Lektion 45 – F&A – Die Atmung verlangsamt sich beim Pranayama
Frage: Seitdem ich mit dem Pranayama begonnen habe, hat sich bei meiner Atmung eine Veränderung vollzogen. Zuerst schien es, als ob ich keinen richtigen Rhythmus finden könnte und mein Luftbedarf kam während meines langsamen Atmens zu früh oder zu spät. Aber in letzter Zeit regelt sich das immer besser ein. Ich scheine genug Luft zu haben, auch wenn ich immer langsamer werde. Manchmal scheint mein Atem sogar an bestimmten Stellen des Zyklus auszusetzen. Ist das normal? Füge ich mir Schaden zu, wenn mein Atmen so langsam wird, dass er fast stehen bleibt.
Antwort: Was du da erfahren hast, ist sehr gut. Es ist ein Hinweis darauf, dass im Untergrund, in deinem Nervensystem, ein Verfeinerungsprozess im Gange ist und Lebenskraft aus deinem Inneren freigesetzt wird. Diese macht deine verminderte Sauerstoffaufnahme wett. Das ist der Grund dafür, dass du dich trotz verlangsamter Atmung wohl fühlst und nicht verspannst. Das ist eine normale Folge der Pranayama-Übung und es wird dir in keiner Weise schaden – solange du diesen Prozess nicht mit Mutwillen forcierst.
Hier ist ein großes natürliches Grundprinzip am Werk. Deshalb verfeinert Pranayama das Nervensystem so effektiv. Erinnere dich daran, dass Pranayama „Zügelung der Lebenskraft“ bedeutet. Wenn wir die Lebenskraft auf einfache und ungezwungene Weise zügeln, entsteht etwas. Die sanfte Zügelung des Atems generiert einen biologischen Vakuumeffekt, der eine kleine Sogwirkung auf die Lebenskraft in uns ausübt. Der Körper muss mit dem leichten Defizit an Lebenskraft (aus dem Atem) irgendwie auskommen. Er tut dies, indem er an dem riesigen Pranaspeicher in unserem Körper saugt und dieses Prana fließt aus den Tiefen des Nervensystems aus. Das ist eine neue Dynamik im Nervensystem und der Ausfluss von Prana aus dem Inneren hat auf die Nerven einen sehr entspannenden und reinigenden Effekt. Dieser gerade beschriebene Prozess ist zentral bei allen Wirkungen, die durch das Pranayama hervorgerufen werden. Gleich nach dem durch das Pranayama hervorgerufenen Prana-Fluss fließt auch das reine Glückseligkeitsbewusstsein in Üppigkeit durch uns – vorausgesetzt wir meditieren täglich.
Uns ist allen bekannt, welche Vorteile es hat, wenn wir in verschiedenen Lebensbereichen das Prinzip der Selbstbeherrschung anwenden. Wenn wir das sanft einschränken, was unsere unmittelbare Notwendigkeit im Leben zu sein scheint, profitieren wir davon ohne Ausnahme auf irgendeine Weise. Das ist insbesondere der Fall, wenn wir es vorher mit der Erfüllung von wahrgenommenen (oder eingebildeten) Notwendigkeiten übertrieben haben, wie wir das in unserer konsumorientierten westlichen Welt schnell geneigt sind zu tun. Der Spruch: „In der Genügsamkeit liegt die Kraft“, birgt tiefe Weisheit.
Ein sehr einfaches und offensichtliches Beispiel bietet das Essen. Wenn wir nur unser Essverhalten etwas zügeln, beginnen wir das Fett in unserem Körper zu verbrennen, weil damit die verminderte Nahrungsaufnahme kompensiert wird. Das wirkt reinigend auf den gesamten Körper und verbessert unsere Gesundheit – solange wir diesen Prozess nicht ins Extreme treiben und magersüchtig werden.
Dieses Prinzip der Zügelung funktioniert auf vielen Gebieten unseres Lebens. Wenn wir unsere Ausgaben auch nur ein wenig einschränken, entdecken wir, dass wir mehr Geld zur Verfügung haben. Wenn wir unseren Arbeitsplatz verlieren, was wir nicht immer als ein positives Ereignis in unserem Leben wahrnehmen, bekommen wir sehr oft eine bessere Stelle. Das Leben besitzt einen Weg das auszugleichen, was aus irgendeinem Grund vor uns zurückgehalten wird – oft sogar mit etwas Besserem. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir mehr Erfüllung im Leben finden, wenn wir unsere Ausschweifungen zügeln. Auf vielen Gebieten des Lebens stellen wir fest, dass weniger mehr ist.
Dieses Prinzip gilt auch in Bezug auf Meditation. Wenn wir uns ungezwungen dem Mantra zuwenden, zügeln wir sanft den endlosen Strom von Gedanken, in den wir fast andauernd eingetaucht sind. In der Meditation erzeugen wir einen Zustand des Verstandes, in dem die Aufmerksamkeit nicht auf Bedeutungen gerichtet ist. Dennoch halten wir den Verstand mit dem Mantra in einem aktiven Zustand. Wir haben den Verstand nicht schlafen gelegt. Indem wir der Aufmerksamkeit Gelegenheiten entziehen, sich an Bedeutungen zu heften, entsteht eine Art Vakuum im Verstand. Was ist die Folge davon? Gut, du kannst es dir schon denken. Die Aufmerksamkeit erreicht immer stillere Ebenen, bis der Verstand völlig zur Ruhe kommt – in der großen friedvollen Weite reinen Glückseligkeitsbewusstseins. Durch sanftes Zügeln des Gedankenflusses erschaffen wir ein Vakuum, das reines Glückseligkeitsbewusstsein in uns „hineinsaugt“.
Man sagt: „Die Natur verabscheut Vakuum und eilt es auszufüllen.“ Das ist wahr. Vieles im Yoga basiert auf der Anwendung dieses Prinzips, welches auch das menschliche Nervensystem dazu anregt, auf einem höheren Niveau zu funktionieren und Erfahrungen zu machen. Gewöhnlich neigen wir nicht dazu, uns freiwillig in Dingen zu zügeln, die wir als grundlegend für unsere Existenz erachten. Wenn wir aber das Prinzip des Ausgleichs, das überall am Werk ist, verstehen, werden wir Gelegenheiten finden, uns in unserm Leben mit größerer Geschicklichkeit vorwärts zu bewegen. Pranayama ist ein glänzendes Anwendungsbeispiel dieses Prinzips. Wie du sehen wirst, reicht Pranayama weit in das Wesen dessen, was wir wirklich sind und spielt eine wichtige Rolle im Prozess, uns aus der jetzigen Situation wieder herauszuziehen, so dass wir am Ende vor Ekstase strahlen.
Der Guru ist in dir
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