Lektion 390 – Wann werde ich erleuchtet?
Frage: Diese Frage hörst Du vermutlich öfter: Wann werde ich erleuchtet? Ich frage, weil ich manchmal fühle, dass ich angekommen bin. Doch dann wankt mein Verstand und ich bin wieder unten im Morast und suche einen Weg zurück. Welcher Weg führt zurück zu diesem ewigen Frieden? Einige haben behauptet, dass es so etwas wie ein Zurückfallen nicht gäbe, da wir bereits „da“ seien. Ich empfinde diesen Hinweis als frustrierend, sogar herablassend. Aber ist da etwas dran? Ist Erleuchtung ein Zustand des Verstandes, den man einfach beanspruchen kann? Ist es eine Einstellung? Kann ich mich aus der Erleuchtung herausreden oder spielt sich da etwas anderes ab? In jedem Fall wäre ein Zeithorizont hilfreich. Kann ich es in 5-Jahren erwarten oder in 25-Jahren? Das würde ich wirklich gerne wissen.
Antwort: Der Weg, der zurückführt, ist der des beständigen Praktizierens. Die wahrgenommenen Höhen und Tiefen werden mit der Zeit weniger, weil deine Bewusstheit sich immer weniger mit dem Körper bzw. Verstand identifiziert, auch wenn wir als Handelnde in dieser Welt viel effektiver werden.
Einige behaupten, dass Erleuchtung eine Einstellung sei. Doch solch eine Einstellung hängt von einem zugrunde liegenden neurobiologischen Zustand ab. Wir sprechen hier von einem sehr tief in der Neurobiologie verankerten Funktionsmodus. Dieser erhält bleibende innere Stille aufrecht, weit jenseits aller Schwankungen in Verstand und Körper. Dies ist ein dauerhaft kultivierter Zustand. Kultiviert wird er hauptsächlich durch tiefe Meditation oder gleichwertige Methoden, die in anderen Ansätzen als FYÜ angewandt werden. Diese mögen sich zwar im Stil unterscheiden, doch im Wesentlichen enthalten alle Methoden der menschlichen spirituellen Transformation dieselben Elemente. Das ist deshalb so, weil das Nervensystem bei jedem Menschen gleich entworfen ist. Jedes menschliche Nervensystem als Ausdruck dieses Entwurfs hält dieselben Potenziale und innerlichen Evolutionsprinzipien bereit.
Zur Frage wann Du erleuchtet wirst: Das hängt davon ab, wie konsequent du langfristig deine Übungsroutine praktizierst und auch von der inneren Blockierungsmatrix, die in deinem Nervensystem aufgelöst wird. Dieses „karmische“ Element sorgt dafür, dass wir uns alle diesbezüglich voneinander unterscheiden, und es ist auch verantwortlich für die wechselnde Selbsteinschätzung, die du erwähnt hast. Bei einigen kann es einige Jahre dauern, bevor es klar wird, dass es zu einem grundlegenden Wandel in der Wahrnehmung gekommen ist, bei anderen dauert es einige Jahrzehnte. Bei allen ist das ein stufenweiser Prozess, was bedeutet, dass man schon bald Fortschritte feststellt, nachdem man begonnen hat, konsequent effektive tägliche Übungen zu praktizieren, und das wird dann so weitergehen. Unsere Beständigkeit wie auch unsere Fähigkeit, unsere Übungen auszuweiten und selbstabzustimmen, macht sehr viel aus.
Auch wenn wir im Wesentlichen alle denselben Prozess der Reinigung und Öffnung durchlaufen, unterscheiden sich die Anwendung von Übungen, die gemachten Erfahrungen und die Häufigkeit von Ergebnismanifestationen. Wer kann also sagen, wann du erleuchtet sein wirst? Niemand. Doch du kannst sehen, wie entlang des Weges Zeichen und Meilensteine auftauchen. Diese haben wir zum ersten Mal in Lektion 35 erörtert und wir haben dieses Thema seither immer wieder aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und behandelt.
Um die Erleuchtungsmeilensteine kümmern wir uns hauptsächlich, weil sie uns für unsere Übungen motivieren. Wir nutzen sie nicht, um damit Etiketten zu erstellen und darüber zu spekulieren, was wir oder irgendeine besondere Person erreicht hat. Was ein Mensch in seinem alltäglichen Leben erfährt, ist viel wichtiger, als die Art wie er selbst oder irgendjemand anders seinen spirituellen Zustand beurteilt. Spirituelles Wachstum ist etwas Praktisches, an dem wir uns in jedem Augenblick erfreuen können, wo immer wir uns damit auf dem Wege unserer Übungen befinden. Was daraus später einmal wird, wer kann das schon sagen? Am besten tun wir daran, wenn wir konsequent weitermachen. Dann werden wir es früher oder später herausfinden.
