Lektion 139 – Dynamisches Jalandhara – Die Kinnpumpe
Mit der Meditation und der Wirbelsäulenatmung schaffen wir eine globale Hausreinigung des Nervensystems. Gleichzeitig stimulieren wir die göttlichen Energien in uns und bringen sie in ein Gleichgewicht. Diesen wundervollen globalen Übungen haben wir eine Reihe von Mudras, Bandhas und Asanas hinzugefügt, die bestimmte Gebiete des Körpers – oben wie unten – gezielt behandeln. Mit Kumbhaka (Atemanhalten) in Yoni Mudra haben wir die Kundalini und den Fluss von Prana im Wirbelsäulennerv und darüber hinaus stark angeregt. Dann fügten wir Nauli hinzu und begannen mit zielgerichteten Übungen, die die Kundalini noch mehr von der Beckenregion durch den Bauch in Richtung Herz und weiter nach oben bringen sollen.
Nachdem wir mit all dem genügend Erfahrung gesammelt haben, sind wir bereit, uns gezielt mit dem Energiefluss zwischen Herz und Kopf zu beschäftigen. Dies ist das Hoheitsgebiet des dynamischen Jalandhara. Wir haben das statische Jalandhara Bandha bei Gelegenheit von Yoni Mudra Kumbhaka (Lektion 91) gelernt; konkret ist dies ein Sinkenlassen des Kinns in Richtung Brust, bis es seine angenehme Grenze erreicht. Nun nutzen wir das auf eine mehr dynamische Weise. Die Wirkung davon ist die Stimulation der Prana-Bewegung zwischen Herz und Kopf. Ich nenne dies die “Kinnpumpe“, weil Prana durch diese Übung zwischen Herz und Kopf auf eine Art nach oben und wieder nach unten gepumpt wird, wie Du das nicht für möglich hältst. Es ist eine wirkliche Reinigungs- und Energiestimulationsübung für den Oberkörper und den Kopf.
Mit der Kinnpumpe nehmen mir noch eine neue Kumbhaka-Übung in unsere Meditationssitzung hinein. Wie wir das genau einbauen, besprechen wir später. Jetzt gehen wir zunächst genauso vor, wie wir dies bei Yoni Mudra Kumbhaka tun – außer, dass wir die Finger weder an den Augen, noch an der Nase benutzen. Wir wollen, dass sich der Kopf frei herumbewegen kann.
Auch dieselben Richtlinien wie bei Yoni Mudra bezüglich der Übungen, die man bereits sicher und gut beherrschen sollte, und der Gesundheitsprobleme, die möglicherweise durch das Atemanhalten verschlimmert werden könnten, gelten hier. Du solltest inzwischen auch alle Aspekte von Yoni Mudra Kumbhaka genauso gut und sicher beherrschen, bevor Du es mit der Kinnpumpe versuchst. Eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme für die Kinnpumpe ist, dass Du keinerlei Probleme am Nacken oder Kopf haben solltest, die durch das Herumbewegen des Kopfes verschlimmert werden könnten.
Wir sitzen also in Siddhasana und atmen wie bei der Wirbelsäulenatmung von der Wurzel aus durch den Wirbelsäulennerv hinauf zum Punkt zwischen den Augenbrauen ein und halten den Atem, indem wir die Luftröhre in der Kehle auf dem gewöhnlichen Weg mit Hilfe des Kehldecke.s schließen. Dann sind wir also in Mulabandha, Uddiyana, Sambhavi und Kechari und schauen mit unserer Aufmerksamkeit durch das dritte Auge, genauso, wie wir dies bei Yoni Mudra Kumbhaka tun. Bei der Kinnpumpe ruhen aber unsere Hände locker auf unseren Knien oder Oberschenkeln.
Jetzt beginnen wir unseren Kopf langsam nach links zu rotieren, dann nach hinten, dann rechts und dann lassen wir ihn in einer schnelleren, stürzenden Bewegung nach unten auf die Brust „fallen“, fegen über den untersten Punkt von rechts nach links und kommen auf der linken Seite des Kreises wieder nach oben, werden wieder langsamer, dann wieder hinten herum, lassen ihn wieder fallen und immer so weiter. Wir beschreiben also – mit Ausnahme des schnelleren Fallens/Nach-unten-Sausens zur Brust von rechts nach links – mit unserem Kopf einen langsamen Kreis. Wir machen mit dieser kreisförmigen Kopfbewegung weiter, wenn wir bereit sind, unser Kumbhaka an der angenehmen Grenze zu beenden, lassen die Luft langsam ausströmen und gehen dabei mit unserem Atem die Wirbelsäule zurück nach unten. Auch beim Wiederauffüllen, wenn wir den Wirbelsäulennerv mit unserem Atem nach oben verfolgen, lassen wir unseren Kopf sich derart weiterbewegen. Dann, wenn wir die Lungen wieder aufgefüllt haben, machen wir die Rotation des Kopfes in die andere Richtung, so dass wir dann von links nach rechts fallen bzw. fegen, wenn wir zur Brust nach unten gehen. Wir machen in dieser Art mit angehaltenem Atem weiter, bis wir ausatmen und wieder einatmen. Dann, wenn wir wieder mit Luft angefüllt sind, tauschen wir erneut die Richtung der Kopfbewegung u.s.w. Wir rotieren mit einem vollständigen Kumbhaka-Atem nach links und mit dem nächsten Kumbhaka-Atemzug nach rechts und immer so weiter. Wir wechseln die Richtung des Kopfkreisens jedes Mal, wenn wir wieder vollständig mit Luft angefüllt sind. Dies ist die Kinnpumpe.
