Lektion 408 – Samyama, Muskelschmalz und Nicht-Dualität

Frage: Du hast gesagt, die Samyama-Praxis würde dafür gut sein, dass sie der tiefen Meditation hilft, innere Stille zu kultivieren und dass sie auch gut sei für die Kultivierung von „Stille im Handeln“. Ich habe Schwierigkeiten, diese als dasselbe anzusehen. Wenn wir damit beschäftigt sind, Dinge in der Welt zu erledigen, wie kann das Stille sein? Ich kann den stillen Zeugen verstehen, den unberührten Beobachter, der sich als Subjekt aller Objekte der Erfahrung bewusst ist. Wie wird dies zur „Stille im Handeln“, und wie bringt Samyama das hervor?


Antwort: Zuerst muss gesagt werden, dass das Aufkommen der inneren Stille (Zeuge) und die Ausdehnung davon in das, was wir „Stille im Handeln“ nennen, etwas Erfahrungsgemäßes ist. Wir können über derartige Dinge in der Vorstellung sprechen und daraus kann uns etwas Inspiration für das geflissentliche Ausführen der Übungen erwachsen. Doch letztendlich ist es die Erfahrung, die unsere Beziehung zu Übungen, dem Zeugen, der Stille im Handeln und einem sich daraus ergebenden Sinn für die Nicht-Dualität bestimmt. Dies führt uns zu einer aus der Erfahrung gewonnenen Erkenntnis: Alles ist DAS, das keine Eigenschaften besitzt, selbst wenn sich göttliche Liebe ausdehnt und mit der Verwirklichung in die Welt fließt. Das ist ein sonderbares Paradox. Man kann es mit dem Verstand nicht erfassen. Man kann es nur erfahren.


Trotzdem sprechen wir ständig darüber? Warum? Damit wir einen gewissen Kontext für die Anwendung der Hilfsmittel zum Erlangen der Erkenntnis herstellen. Sobald die Erfahrung einmal aufkommt, wird für uns die Notwendigkeit geringer, einen Kontext zu schaffen, weil wir dann den Gegenstand selbst kennen. Trotzdem können wir immer noch darüber sprechen, um andere davon profitieren zu lassen und auch, um über unseren eigenen Zustand Klarheit herzustellen. Und so geht es mit all den Beschreibungen des Unbeschreibbaren und der Betonung von „Stille im Handeln“, der Verkündung dessen, was man nicht verkünden, sondern nur erfahren kann.


Lass also all diese Information über deine Bewusstheit spülen und lass das in die Stille gehen. Gib die Versuchung auf, sie in eine Schachtel mit der Aufschrift „Philosophie“ zu stopfen. Auf diese Weise kann die Information am meisten Gutes ausrichten.


Samyama ist eine Technik, die uns dabei hilft, die Gewohnheit der Verfeinerung unserer Absichten und Handlungen in der Stille zu entwickeln. Und ja, Samyama stärkt und festigt auch innere Stille in unserer Natur. Wie wir wissen, stützt sich Samyama auf die Gegenwart von einiger bleibender inneren Stille, die zuvor durch die tiefe Meditation gewonnen sein muss. Damit sind wir in der Lage, Absichten in die bleibende inner Stille (dem Zeugen) loszulassen und ihre Anwesenheit und ihren Einfluss enorm auszuweiten.


Was beim Samyama geschieht, gehört ins Reich der Paradoxie. Das haben wir bereits erörtert und sind in den Kern davon vorgedrungen. Unsere Absicht wird in die Stille losgelassen und die Stille bewegt sich. Wir bewegen die Stille nicht. Die Stille bewegt sich, in Erwiderung auf die Absicht, die ihr hingegeben wird, von selbst. Das Ergebnis entspricht diesem Fluss, nicht unserem persönlichen Wunsch oder Absicht. Deshalb haben wir es oft als göttlichen Fluss oder Ausfließen bezeichnet. Es ist gleichzeitig die Essenz von effektivem Gebet. Der Fluss entspricht der Notwendigkeit der Situation, auch wenn das über unsere Fähigkeit zu verstehen hinausgeht. Aus diesem Grund hängt ein effektives Samyama nicht nur von unserer Hingabe der Absichten ab, sondern ebenso von der Hingabe an das Ergebnis. Wir beschäftigen uns auf diese Weise mit einer vorher festgelegten Liste von Sutras in täglichen strukturierten Übungen. So können wir allmählich die Fähigkeit entwickeln, auf diesem vereinheitlichten Weg der Stille alle Aspekte unseres Lebens zu leben.


Wie jeder weiß, der täglich die Samyama Übung praktiziert, ist dies kein abstrakter oder passiver Prozess. Man kann wirkliche innere Energieflüsse als direkte Wirkung der Samyama Übung beobachten. Man kann auch eine Beziehung zwischen realen Ereignissen in der Welt und unserer Praxis beobachten. Manche mögen diese als „wundersame“ Begebenheiten ansehen. Wir wissen vielleicht nicht genau, was geschehen wird. Doch wir können sicherlich feststellen, dass der Lebensfluss auf positiven und kreativen Wegen durch die Stille beeinflusst wird, bei deren Aktivierung wir das Unsere beigetragen haben.


Von unserer Seite aus liegt es ganz an dir, dich neben der Beschäftigung mit einer effektiven täglichen Übungsroutine auf produktiven Wegen in der Welt einzubringen. Stille wird im Handeln am wirkungsvollsten sein, wenn wir handeln. Eine geprüfte und wahre Formel für ein Maximum an persönlicher Entwicklung und Entwicklung von allem, was uns umgibt, ist „Samyama plus Muskelschmalz“. Muskelschmalz will sagen, dass wir aktiv bleiben sollten und uns voll und ganz für alles einsetzen sollten, aus was unser Leben jeden Tag besteht. Das ist eine Formel für die Stabilisierung innerer Stille (Zeuge) in unserem Nervensystem als eine Vollzeitrealität und für die Ausweitung der Eigenschaft von Stille in ein Handeln in der Welt. Handeln wir nicht, wird die Betätigung von Stille in der Welt begrenzt sein.