Die Feststellung „Ich bin erleuchtet“ ist ein Hindernis auf dem Pfad. Das war auch einer der in Lektion 329 behandelten halben Dutzend Fallstricke des Verstandes – „Die Illusion des Erreichens oder ‚angekommen‘ zu sein“.
Es ist viel besser, Erleuchtungserfahrungen als Meilensteine, Offenbarungen oder Trittsteine entlang des Wegs zu betrachten. Das ist auch stets der Fall, weil es ständig zu mehr Ausdehnung kommt, bis der gesamte Kosmos erwacht ist. Erleuchtung ist nicht etwas, das man persönlich besitzen kann. Dazu kommt es nur, wenn man sie, wie in Lektion 120 erörtert, vorbehaltlos weitergibt.
Erleuchtung des Einzelnen ist Erleuchtung des Ganzen und umgekehrt. Diese beiden kann man nicht voneinander trennen. Ob man also irgendeinen von uns als „erleuchtet“ etikettieren kann oder nicht, hat ziemlich wenig Bedeutung, weil wir uns auf einem Kontinuum eines immer weiter sich ausdehnenden Bewusstseins befinden. Das Etikett ist irrelevant und führt normalerweise in die Irre. Die Verbesserung unserer Lebensqualität und die aller um uns herum ist wichtig. Handeln ist wichtig. Unser wahrer Zustand offenbart sich durch unsere Handlungen, nicht durch die Aufschrift, mit der wir versehen sind, und vor allem nicht durch das, was wir denken, dass wir sind. Jede Art von Etikettierung (hoch oder niedrig), an der wir festhalten, ist für alle, die davon betroffen sind, nur eine Behinderung von spirituellem Fortschritt.
Für jeden, der sich in der Nähe der Erleuchtung bewegt, ist es mehr eine Kuriosität. Es ist keine Verlautbarung. Es ist die endlose Frage: „Wer macht all dies?“ Sie wird zu einer unaufhörlichen Hingabe an dieses Mysterium, weil es auf diese Frage keine Antwort gibt. Zu diesem Nichtwissen zu werden, ist die größte Annäherung, die wir erreichen können. Dann handeln wir nur und befinden uns in einem göttlichen Fluss, der darauf ausgerichtet ist, anderen zu helfen. Es geht nicht mehr um uns. Es geht um alle anderen. Deshalb stellen die Erleuchtungsmeilensteine keine Ziele dar. An jedem Meilenstein werden wir vorüberziehen, außer wir haften an ihm an. Haften wir an, bleiben wir stecken. Besser ist es, weiterzugehen, selbst in der Erfahrung der Vereinigung (Einheit). Bei der Stille im Handeln kann man niemals sagen, was als Nächstes kommt. Es ist eine völlige Hingabe an das, was ist. Was immer der Verstand versucht ist, zu verlautbaren, wird es nicht sein.
Das Wichtigste, was du zu deinem Fortschritt wissen musst, ist, ob sich etwas bewegt und ob die Bewegung in die gewünschte Richtung geht – oder etwa nicht? Ist das gegeben, wird mit der weiteren Ausübung der täglichen Praxis auch die Bewegung weitergehen. Die Reise eines jeden ist einzigartig. Gleich sind die zugrundeliegenden Prinzipien, Methoden und Erfahrungen. Eines ist sicher. Bei weiser Steuerung unserer täglichen Übungen gehen wir mit der für uns optimalen Geschwindigkeit und stetigem Fortschritt voran und die Umwege entlang des Wegs werden weniger.
Wir werden damit fortfahren, die Ursachen und Wirkungen in den Übungen und auch die Besonderheiten der Reise zu erörtern, denen wir beim Hinausgehen über den dualen Zustand der identifizierten Bewusstheit in das paradoxe Reich der nicht identifizierten Bewusstheit, d.h. in die Nicht-Dualität, begegnen. Das ist der Ort, an dem keine Verlautbarungen nötig sind und an dem die überaus freudvolle Teilnahme am Leben zu finden ist. Das ist unser natürlicher Zustand.
Der Guru ist in dir.
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