Lektion 301 – Gebete und die Prinzipien von Samyama
Das Gebet ist die spirituelle Übung, die bei allen religiösen Traditionen auf dem Planeten am weitesten verbreitet ist. Gebete begegnen uns in vielen kulturellen Formen und Ritualen. Doch im Wesentlichen handelt es sich überall um dieselbe Übung. Dazu gehört, dass man die Aufmerksamkeit auf ein Objekt oder eine Reihe von Objekten richtet,
Wiederholung,
und Hingabe des Objekts an das Göttliche.
Kommt das irgendjemandem bekannt vor? Das sollte es. Denn das entspricht genau den Prinzipien von Samyama, wie wir sie anwenden. Das sollte nicht überraschen. Die Prinzipien von Samyama sind universell und in uns allen enthalten. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Gebetspraxis jeder religiösen Tradition. Die Prinzipien von Samyama sind jedem angeboren und aus diesem Grund stellt man auch seit Tausenden von Jahren fest, dass Gebete mehr oder weniger funktionieren.
Was meinen wir damit, wenn wir sagen, dass »Gebete mehr oder weniger« funktionieren?
Sicherlich werden nicht alle Gebete zu unserer Zufriedenheit beantwortet. Je mehr wir äußerlich von einem bestimmten Ergebnis eingenommen sind, das wir uns von dem Gebet erhoffen, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass dieses bestimmte Ergebnis sich einstellt. Die Ursache dafür ist, dass die Kultivierung von Erwartungen für ein bestimmtes Ergebnis kein wirkliches Gebet (oder Samyama) ist. Erwartungen sind äußere Projektionen des Verstandes, die wenig mit Gebet zu tun haben. Unsere persönlichen Wünsche führen zu einem Kurzschluss beim göttlichen Ausfluss.
Dagegen ist es eine ganz andere Geschichte, wenn wir ein bestimmtes Objekt in unseren Gebeten offerieren und es in die innere Stille (das Göttliche) in uns loslassen, ohne irgendwelchen Erwartungen nachzuhängen. Dies wird immer zu einem Ergebnis führen. Nicht unbedingt genau zu dem, was wir erwartet haben, doch auf jeden Fall zu etwas Fruchtbarem. Das Ergebnis von Gebeten hängt von unserer Hingabe ab, nicht von unseren Erwartungen. Dies ist das Entscheidende bei Gebeten.
Die Hingabe des Objekts an das Göttliche ist das wesentliche Wirkprinzip beim Gebet.
Dies findet in der Bibel wunderschön seinen Ausdruck in dem Satz: »Dein Wille geschehe.«
Das ist keine Aufforderung, ein passives Leben ohne aktive Teilnahme zu führen. Wirkliche Hingabe ist nicht passiv. Sie ist außerordentlich dynamisch. Es ist das Aufkommen des aktiven Zeugen. Es ist die Geburt der Stille im Handeln. Alle Arten wunderbarer Ereignisse werden sich aus dieser Art des Erwachens – dieser Art der aktiven Hingabe ergeben.
Effektives Gebet ergibt sich aus einer effektiven Beziehung zum Göttlichen in unserem Inneren. Dies ist eine dynamische Beziehung. Bei dieser Art von Beziehung lenkt man die Aufmerksamkeit auf viele Dinge, manchmal in strukturierter Übung, manchmal spontan. Mit dem Aufkommen von Stille im Handeln wird der natürliche Fluss von Wünschen ständig auf höhere Ebenen angehoben und so auch die Objekte, die man auswählt und in die Stille entlässt. Und der göttliche Fluss strömt aus dem Inneren heraus. Durch sein eigenes Momentum [Schwung] wird er immer mehr verstärkt, wie ein Schneeball, der den Berg herunterrollt. Das ist aktive Hingabe!
Unsere eigenen Aktivitäten im täglichen Leben sind Teil dieses Prozesses. Wir können sehr aktiv sein beim Verfolgen unserer Ziele im Leben und gleichzeitig hingegeben. Tatsächlich werden unsere spirituellen Übungen und Gebete umso effektiver, je aktiver wir unsere Ziele verfolgen. Es gibt das Sprichwort: »Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.« Das entspricht auch der Wahrheit. Es gilt vor allem für all jene, die täglich spirituelle Übungen praktizieren, weil Stille sehr aktiv wird und dies bedeutet: Handlung in der Form ausströmender göttlicher Energie.
Bei den Objekten unserer Gebete können wir zusätzlich noch etwas nützliches Wissen von den Samyama-Prinzipien anwenden, wenn wir bedenken, wie wir das Sutren-Konzept am besten umsetzen. Erinnere dich daran, dass ein Sutra ein Codewort oder -satz ist, das eine Bedeutung enthält, die in den Samen unserer Sprache tief in unserem Bewusstsein gelagert ist.
Haben wir ein Sutra verstanden, bevor wir mit der Samyama-Übung beginnen, dann brauchen wir es nicht während der Samyama-Übung verstehen. Wir greifen es nur auf und lassen es wieder los. Das Wort oder der Ausdruck enthält die Bedeutung. Dies ist ein äußerst effektiver Weg, Inhalt in die Stille zu entlassen, auch Gebete. Wir verkleinern das sprichwörtliche Kamel so, dass es leicht durch ein Nadelöhr passt, um in die Stille zu gelangen. Von da an übernimmt die innere Stille das Kommando.
