Lektion T16 – F&A – Was ist die beste tantrische Praxis?

Frage: Ich habe zu Tantra viele Bücher gelesen und ich weiß immer noch nicht genau, was das ist. Geht es dabei um Sex oder geht es um Yoga? Was ist tantrische Praxis und gibt es eine „beste“ tantrische Praxis?

Antwort: Tantra wird im Westen sehr missverstanden, weil der sexuelle Aspekt überbetont ist. Im Osten wird Tantra missverstanden, weil der sexuelle Aspekt zu wenig betont ist.

In beiden Fällen ist der sexuelle Aspekt eine Zwangsvorstellung – einmal dafür und einmal dagegen. Das ist darauf zurückzuführen, dass es sich beim Sex um eine tiefe persönliche Lust handelt. Von tiefer Lust sind wir alle fasziniert, besonders wenn es sich um unsere eigene handelt. Es ist ein beherrschender Gedanke, eine Fixierung; und dadurch wird es zu einer Gefahr für unseren Yoga. Aber ohne Sex kann es keinen höheren Yoga geben. Deshalb müssen wir uns damit beschäftigen.

Was ist Tantra? Natürlich weißt Du von der ersten Tantra-Lektion hier, dass es alles im Yoga ist – von oben bis unten und von links nach rechts.

Solltest Du fragen: „Was ist die Definition von tantrischen Sexualpraktiken?“, dann muss ich das in einem Wort ausdrücken – „Brahmacharya“. Damit meine ich nicht das Zölibat, obwohl es das bedeuten kann. Was ich damit meine, ist die Erhaltung und Kultivierung sexueller Energie als Teil aller Yoga-Praktiken. Genitaler Orgasmus ist kein Teil davon. Den Orgasmus als Ziel haben wir nur, weil wir ihn brauchen, unseren Fortpflanzungstrieb zu befriedigen. Genitaler Orgasmus hat wenig mit spirituellem Fortschritt zu tun – außer dass er (vororgasmisch) zu einer Ganzkörperekstase ausgeweitet werden kann. Das Aufkommen einer Ganzkörperekstase ist der Weg der Natur, uns zu den spirituellen Reichen zu rufen, genauso wie sie uns mit dem Orgasmus zur Fortpflanzung ruft.

Deshalb ist jede Lehre, die verspricht, einen längeren, größeren oder besseren Orgasmus zu bieten, nicht wirklich tantrisch. Es geht dabei nur darum, einen besseren Sex zu haben; und danach halten die meisten Menschen eben Ausschau. Nicht, dass das in irgendeiner Weise falsch ist. Nur das gehört eben nicht zum Yoga.

Sind diese Lektionen anti-orgasmisch? Nein. Wir können unser Menschsein nicht leugnen. Wir tun nur unser Bestes, uns zum Göttlichen auszurichten, dahin einen Antrieb zu gewinnen und die besten Mittel dazu zu nutzen, die wir finden können. Wir werden auf die eine oder andere Weise jeden Tag davon abweichen. Das macht nichts. Das einzig Wichtige ist, dass wir die Grundsätze und Übungen, die unser Nervensystem reinigen und öffnen, andauernd favorisieren. Das Leben kann ohne Weiteres zu dieser einfachen Form der Meditation werden. Man braucht nur natürliche Prinzipien zu favorisieren, die es unserem Nervensystem erlauben, sich zu öffnen und zu reinigen. Durch negative Urteile erreicht man überhaupt nichts. Wenn wir also ausgleiten, greifen wir den Faden einfach wieder auf und gehen in der Richtung weiter, von der wir wissen, dass sie nach Hause führt. Das gehört auch zum tantrischem Sex, zum Brahmacharya-Prozess – dem sanften Favorisieren der Erhaltung und Kultivierung sexueller Energie durch dick und dünn und ohne zu urteilen.

Was ist die beste tantrische Praxis? Hinsichtlich der konsequenten Bewahrung und Kultivierung der sexuellen Energie ist der zweifellose Spitzenreiter Siddhasana.

