Lektion 269 – Springen zur Samyama Übung – die innere Stille nach außen kehren

Frage: Als ich das letzte Mal schrieb, hatte ich meine Kundalini erweckt und meine Meditation war eine turbulente, dramatische und leidenschaftliche Shakti-Angelegenheit. Und ich beklagte mich über die Glückseligkeit, die ich nur als Ablenkung empfand. Ich hatte mich gerade erst von einer etwas übertriebenen Anwendung erholt.

Du hast (in Lektion 258) erklärt, dass ich mehr auf der Shiva-Seite der Gleichung arbeiten müsste. Deshalb habe ich im Streben nach einem Ausgleich Monate der Meditation und des Pranayama investiert, bin dabei aber sehr viel mehr auf der Shakti-Seite der Dinge geblieben. Da hab ich immer etwas Stille erhalten, doch das sich ergebende heilige Gefühl hat meine Shakti immer weggebrannt. Übrig blieb davon friedvolle Stille … was dann meine Shakti immer erneut entzündete. Und so weiter. Ich fühlte mich wie eine spirituelle Lava-Lampe.

Dann erlosch ich für einen Monat in meiner Praxis. Obwohl dieses Zwischenspiel für mich ein richtiges Tief war, gab es dabei auch einen Silberstreifen: Als ich die Praxis wieder aufnahm, war Kundalini eingeschlafen. So konnte ich in Stille ohne das Feuerwerk arbeiten. Dabei geschah es, dass ich zum ersten Mal in der Lage war, eine so tiefe Stille zu erreichen, dass sich mein Metabolismus verlangsamte: Ich atmete kaum noch und der Herzschlag war ziemlich langsam. Während einer Sitzung gelang es mir wirklich, zu Samadhi durchzudringen, nachdem ich das verblüffende Gefühl hatte, jemand würde sehr lebendig und nah meine Stirn berühren – nicht um Shaktipat zu geben, sondern um noch mehr Stille zu vermitteln. Ich verstehe es immer noch nicht ganz, doch was dabei herauskam, war ganz, was ich wollte.

Seither habe ich meine Kundalini wiedererweckt. Und einige der Meditationssitzungen sind ziemlich still (allerdings immer mit einem brutzelnden Unterton). Die Stille arbeitet sich auch in mein Leben hinein – ich werde immer weniger reizbar. Ich lief gestern triefend nass durch einen enormen Regenschauer, weil ich keinen Regenschirm dabei hatte, und ich habe nichts Besonderes dabei gespürt – das hektische Eilen um mich herum fand keinen Zugang zu mir. So ist das nun. Alles ist gleich gut wie alles andere auch.

Doch hat diese alles einhüllende Stille meine Bhakti vermindert. Ich kümmere mich kein Iota darum, ob ich erleuchtet werde oder nicht. Ich habe meinen spirituellen Hunger verloren, weiter vorwärtszukommen. Alles ist gleich gut wie alles andere. Ich bin zu einem gähnenden, selbstzufriedenen Pappabär geworden.

Zwei Fragen:

1. Bin ich einfach nur zu weit auf die andere Seite geraten – zu viel Shiva und zu wenig Shakti? Meine Gefühle zeigen mir etwas anderes an; Kundalini und Shakti sind lebhaft. Ich fühle, dass Shiva und Shakti beginnen, ein Gleichgewicht zu erreichen. Wenn noch etwas ist, dann ist Shakti noch ein bisschen stärker. Also … ist meine neue gleichgültige (jedoch nicht apathische) Haltung gegenüber weiterer Übungspraxis eine natürliche Zwischenebene?

2. Weil ich früher einmal übertrieben habe, sind meine Übungen sehr einfach geblieben: 10 Minuten 0-8-15-Pranayama (mit Mulabandha und Sambhavi) und 20 Minuten 0-8-15-Meditation (mit einfach gekreuzten Beinen) die ganze Zeit. Ich habe mich entschieden, kein Siddhasana hinzuzunehmen, weil ich denke, dass es nicht klug ist, noch mehr Energie von der Wurzel her zu kultivieren. Und ich nehme mal an, dass das, was da im Augenblick abgeht, ein Erschlaffen in meiner Selbstabstimmung ist (ich wette darauf, dass du nicht viel davon siehst!), und dass ich Übungen hinzufügen muss, um die Dinge wieder aufzuschäumen. Hört sich das so richtig an?

Wenn ja, was sollte ich hinzufügen? Ich fühle mich von der Mantra-Erweiterung und Samyama angezogen (natürlich nur im Abstand von ein paar Wochen), doch damit würde ich einen großen Satz nach vorne machen. Bastrika wäre schön (ich würde die Reinigung gern noch etwas verfeinern), doch zunächst bräuchte ich Yoni Mudra Kumbhaka und die Kinnpumpe. Sollte ich vielleicht nur Siddhasana aufgreifen, was ja bei den Fortgeschrittenen Yoga Übungen der nächste Schritt wäre? Da bin ich etwas vorsichtig, weil ich mir nicht sicher bin, ob mehr rohe Energie bei den Übungen das ist, was im Augenblick fehlt; ich würde gern an der Verbreiterung und Verfeinerung arbeiten und Siddhasana hinzufügen, sobald die Energie, die ich beim Pranayama bewege, sich nicht mehr als ausreichend anfühlt. Solltest du keinen konkreten Rat geben wollen, wäre das kein Problem. Ich mache einfach das, was sich auf natürliche Weise ergibt!

