Lektion 286 – Yogisches Sterben

Frage: Wie stirbt man yogisch? In der Yoga-Literatur findet man viele Anekdoten, in denen Gurus ihren Körper würdevoll verlassen, aber ohne viele Details. Gibt es da geheime Techniken? Ich denke im Moment noch nicht daran zu gehen, doch hätte ich gerne ein würdevolles und bewusstes Ende, wenn meine Zeit kommt.

Antwort: Wenn es da ein Geheimnis beim »yogischen Sterben« gibt, dann ist es das, dass man sich lange zuvor schon in einem yogischen Leben etablieren muss.

Es ist wie bei dem alten Sinnspruch: »Die Frage ist nicht, gibt es ein Leben nach dem Tod, sondern: Gibt es ein Leben vor dem Tod?«

Natürlich wird der Tod in vielen Traditionen sehr stark rituell eingekleidet, bestes Beispiel dafür ist das »Tibetische Totenbuch«. Haben all diese Rituale einen Wert? Nur wenn wir zuvor in den Prozess des Lebens losgelassen haben – wenn wir also sozusagen gestorben sind, bevor wir sterben. Darum geht es im Yoga und allen effektiven Systemen der spirituellen Praxis.

In den alten Schriften findet man Anweisungen für den »Mahasamadhi« (Tod) – wie und wo man sitzen soll, welches Mantra man nutzen sollte, usw. Das ist Ritual und im Allgemeinen nur so effektiv, wie effektiv es eben der Gläubige macht. Die Frage dabei ist: Was glauben wir tief in unserem Herzen? Das ist, was wir kultivieren sollten. Der Tod ist oft ein ziemlich vertracktes Geschäft – und wir haben vielleicht gar nicht den Luxus, uns auf die Details dieser Veränderung vorbereiten zu können. Auf der anderen Seite können wir uns um unsere spirituelle Verfassung im Jetzt kümmern, jeden Tag. Und in dem Maße, wie wir uns darum gekümmert haben, wird das unsere Verfassung zum Zeitpunkt des Todes bestimmen, unabhängig davon, wie sich der Tod genau einstellt.

Ein pragmatischer Umgang mit dem Sterben ist aus der modernen »Tod-und-Sterben-Bewegung« entstanden, die von Elizabeth Kubler-Ross, Stephen Levine, Ram Dass und anderen inspiriert wurde. Von diesen gibt es sehr beeindruckende Arbeiten und ausgezeichnete Schriften. Diese Arbeiten haben geholfen, für die hervorragenden Betreuungseinrichtungen im Sinne der Hospiz-Bewegung eine Grundlage zu schaffen. In vieler Beziehung übersteigt das neue Wissen die alte Weisheit, weil alles sehr praktisch und von allen nutzbar geworden ist. Das Wissen, das am meisten Nutzen bringt, ist das am weitest entwickelte!

Um den Kern unseres Vorbereitetseins auf den Tod zu treffen, müssen wir auf die Frage antworten: Kann ich alles akzeptieren, was geschieht – nicht unbedingt zum Zeitpunkt meines Todes, wie ich ihn mir vorstelle, sondern jetzt in diesem Moment meines täglichen Lebens? Das ist der Maßstab für unsere spirituelle Verfassung und den Zustand unserer Übungen. Wir können unsere spirituelle Verfassung heute und jeden Tag kennen und Entscheidungen fällen, die Ausgangspunkt für die Beschleunigung unseres spirituellen Wachstums sind. Können wir unser Leben auf diese Weise lange genug leben, dann wird unser Todestag genauso ein Tag unseres Lebens sein wie jeder andere. Dann sind wir auch beim Sterben »würdevoll und bewusst«, genauso wie wir das jeden anderen Tag waren.

Die beste Erziehung als Vorbereitung auf den Tod erhalten wir, wenn wir Zeit mit sterbenden Menschen verbringen und uns dabei dem Augenblick hingeben. Das bietet uns die Möglichkeit, alles so authentisch zu durchleben, wie es nur möglich ist, ohne dabei selbst die Hauptrolle in dem Drama zu spielen. Haben wir die Möglichkeit, mit jemandem zusammen zu sein, der durch die Tür des Todes geht, dann können wir ein gutes Gefühl dafür entwickeln, um was es sich dabei handelt. Es kann das ganze Leben verändern, wenn man mit einem Sterbenden zusammen ist.

Auch alle, die eine Nahtoderfahrung hatten, können von Grund auf verwandelt werden – siehe dazu die Schriften von Raymond Moody und anderen auf diesem Forschungsgebiet.

Wenn es also eine geheime Technik des Sterbens gibt, dann besteht sie darin, die menschliche spirituelle Transformation so früh wie möglich zu kultivieren und sich allmählich dem Thema des Todes zu öffnen, wenn dieses Thema auf die Tagesordnung kommt. Werden wir zu bleibender innerer Stille, ekstatischer Glückseligkeit und ausfließender innerer Stille, dann wird der ganze Rest für sich selbst sorgen. Wir sind es immer selbst, die die Entscheidungen treffen – jetzt und später. Jetzt ist offensichtlich immer vorrangig, weil ein Später in Wirklichkeit gar nicht existiert, außer als ein Ergebnis des Jetzt – ein zukünftiges Jetzt. Deshalb praktizieren wir jeden Tag die Übungen wie tiefe Meditation, das Pranayama der Wirbelsäulenatmung usw.

Am Ende ist das wichtig, was wir in Bezug auf unsere spirituelle Verfassung heute und jeden Tag machen, bis an unser Lebensende. »Würdevoll und bewusst« ist im Leben genauso nützlich, wie im Tode. Es ist ein und dasselbe.

Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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