Lasst uns nun über einige weitere Einzelheiten sprechen: Anfangs, beim Erlernen, begrenzen wir die Atemzüge auf vier. Später, wenn es angenehm damit läuft, können wir auf die Verwendung der Uhr umstellen und die Übung für fünf Minuten durchführen und schließlich – mittels Anwendung der üblichen Selbstabstimmung – bis zu zehn Minuten ausdehnen. Die Kinnpumpe machen wir gleich nach der Wirbelsäulenatmung und unmittelbar vor der Meditation. Führen wir die Kinnpumpe in unsere Routine ein, dann verschieben wir unser Yoni Mudra Kumbhaka an das Ende unserer Übungen, d.h. nach der Meditation und vor der abschließenden Ruhephase. Yoni Mudra Kumbhaka führen wir genau gleich aus wie zuvor. Wir verlegen sie nur an eine andere Stelle in unserer Routine. Dann haben wir also Kumbhaka mit der Kinnpumpe vor der Meditation und Kumbhaka mit Yoni Mudra nach der Meditation. In dieser Zusammenstellung liegt große Kraft.
Die Kinnpumpe wird sich anfänglich klobig anfühlen. Du wusstest schon, dass dies der Fall sein würde, nicht wahr? Man muss sich etwas daran gewöhnen. Doch dieses Daran-Gewöhnen ist die Mühe wert. Wir zwingen uns zu nichts. Nie gehen wir über den angenehmen Bereich von Bewegungen unseres Nackens hinaus. Wir machen es langsam und achten darauf, dass wir nicht verspannen. Mit anhaltender Übung wird sich die Reichweite unserer Kopfbewegung schrittweise ausdehnen. Im Laufe der Zeit kann unser Kinn nahe an unsere obere Brust herankommen oder sie sogar berühren, wenn wir nach unten stürzen. Doch habe keine Eile damit. Vielleicht kommen wir auch nie so weit hinunter und das ist auch vollkommen in Ordnung. Wie bei allen Yoga-Übungen gehen wir niemals über die Grenze des Angenehmen hinaus. Beginne stets mit einer kleineren Bewegung des Kopfes und lass sie sich auf natürliche Weise und allmählich während einer Sitzung zu dieser angenehmen Grenze ausdehnen. Damit funktioniert die Kinnpumpe von Beginn an optimal. Vielleicht bemerkst Du einige Geräusche oder Empfindungen in deiner Brust, wenn Du die Kinnpumpe ausführst. Dies ist normal. Es kann sich wie ein Pochen anhören oder sich hinter dem Brustbein wie ein Zermalmen anfühlen. Auch dein Nacken kann ein bisschen knirschen. Das ist normal. Unannehmlichkeit ist jedoch nicht normal. Verspürst Du also etwas davon in irgendeiner Form, dann nimm gleich die nötigen Anpassungen vor. Übertreibe es mit der Kinnpumpe nicht. Es braucht etwas Zeit, bis man seine innere Statur dazu aufgebaut hat. Sei also sehr vorsichtig und wende Selbstabstimmung an. Stelle sicher, dass Du in Deinem angenehmen Bereich der Bewegungen bleibst. Denke daran, dass wir alle anderen angegebenen Mudras und Bandhas während des Kinnpumpen-Kumbhakas weiterhin anwenden. Und natürlich sitzen wir während der gesamten Routine, solange wir bequem darin bleiben können, in Siddhasana.
Was könnten wir als Ergebnis des dynamischen Jalandhara, d.h. der Kinnpumpe, erleben? Hast Du bereits einige aktive Kundalini-Energie in Deinem Körper, etwas Prana, das sich in Deinem Nervensystem bewegt, wird die Kinnpumpe zwei Dinge bewirken. Erstens wird sie Prana stark hinunter in die Herzgegend bringen, wo es sich mit dem Prana verbindet, das durch den Bauch von der Beckenregion nach oben steigt. Dies sind zwei verschiedene Formen von Prana, die durch die energetische Polarität in unserem Körper charakterisiert sind. Zweitens bringt die Kinnpumpe das vereinigte Prana vom Herzen in großen Mengen zurück nach oben in den Kopf. Ist die Kundalini im Körper aktiv, wird sich der Kopf anfühlen, als würde er mit vitaler Lichtessenz voll gepumpt. Jeder Hohlraum des Kopfes wird sich aufhellen. Auch in den Nebenhöhlen können diese Empfindungen auftreten. Das kann sich etwas sonderbar anfühlen, doch geht die Sonderbarkeit bald vorüber. Ist die Kundalini im Körper noch nicht sehr aktiv, wird die Kinnpumpe – zusammen mit all den anderen Mitteln, die wir anwenden – ihre Erweckung erleichtern. Alles steht miteinander in Verbindung. Es ist nur eine Frage der Zeit, weil so viele Aspekte des Nervensystems stimuliert werden.
