beim Pranayama ist alles körperliche Angewohnheit, außer der Aufmerksamkeit, die ganz locker und einfach mit dem Atem entlang des Wirbelsäulennervs auf- und abgeht. Sobald wir das beherrschen, läuft alles automatisch ab und unsere Aufmerksamkeit ist völlig frei, leicht und locker im Inneren unseres Wirbelsäulennervs, der durch unser inneres Sehen transformiert wird, nach oben und unten zu wandern.

Während wir diese beiden Dinge gleichzeitig tun, das leichte Runzeln des Stirnzentrums und das Heben und Zentrieren der Augen auf den Punkt zwischen den Augenbrauen, fahren wir mit all den anderen Elementen des Pranayama ganz wie zuvor fort. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Augen beim Auf- und Abwandern der Aufmerksamkeit durch den Wirbelsäulennerv mit dem Atem auf den Punkt zwischen den Augenbrauen nach oben gerichtet bleiben. Wir blicken nicht mit unserer Aufmerksamkeit durch die physischen Augen auf den Punkt zwischen den Augenbrauen. Unsere Aufmerksamkeit wandert den Wirbelsäulennerv entlang nach oben und unten. Wir versuchen nicht mit unserer Aufmerksamkeit durch unsere physischen Augen auf den Punkt zwischen den Augenbrauen zu schauen. Die Augen sind darauf gerichtet, aber unsere Aufmerksamkeit wandert den Wirbelsäulennerv entlang nach oben und unten. Bei unseren physischen Augen betätigen wir in der Tat lediglich etwas die Muskeln. Wenn sie zu dem Punkt zwischen den Augenbrauen hochgehen, stimulieren die Augen den Wirbelsäulennerv den ganzen Weg zurück durch das Gehirn und den ganzen Weg hinunter durch die Wirbelsäule zum Perineum physisch. Wir setzen die Augen auf eine körperliche Art ein, um dadurch den Wirbelsäulennerv zu erwecken. Währenddessen ist unsere Vorstellungskraft (unsere Aufmerksamkeit) nach innen gerichtet und geht durch den Wirbelsäulennerv im Inneren locker hinauf und hinunter. Es ist eine neue Art des Sehens, das wir damit initiieren, ein inneres Sehen.

Abhängig davon, wie weit du mit der Reinigung deines Wirbelsäulennervs durch Pranayama bereits gegangen bist, kannst du möglicherweise beim Ausführen von Sambhavi den ganzen Weg hinunter in den Beckenbereich eine Empfindung wahrnehmen – oder auch nicht. Wie auch immer, der Wirbelsäulennerv wird durch die kombinierten Effekte aller bisher besprochenen Übungen stimuliert und gereinigt. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die ekstatische Leitfähigkeit aufzutreten beginnt und wir zu „sehen“ anfangen, wirklich zu sehen. Wenn sich das ereignet, wird es da noch mehr Meilensteine geben, die wir auf unserer Heimreise beobachten können. Zuerst erkennen wir den Wirbelsäulennerv im Inneren als ekstatischen Faden. Dann wird er zu einer ekstatischen Schnur; danach zu einem ekstatischen Seil; später wie eine große Säule von Ekstase, die unseren gesamten Körper ausfüllt. Schließlich geht er in alle Richtungen hinaus und umschließt sanft alles, was wir außerhalb unseres Körpers wahrnehmen. All das strömt aus dem Wirbelsäulennerv heraus. Du kannst also sehen, wie wichtig es ist, sich am Wirbelsäulennerv entlangzutasten und die ekstatische Leitfähigkeit zu kultivieren.

Auch bevor man mit fortgeschrittenen Yoga-Übungen anfängt, gibt es biologische Präzedenzfälle für das, was wir hier erörtern. Vielleicht konntest du selbst in der Vergangenheit einmal einige angenehme Gefühle in deiner Beckenregion wahrnehmen, wenn du deine Augen gekreuzt hast. Es ist allgemein bekannt, dass die Augen beim Sexualakt manchmal die Neigung haben, sich zu kreuzen und zu heben. Da gibt es einen Instinkt. Etwas in uns weiß, wie man die sexuelle Energie durch das Zentrum des Nervensystems nach oben befördert. Es ist eine uns innewohnende Fähigkeit, die wir besitzen und eine natürliche Reaktion, die wir beobachten können, noch bevor wir mit Yoga beginnen. Mit Mulabandha und Sambhavi aktivieren wir bewusst eine natürliche Fähigkeit in unserm Inneren, genau so wie wir das auch mit allen anderen fortgeschrittenen Yoga-Übungen, die wir von Beginn an diskutiert haben, getan haben. So ist es auch mit allen Übungen, die wir in Zukunft vorstellen. Wir erwecken systematisch, was wir bereits besitzen – unseren Wirbelsäulennerv, unsere Schnellstraße in den Himmel.

Der Punkt zwischen den Augenbrauen wird „drittes Auge“ genannt. Warum Auge? Was können wir damit sehen? Als Chakra trägt es die Bezeichnung „Ajna“, was „Befehl“ oder „Kontrolle“ heißt. Diese beiden Beschreibungen weisen auf die Bedeutung der Energiedynamik hin, die in unserem Kopf als Resultat fortgeschrittener Yoga-Übungen entsteht. Wir beginnen nicht nur, dort etwas zu sehen, wir haben das auch unter unserer Kontrolle.

Jesus sagt: „Ist dein Auge einzig, wird dein ganzer Körper voller Licht sein.“ [Mt 6,22]*

Das wird meist metaphorisch gedeutet: Wenn unsere Hingabe ungeteilt ist, werden wir mit dem Licht Gottes erfüllt sein. Das ist sicherlich wahr. Wir haben die Wichtigkeit von Hingabe auf der spirituellen Reise bereits betont. Ohne konzentrierte Hingabe an die spirituelle Transformation und Handlung in Form täglichen Übens wird nicht viel geschehen.

Diese Worte von Jesus haben aber auch eine wörtliche Bedeutung – eine sehr wörtliche Bedeutung. Wenn deine Aufmerksamkeit auf den einen Kanal des Wirbelsäulennervs fokussiert, und immer wieder zum Punkt zwischen den Augenbrauen zurückgebracht wird, erfüllt das den Körper mit Licht. So läuft das wirklich ab. Sambhavi ist eines der wichtigsten Mittel, durch die das dritte Auge geöffnet wird. Das Öffnen des dritten Auges aktiviert auch alles, was darunter ist. Sambhavi hat über den Wirbelsäulennerv direkten Einfluss auf die sexuelle Energie. Nimmt die Reinigung des Nervensystems zu, gibt uns Sambhavi ein großes Maß an Kontrolle über die Kultivierung und das Aufsteigen der sexuellen Energie. Das wiederum führt zu vermehrter Erfahrung von Ekstase im Körper, was tiefgreifende Erfahrungen des durch jeden Nerv in uns schäumenden göttlichen Lichtes einschließt. Unser ganzer Körper ist dann „voller Licht“.

Wenn diese Transformation weitergeht, beginnen wir auch, über unseren Körper hinauszusehen. Wir werden herausfinden, dass der Wirbelsäulennerv nicht am Punkt zwischen den Augenbrauen aufhört, sondern sich weit darüber hinaus erstreckt. Sobald wir das beobachten, wird unsere Wirbelsäulenatmung in eine neue Dimension eintreten. Das dritte Auge öffnet sich!

Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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