Sind wir einmal darauf eingeschwenkt, kultivieren wir innere Stille in der Tiefen Meditation und aktivieren wir diese mit Samyama sowie unserer täglichen Aktivität, dann finden wir zu einer Erfahrung der aufkommenden Einheit (Nicht-Dualität). Das bedeutet nur, dass wir beginnen zu bemerken, dass wir das sind, was uns umgibt und auch die Handlungen sind, mit denen wir beschäftigt sind – selbst während wir DAS sind, was keine Eigenschaften besitzt und nichts tut. Tatsächlich stellen wir fest, dass wir überhaupt nichts sind, auch wenn wir alles sind und alles tun!


Das ist die erfahrungsgemäße Erkenntnis der nicht-dualen Natur der Existenz, was auch das natürliche Ergebnis der Kultivierung von Stille im Handeln ist. Es ist etwas, das man nicht erfassen kann, das aber trotzdem ständig voller Freude ist. Nur die Erfahrung zählt, nicht die Vorstellung. Lass die Vorstellung völlig in die Stille los und du bekommst vielleicht an Ort und Stelle und im Augenblick einen Geschmack davon.


Alles hängt von den täglichen Übungen ab und vom Hinausgehen mit der Anwendung von viel Muskelschmalz im täglichen Leben. Das ist kein Pfad für die Faulen. Es gibt keine Fahrt umsonst. Jeder macht so viele Fortschritte, wie es seiner eigenen Anstrengung entspricht.


Erleuchtung ist kein statischer Zustand, kein Zustand der Nicht-Aktivität. Es ist ein Zustand der grenzenlosen Aktivität in der Stille. Manchmal müssen wir uns vielleicht selbstabstimmen, damit wir den Körper/Geist nicht gefährden. Wir ermutigen niemanden, sich auszubrennen. Andererseits ist Erleuchtung auch nichts für Couch-Potatoes. Erleuchtung ist immer ein Prozess der Reinigung und Öffnung, immer eine höhere Manifestation in deren Richtung wir uns bewegen können. Es ist der nie endende Prozess des Lebens, der große Fluss der Evolution, den wir stimulieren und navigieren.


Sobald wir ein Gespür für die Nicht-Dualität entwickelt haben, kann da die Versuchung auftauchen, anzunehmen, dass wir angekommen sind und uns also auf die Couch niederzusetzen. Wir hören vielleicht sogar auf, unsere Übungen zu machen. Möglicherweise nehmen wir an, dass es nichts mehr zu lernen gibt und wir nur noch das lehren sollten, was wir als die letztendliche Erkenntnis gefunden haben. Das ist ein weitverbreiteter Fehler. Nicht, dass wir nicht von unserer Ebene der Erkenntnis aus lehren sollten, wie immer diese aussehen mag. Wir sollten das alle tun, um anderen zu helfen. Dienst ist Teil unseres Pfades. Doch es ist ein Fehler anzunehmen, dass wir am Ende angekommen sind. Denn es gibt gar kein Ende. Wir mögen vielleicht fühlen, dass wir am Ende angekommen sind, doch die Evolution geht überall weiter. Wir sind von ihr nicht ausgeschlossen. Fühlen wir, dass wir aus der Evolution herausgenommen sind, dann ist das eine duale Sichtweise, eine Illusion. So lange das Leben weitergeht, gibt es kein Ende, nicht für uns und auch für niemand anderen. Wir wollen vielleicht aus dem Zug aussteigen, doch dies ist eine Handlung in der Dualität und diese Handlung ist weit mehr dualistisch, als wenn wir weiter handeln, um unsere Evolution, die die Evolution von allen ist, voranzubringen.


Es gibt da draußen die Vorstellung, dass Dualität und Nicht-Dualität sich gegenseitig ausschließen. Das ist nicht so. Die ganze Ansicht von „gegenseitig ausschließend“ ist dual. Durch die Annahme und das Engagement in der Dualität in Stille, wird Nicht-Dualität erkannt, ohne den offensichtlichen Widerspruch, den man in der philosophischen nicht-dualen Sichtweise findet oder der fragmentierten Erfahrung von Einheit. Das ist eine Illusion im Verstand, wo Subjekt und Objekt stark eingefurcht bleiben. Wir müssen an den Ort der völlig aktiven Stille kommen. Das haben wir auch „aktive Hingabe“ genannt. Es ist eine erfahrungsbezogene Erweckung, die in der Neurobiologie wurzelt, keine intellektuelle Erweckung im Verstand.

Nicht-Dualität kann man nur erkennen, wenn Subjekt und Objekt verschmolzen sind, und dazu kann es nur durch Engagement im Handeln in der Stille, Stille im Handeln kommen. Samyama kultiviert dies, indem es Absichten mit Handlungen in der Stille verschmilzt. Das manifestiert sich draußen im Feld des Handelns (Muskelschmalz). Dabei werden diese zwei wesentlichen Aspekte des Lebens (innerlicher und äußerer) in direkter Erfahrung verschmolzen. Samyama dient der Förderung dieses Prozesses.


Wir kommen zurück zu einem Ausdruck, den wir hier schon von Zeit zu Zeit benutzt haben: „Das EINE ist die vielen und die vielen sind das EINE.“


Der Verstand kann das nicht verstehen. Man kann es nur erfahren. Dafür haben wir die systematische Anwendung von Übungen.


Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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