„Das hat aber doch überhaupt nichts mit Sex zu tun!“ sagst Du.

Das ist korrekt. Wir haben hier in den Tantra-Lektionen die Methoden erörtert, wie wir auch beim Geschlechtsverkehr darauf hinarbeiten können, unseren Prinzipien (d.h. zu bewahren und zu kultivieren) treu zu bleiben. Doch wie oft haben wir jeden Tag Sex? Und wie lange vor dem Orgasmus? Und schaffen wir es überhaupt schon ohne den Orgasmus? Soll tantrischer Sex als tägliche spirituelle Praxis herhalten, wird das höchstens zu einer Glückssache. Sicherlich ist tantrischer Sex wundervoll und eindeutig eine Hilfe auf dem Weg. Damit kann ein geübtes Paar zu großen Höhen aufsteigen. Dennoch kommt dies langfristig nicht an die gleichmäßige, disziplinierte Kost des Siddhasana während unserer regulären zweimal täglichen Praxis im Sitzen heran. Deshalb ist Siddhasana auf jeden Fall das Beste. Man sitzt zweimal täglich für 30 Minuten oder länger in Siddhasana. Siddhasana ist anregend und immer vororgasmisch, sobald er einmal als ein normaler Teil unserer Übungspraxis richtig eingeführt ist. Das gleichzeitige Ausführen von Siddhasana mit Pranayama und Meditation bringt den enormen Vorteil der Kultivierung sexueller Energie, während unser Nervensystem mit tiefgreifenden spirituellen Prozessen beschäftigt ist. Dadurch werden die Wirkungen von Siddhasana und aller damit zusammen ausgeführten Übungen verstärkt.

Im Falle dass Siddhasana orgasmisch wird (möglicherweise in der Lernphase), kann er beim Mann auch zur Blockierung der Ejakulation benutzt werden, indem er sich einfach auf die Ferse nach vorne neigt. Die Ferse tut dann das, was die Finger beim Blockieren am Perineum tun. Siddhasana ist eine Allzweck-Tantra-Übung.

Wenn Du vielleicht etwas die Einzelheiten zu Siddhasana wiederholen willst, findest Du sie in den Lektionen 33 & 75 der Hauptlektionen.

Bedeutet dies, dass jeder seine sexuellen Beziehungen vergessen sollte, um lieber jeden Tag in Siddhasana zu sitzen? – Natürlich nicht. Siddhasana ist eine grundlegende Tantra-Technik für ernsthafte Yogis und Yoginis. Siddhasana bedeutet nicht ohne Grund „Sitz der Vollkommenen“. Sitzt man während Pranayama, der Meditation und anderen sitzenden Übungen in Siddhasana, hat man das Fundament für tantrische Praktiken gelegt, was immer sonst mit der Sexualität geschehen mag. Darüber hinaus mache das, was immer auf natürliche Weise in Dein Sexualleben kommt. Bist Du Deinem Yoga hingegeben, wirst Du Dich bei Deinen sexuellen Zusammenkünften ganz natürlich zu Prinzipien der Bewahrung und Kultivierung hingezogen fühlen. Die in diesen Lektionen vorgestellten Methoden (Rückhaltung und Blockierung) sind leicht zu erlernen und sehr effektiv. Es gibt noch komplexere Methoden, die man einsetzen kann. Welche tantrischen Techniken Du auch immer auswählst: Die zugrunde liegenden Prinzipien von Brahmacharya bleiben dieselben – Bewahrung und Kultivierung der sexuellen Energie.

Was am Ende im Yoga zählt, ist die Durchdringung unseres Körpers und unserer Umgebung mit ekstatischer Glückseligkeit. Haben wir das erreicht, ist es nicht mehr so wichtig, wie wir im Einzelnen mit unserer Sexualenergie umgehen.

Auf die Anwendung der grundlegenden Prinzipien folgen die entsprechenden Ergebnisse.

Der Guru ist in Dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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