Betrachten wir einmal ein praktisches Beispiel. Haben wir einen lieben Verwandten oder Freund, der krank ist, dann wollen wir vielleicht für sie/ihn beten. Wir kennen ihren/seinen Namen und dass sie/er krank ist. Tief in uns tragen wir die Essenz von dem, was er/sie ist. Das befindet sich tief in unserem Bewusstsein.
Wie beten wir also am besten für diese Person? Muss das ein langes, ausgearbeitetes Gebet sein? Wäre das der Fall, wie sollten wir so ein langes und ausgearbeitetes Gesuch in die Stille hingeben. Unser Gebet mag reich an Worten sein, doch wie können wir all die Reichhaltigkeit durch das Nadelöhr in die Stille hineinschieben? Die Stille braucht unsere ausgearbeiteten Worte nicht. In diesem Fall ist ein Weniger mehr.
Es ist viel besser, einfach den Namen der Person zu wiederholen, diesen Namen schwach aufzugreifen und in die Stille los- und für rund 15 Sekunden ruhen zu lassen, um dann den Namen noch einmal am Rande der Stille in sehr schwacher Weise zu berühren. Dann können wir ihn wieder loslassen.
Und auch noch einmal, so oft, wie wir fühlen, dass es angebracht ist, aber nicht bis zum Punkt des Übermaßes und der Anstrengung. Alles, was wir über die Person wissen und alles, was nötig ist, die göttliche Heilenergie zu beleben, ist in der einfachen Vorgehensweise des Loslassens ihres Namens in die göttliche Stille enthalten. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass die göttliche Heilenergie durch unsere Gebete angeregt wird. Das ist sehr einfach.
5 – 10 Minuten ist eine gute Zeitperiode, sich in ein Gebet zu vertiefen, wenn wir es zusammen mit Samyama vorbringen. Das ist dann sehr kraftvoll, besonders, wenn wir zuvor durch die tiefe Meditation innere Stille kultiviert haben. Deshalb ist eine gute Zeit, für ein solches Gebet, bald nach unseren sitzenden Übungen. Wollen wir zu anderen Zeiten so beten, dann werden 5 – 10 Minuten tiefe Meditation gleich vor dem Gebet helfen, eine gute Ausgangslage für die innere Stille zu stabilisieren. Tun wir dies, wird unser Gebet kraftvoller.
Der Grad der Hilfe, die von jemand anderem empfangen werden kann, hängt natürlich auch vom Grad der Empfänglichkeit ab. Deshalb ist es gut, wenn die Person in Not sich dessen bewusst ist, dass für sie gebetet wird. Die Empfänglichkeit macht sogar den größeren Teil der Gleichung aus. Wäre dies nicht der Fall, dann hätten ernsthafte Gebete eine viel größere Wirkung, als dies oft der Fall ist. Ist der Empfänger offen und empfänglich, dann wird das ganze Universum eilen, um alles, was nötig ist, herbeizuschaffen. So heißt es ja auch: »Dein Glaube hat dich geheilt.«
Es ist eine gute Idee, nach einem Gebet im Samyama-Stil noch extra auszuruhen. Denke daran, dass wir auch unsere eigene innere Reinigung und Öffnung vorantreiben, während wir anderen helfen. Deshalb ist es ratsam, danach etwas auszuruhen, um möglicherweise auftretende Gereiztheit, wenn wir aufstehen und in unsere täglichen Aktivitäten hinausgehen, zu verhindern.
Dieselbe Art Vorgehensweise kann man auch bei traditionellen Gebeten anwenden: Zuerst meditiert man für 5 – 10 Minuten, greift dann einen Satz oder eine Zeile des traditionellen Gebets schwach auf und entlässt das in die Stille, dann lässt man 15 Sekunden los, bevor man den nächsten Satz oder Zeile aufgreift. Man kann auch mit einem Rosenkranz oder einer Mala arbeiten.
In vielen Traditionen nutzt man Gruppengebete, um die Wirkung des individuellen Gebetes zu vervielfachen. Verfeinern wir unsere Gebete durch Nutzung der Prinzipien von Samyama und wenden wir das in der Gruppe an, können die Wirkungen sehr stark vergrößert werden. Die Gebetsgruppe muss dabei nicht physisch an ein und demselben Ort versammelt sein. Es hat sich herausgestellt, dass das koordinierte Gebet von vielen Menschen an vielen verschiedenen Orten zur gleichen Zeit, wenn es zeitlich synchronisiert ist, in ihren positiven Wirkungen sehr kraftvoll ist. Mit der Verbreitung des Internets und der augenblicklichen weltweiten Kommunikation gibt es viele Möglichkeiten in Gruppengebeten für das Wohlergehen von Familie, Freunden und der ganzen Menschheit zusammenzuarbeiten.
Der Guru ist in dir.
Neueste Kommentare