Anfänglich kann es zu einigen Nebeneffekten der Kinnpumpe kommen. Sie sollten nicht lange anhalten. Etwas Benommenheit kann auftreten, vielleicht auch ein leichter Kopfschmerz oder Energieströme, wie sie vorher noch nicht im oberen Teil des Körpers und des Kopfes erlebt wurden. Es ist eine kraftvolle Übung und wir greifen damit nach einem Durchbruch zu einer höheren Ebene des Funktionierens in unserem Nervensystem. So kann es bei der Fahrt einige Schlaglöcher in der Straße geben. Aus diesem Grund ist es vielleicht gut, wenn Du Deine erste Übung mit der Kinnpumpe auf ein Wochenende legst, an dem Du weniger Verpflichtungen hast. Geh methodisch vor und übertreibe es nicht. Wenn irgendwelche Symptome unangenehm werden, nimm die Übung sofort zurück und gib Dir Zeit zur Erholung. Dann kannst Du später wiederkommen und es von neuem versuchen – langsam. Halte Deine Grenzen in Ehren und wende Selbstabstimmung an. Bei der Kinnpumpe ist Selbstabstimmung sehr wichtig. Mit dieser Übung bewegen wir eine Menge an Energie nach oben durch die Kanäle, in denen Energie in diesen Mengen vorher noch nicht war. Und wir befassen uns mit feinen Komponenten unserer Anatomie – unserem Nacken und Kopf. Wollen wir die Erleuchtung, dann müssen wir die Türe aufstoßen, so dass die spirituellen Energien, die sich in unserem Inneren regen, ihre natürliche neurobiologische Funktion finden können. Die Kinnpumpe ist ein kraftvoller Weg, die Türen zwischen dem Herzen und dem Kopf zu öffnen.
Wenn wir mit der Kinnpumpe täglich weitermachen, werden wir im Lauf der Zeit eine Stärkung in unserer Brust, unserem Nacken und Kopf feststellen. Es ist eine spirituelle Stärkung, wenn das Prana durch uns auf eindrucksvollen neuen Wegen fließt. Unser Herz wird erfüllt von einer kraftvollen und greifbaren Liebe. Unsere spirituell-visionäre Kraft wird verstärkt. Das dritte Auge ist ein direkter Empfänger für den ansteigenden Energiefluss. Das Gleiche gilt für die Krone. Es fühlt sich sehr gut an, wenn die Energie sich auf gesunden Wegen in den höheren Bereichen des Körpers bewegt. Auch eine physische Stärkung geht mit der Nutzung der Kinnpumpe einher. Es sind damit also viele Vorteile verbunden und deshalb ist es eine Übung, die es sich sehr lohnt zu erlernen und mit der Zeit zu verfeinern. Fange nur langsam damit an und baue es ganz schrittweise auf.
Haben wir das dynamische Jalandhara beendet, werden wir uns energetisiert fühlen und vielleicht wünschen, uns eine oder zwei Minuten Zeit zu lassen, bevor wir uns in die Meditation begeben. Es ist mehr eine pranische Energetisierung als eine physische, auch wenn nach einem mehrminütigen Kumbhaka mit dem beschriebenen Kreisen des Kopfes beide da sein können. Nimm Dir also ein paar Minuten Zeit, um Dich für die Meditation zu beruhigen. Vielleicht beginnst Du also erst einige Minuten später und fängst mit dem Mantra an, sobald Du die Notwendigkeit dazu fühlst. Stelle sicher, dass Du mit dem Mantra ohne Anstrengung entsprechend der ursprünglichen Anweisung beginnst und folge wie immer der einfachen Vorgehensweise der Meditation. Wir gehen von der hohen pranischen Energetisierung zur tiefen Stille. Der Mix aus diesen beiden ist sehr mächtig und es wird zu einer anderen Art von Erfahrung in der Meditation kommen. Die höchste Art der Kultivierung mit dem Kinnpumpen-Kumbhaka vermählt sich mit der höchsten Stille der tiefen Meditation. Eine neue Art der leuchtenden Fülle wird in unserem Nervensystem geboren und das begleitet uns hinaus in unsere täglichen Aktivitäten. Wir werden dann sowohl zur stillen Glückseligkeit als auch zur ekstatischen Ausstrahlung, die gleichzeitig da sind.
Dies verwandelt sich in ekstatische Glückseligkeit!
Der Guru ist in Dir.
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