Lektion 157 – F&A – Was ist innere Stille?

Frage: Innere Stille wurde in diesen Lektionen viele Male erwähnt und von den Worten her scheint es einfach, doch würde ich gerne klarstellen, über was wir reden. Ich glaube, dass es Krishnamurti war, der vom Springen in den Raum zwischen mentalen Worten gesprochen hat. Ist es das, was innere Stille im Kontext dieser Lektionen bedeutet – dieser Raum ohne hörbaren Inhalt, in dem ich mich für eine Weile ausdehnen kann, bevor der Verstand von neuem zu plappern beginnt?

Ich habe auch bemerkt, dass ich beginne, während der Samyama-Übung lebhafte, mentale Bilder zu haben. Nichts Hörbares unterbricht die Stille, doch klare Bilder wie im Traum sind da. Ich vermute, dass dies bedeutet, dass ich im Sadhana einschlafe. Doch darin liegt eine andere Frage. Wird Meditation und Samyama so ausgeführt, dass man auf der Kippe zwischen tiefer Entspannung und Schlaf hin- und herwippt? Oder ist der Verstand vom Pfad des Schlafes abgekommen und hat eine andere Richtung eingeschlagen?

Antwort: Innere Stille bildet den Kern des Yoga. Ohne sie kann es keinen Yoga geben. In der zweiten Lektion (Lektion 11) haben wir erörtert, wie Yoga die Verbindung des Subjekts (dem Beobachter) mit dem Objekt (dem Beobachteten) ist. Das Objekt zu finden, ist nicht so schwer. Es ist alles, was wir in unserem Herzen und Verstand und draußen durch die Sinne wahrnehmen. Das Objekt ist überall. Das gleiche gilt für das Subjekt. Doch das Subjekt ist nicht immer so offensichtlich. Das Subjekt ist die innere Stille, über die wir hier so oft gesprochen haben.

Was ist innere Stille? In den verschiedenen Traditionen hat sie viele Namen: Sat-Chit-Ananda, das Selbst, der Zeuge, unbedingte Bewusstheit, das Nichts, die Leere, Gott Vater, Shiva, Samadhi, Tao und so weiter … In diesen Lektionen nennen wir sie oft reines Glückseligkeitsbewusstsein. So viele Namen für das, was eigentlich nichts ist. Doch das Nichts ist lebendig. Es ist bewusst. Es ist überall. Und es ist etwas Glückseliges in sich selbst. Es ist das „Ich“ in Dir und in mir, das beständig bleibt. Es ist das universelle „Ich“, das sich ausdrückt als alles, was wir sehen, und doch meist im Inneren verborgen bleibt, außer bei denen, die Selbst-Bewusstheit durch Yoga kultiviert haben. Erfolg bei dieser Kultivierung bringt einen Zustand der Freiheit von dem ständigen Auf und Ab in dieser Welt, selbst wenn wir weiter in unseren täglichen Aktivitäten aufgehen.

Im Yoga geht es um das Aufdecken unseres „Ich“, es in seinem ursprünglichen, uneingeschränkten Zustand zu erfahren. Im Yoga soll die Frage beantwortet werden: „Was bin ich?“ und dass man das dann bewusst wird. Unser Nervensystem hat die Fähigkeit, uns diese Erfahrung zu vermitteln und noch mehr. Deshalb wird das menschliche Nervensystem auch „Tempel Gottes“ genannt.

Mit direkter Erfahrung aufgrund von Übungspraxis können wir von der Philosophie bzw. Theorie der inneren Stille bis zu ihrer Realität gelangen. Den Sprung von der Theorie zur Realität findet man in den Wegen, auf denen unser Nervensystem verschiedene Formen der Bewusstheit manifestiert. Das Nervensystem hat verschiedene Betriebsarten, die wir als verschiedene Bewusstseinszustände unterscheiden können. Es gibt drei Formen des Bewusstseins, die wir alle gut kennen:

1. Den Wachzustand – was wir in unserem täglichen Leben erfahren.

2. Den Traumzustand – was wir manchmal im Schlaf erleben.

3. Den traumlosen Tiefschlaf – wovon wir nicht viel erleben, doch wir waren irgendwo.

Innere Stille ist ein Zustand, der sich deutlich von diesen dreien unterscheidet. Wir erkennen ihn in unserer tiefen Meditation als glückselige Bewusstheit ohne Objekte. Oder es kann auch mit Objekten wie Gedanken, Gefühlen oder was auch immer vermischt sein. Doch in seinem ursprünglichen Zustand ist er objektlos. Im Yoga erhält er also seine eigene Zahl als spezifischer Bewusstseinszustand:

4. Innere Stille – das ist alles, wofür die bereits oben erwähnten beschreibenden Worte und Definitionen stehen. Im Yoga wird dies manchmal einfach „Turiya“ genannt. Turiya ist Sanskrit und bedeutet „der vierte Zustand“.

Der Unterschied zwischen innerer Stille und den anderen drei Bewusstseinszuständen ist der, dass innere Stille sich nicht verändert und im Nervensystem so kultiviert werden kann, dass sie als eine nicht endende Gegenwart die anderen drei Bewusstseinszustände auf jede denkbare Weise überlagert. Jene, die schon einige Zeit meditieren, können bestätigen, dass dies der Fall ist. Es beginnt als etwas innerer Frieden und als Bewusstsein einer stillen Eigenschaft, die mit und in den Objekten unserer Wahrnehmung mitexistiert. Dies geschieht bei äußeren Beobachtungen durch die Sinne und auch mit unseren Gedanken und Gefühlen. Wir sehen sie als die Objekte, die sie sind. Sie erscheinen uns außerhalb unserer unbedingten inneren stillen Bewusstheit. Mit täglichen Yoga-Übungen nimmt die innere Stille zu und wird zur Filmleinwand, auf die all unsere Erfahrungen projiziert werden. Wir werden zur Filmleinwand – der unendlichen Filmleinwand des Lebens.