Antwort: Es klingt so, als würdest du alles richtig machen. Denke daran, dass die grundlegende integrale Routine, die du derzeit hast, schon über das hinausgeht, was die meisten Kriya-, Mantra- und Hatha-Yogis tun. Auf welchem Plateau du dich derzeit auch immer befindest, das schaufelt bereits Äonen von Karma aus dem Untergrund heraus. Auch wenn wir uns nicht zu bewegen scheinen, bewegen wir uns doch … damit will ich sagen, dass die „Gleichgültigkeit“ nur eine vorübergehende Erscheinung ist. Es ist innere Stille, die hochkommt und etwas getrennt von äußeren Aktivitäten (wozu auch Gedanken und Gefühle zählen) ist. Mit der Zeit erkennt man innere Stille (das Selbst) als die Aktivität. Das hat nichts mit Gleichgültigkeit der Welt gegenüber zu tun. Du bist gleichzeitig völlig friedvoll und frei. Wie es in dem alten Spruch heißt: »In der Welt, doch nicht von der Welt.“ Gleichzeitig sind wir diese Welt.

Zur Frage, was als Nächstes kommen sollte: Es ist in Ordnung, wenn du dir beim Vorwärtsgehen mit den Hatha-Techniken (Siddhasana, Yoni Mudra Kumbhaka, Kechari, Kinnpumpe, Bastrika usw.) Zeit lässt, falls du für eine Weile mehr bei der Shiva-(innere Stille)-Seite bleiben willst. Gehst du mit den Hatha-Methoden wieder etwas weiter, schlage ich vor, dass du dich möglichst an die vorgegebene Reihenfolge hältst. An Siddhasana kannst du dich behutsam annähern, du brauchst da also nicht „kompromisslos“ zu sein. Man kann sich da über einige Monate schön langsam hineingewöhnen und das sollte jemandem mit Erfahrungen in Hatha-Yoga keine Probleme bereiten. Du wirst wissen, was zu tun ist.

Zur Frage, was du jetzt im Moment tun sollst, denke ich, dass es noch zu früh wäre für eine Mantra-Erweiterung. Du bist erst wieder richtig in die Meditation hineingekommen. Mach so noch drei bis sechs Monate weiter, dann siehst du schon. Eine Mantra-Erweiterung ist wirklich eine riesige Umstellung und es braucht auch mindestens so lange, sich dort einzugewöhnen. Wenn du dich also zu einer Mantra-Erweiterung entschließt, dann gib dem zumindest so viel Zeit, bevor du eine weitere hinzunimmst.

Bezüglich Samyama: Wie es in Lektion 150 heißt, kann man damit einsteigen, sobald etwas innere Stille aufgekommen ist – vorausgesetzt die Meditationsroutine ist stabil. Dies ist die wichtigste Bedingung und du erfüllst diese Bedingung bereits. Du kannst Samyama also vielleicht als nächste Stufe betrachten. Gib Samyama auch 3-6 Monate Zeit, bevor du noch eine Mantra-Erweiterung dazunimmst. Es ist in Ordnung, davor noch in mehrere Hatha-Methoden vorsichtig hineinzugehen, wenn das angenehm ist. Gib Samyama aber mindestens ein oder zwei Monate, ohne mit etwas Neuem herumzuspielen.

Samyama wird beginnen, innere Stille durch Gedanken, Gefühle und die physische Umgebung in äußere Energie-Ausdrücke hinauszubefördern. Die Gleichgültigkeit wird anfangen, sich überall aufzulösen, doch nicht in eine raue Kundalini-Art – gewöhnlicherweise nicht. Es ist mehr so etwas wie sich bewegende innere Stille. Es kann auch physisch sein (es kann dich vielleicht ein wenig „schütteln“ oder „hopsen“), aber normalerweise nicht wie bei einer rauen Kundalini-Erfahrung, sondern tiefer gehend und verfeinerter. Samyama kultiviert alle drei Stufen der Erleuchtung gleichzeitig – innere Stille, ekstatische Leitfähigkeit und Einheit.

Vielleicht versuchst du also einmal, zum Samyama zu springen. Dann kümmere dich ein bisschen später darum, zum nächsten Hatha-Schritt weiterzugehen. Ist schließlich einmal Samyama stabilisiert und verläuft Hatha leidlich störungsfrei, kannst du an eine Mantra-Erweiterung denken. Dies sind lediglich Vorschläge. Du kannst das in jeder vernünftigen Reihenfolge anpacken, die für dich funktioniert. Das soll nur, ausgehend von deinem derzeitigen Standort, eine Perspektive für einen möglichen Weg vorwärts geben.

Geh vor allem immer in deiner eigenen Geschwindigkeit vor und habe Spaß dabei!

Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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