Ist die innere Stille „der Raum zwischen mentalen Worten“ (Gedanken)? Ja, das ist sie. Es ist die Lücke, die wir manchmal erleben, wenn wir von einem Gedanken zu einem anderen überwechseln und von einem Bewusstseinszustand in einen anderen. Wenn die Musik für einen Augenblick anhält, sind wir mit innerer Stille, unserem Selbst, zurückgelassen. Eine Yogini oder ein Yogi erfährt innere Stille auch hinter und in Gedanken und im ganzen Leben. Wenn wir also während Samyama in die innere Stille loslassen, kann da etwas mentale Aktivität sein oder auch keine. Lassen wir los, ist unsere Aufmerksamkeit in der inneren Stille – vorausgesetzt wir haben etwas davon zuvor schon in tiefer Meditation kultiviert. Samyama und Erleuchtung (erste Stufe und darüber) hängen von der eingeborenen inneren Stille ab, die da ist, ob der Verstand nun „plappert“ oder nicht. Sie stellt sich auch im Zustand des Träumens beim Schlaf oder im Tiefschlaf ein – das ist dann innere Stille 24/7. Befindet sich das einmal im Ansteigen, werden wir bereit für den ernsthaften Yoga, der Vereinigung des Subjektes mit dem Objekt, und dies ist die Vereinigung der göttlichen Pole in uns, was zu dem Zustand der Vereinigung führt, bei dem alles als göttlicher Fluss des Einen erfahren wird.

Wir beginnen also in diesen Lektionen mit Meditation, weil wir die innere Stille, die Voraussetzung für den ganzen Rest, der im Yoga geschieht, zuerst kultivieren wollen. Befindet die sich einmal im Anmarsch, ist es möglich, viele Türen zu öffnen. Wenn Shiva (innere Stille) da ist, dann wird das Erwecken und Hegen der ekstatischen Vereinigung mit der Kundalini/Shakti möglich, und zwar als freudiges Erlebnis – anstatt eines traumatischen. Es ist der natürliche nächste Schritt. Haben wir die Meditation erst einmal zu einem Bestandteil unseres Lebens gemacht, ist es das, was wir in diesen Lektionen hier tun: Wir erwecken die Kundalini und machen uns an die Aufgabe heran, Subjekt und Objekt zu vereinigen. Das ist Yoga.

Zur Frage nach dem Einschlafen bei Samyama, Meditation usw.: Du kannst aus dem oben Gesagten erschließen, dass es nicht das Gleiche ist wie das Übergehen von einem Zustand (innere Stille) in einen anderen (wie Schlaf). In den Übungen geht es nicht um entweder oder. Wir können uns in beiden gleichzeitig befinden, was besonders bei der Meditation oft der Fall ist. Deshalb zählen wir die Zeit, in der wir uns in Gedanken oder „keine Gedanken“ während der Meditation „verlieren“ zur Übungszeit. Die Reinigung im Nervensystem geht unter diesen Bedingungen weiter. Driften wir in Samyama ab, greifen wir einfach locker und leicht die Sutren wieder auf, wo wir sie verlassen haben. In solch einem Fall sind wir von dem Sutra in eine Art Mischung der inneren Stille mit den subtilen Aromen des Sutras übergegangen. Sobald wir erkennen, dass dies geschehen ist, machen wir einfach dort weiter, wo wir abgekommen sind. Die Zeit für das Durchgehen durch Samyama kann in diesem Fall etwas ausgedehnt werden. Überkommt uns so etwas wie Schlaf immer wieder in einer bestimmten Samyama-Sitzung, können wir die Sitzung für beendet erklären und uns zum Ausruhen ein wenig niederlegen. Das ist auch gutes Samyama. Es kann dazu kommen, wenn viele Blockierungen freigesetzt werden. Innere Stille wird durch den gesamten Vorgang kultiviert, deshalb noch einmal: Es ist nicht der eine Bewusstseinszustand oder der andere. Es ist ansteigende innere Stille, gleich was auch immer anderes dabei vorgeht.

Denke daran, dass all dies, über was wir reden, nicht auf der Ebene des neugierigen Verstands, des Intellekts stattfindet. Nur bei der Theorie hat der Intellekt etwas zu suchen. Die Übungen sind nicht dazu da, Theorien zu verbreiten. Tägliche fortgeschrittene Yoga Übungen haben den Zweck, unser Nervensystem auf neurologischen und biologischen Wegen zu reinigen und zu öffnen – das führt zu einer außerordentlichen Ausdehnung der Funktionsweisen unseres Nervensystems. Die Erfahrungen ekstatischer Glückseligkeit, die uns begegnen, sind sehr real – schlussendlich genauso real wie der intimste Liebesakt, den wir uns vorstellen können, und es spielt sich alles in unserem Inneren ab. Die Kultivierung innerer Stille hat also weitreichende Folgen für unser Leben.

Der Guru ist in Dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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