Lektion 303 – Siddhis – übernatürliche Kräfte

Eine Frage, die oft zu den Übungen gestellt wird, meist zu Beginn, nicht mehr so oft von Leuten, die sich bereits auf dem Weg befinden, ist die, wie unsere tägliche tiefe Meditation und die Samyama-Übung zu den sagenumwobenen »Siddhis« oder »übernatürlichen Kräften« führen können.

Die Möglichkeit, dass gewöhnliche Menschen außergewöhnliche Kräfte zur Schau stellen, hat schon immer die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen. Geschichten, Mythen und Legenden, ob alt oder modern, in denen wundersame Leistungen von Helden oder auch Schurken thematisiert sind, finden beim Publikum immer ein offenes Ohr. Jeder liebt einen Superhelden. Tief in unserem Inneren träumt auch jeder davon, selbst einmal ein Superheld zu sein. Warum? Denn auch, wenn wir vielleicht nicht daran glauben, fähig zu sein, große Gebäude zu überspringen, fühlen wir doch unsere unendlichen inneren Dimensionen und die Möglichkeiten, die damit verbunden sind. Wir sind alle so verdrahtet.

Es ist für den Menschen ganz normal, über den Status quo hinauszublicken, wie wunderbar der jetzige Zustand auch sein mag. Schließlich ist das ganze Leben ein nicht fassbares Wunder.

Die Leistungen der angewandten Wissenschaften bei der Anwendung der Naturgesetze zur Anhebung des allgemeinen Lebensstandards bezeugen unsere Fähigkeiten. Doch was wir bis jetzt wissen und angewandt haben, kratzt nicht einmal an der Oberfläche dessen, was da noch zu erwarten ist. Was wir wissen, ist weniger, als was wir bisher noch nicht wissen. Davon können wir mit Sicherheit ausgehen. Sind Menschen also fähig, übernatürliche Kräfte zu entwickeln? Gut, warum nicht? Aber wir werden niemals Klarheit darüber erlangen, solange wir da nicht weitergehende Untersuchungen anstellen – viel weitergehende. Tun wir dies innerhalb des Kontexts einer Förderung der menschlichen spirituellen Transformation mit effektiven täglichen Übungen, dann können wir da nicht groß in die Irre gehen – ob es da Kräfte gibt oder nicht.

Es sollte nicht überraschen, dass die Religionen und spirituellen Traditionen der Welt Siddhis, Wunder und außerordentliche Erfahrungen immer als Köder nutzten, um damit bei potenziellen Anhängern Interesse zu wecken. Das ist keine Besinnung auf unsere Möglichkeiten oder deren Fehlen, das heißt, den supernormalen Kräften. Es ist nur gutes Marketing.

Die meisten heiligen Schriften der Welt enthalten Zurschaustellungen übernatürlicher Kräfte, meist zusammen mit dem Vorbehalt, dass diese Dinge von Gott kommen. Auch wenn das so ist, werden wir als eifrige Aspiranten oft den Handlungen selbst nachjagen, bevor wir noch versucht haben, uns mit der letztendlichen Ursache – dem Göttlichen in uns – in Verbindung zu setzten.

Patanjali, einer der größten Integratoren spiritueller Übungen aller Zeiten, legt in seinen alten und sehr berühmten Yoga Sutren den Köder in einem ganzen Kapitel (von vier insgesamt) aus. Gleichzeitig sagt er uns: »Haftet diesen Dingen nicht zu sehr an.«

Nichtsdestoweniger lesen wir sein Kapitel zu übernatürlichen Kräften mit Genuss und heimlichem Verlangen. Entweder das oder wir rümpfen die Nase darüber und sagen anderen, sie sollten sich um derartigen Unsinn, der uns nur von unserer wirklichen spirituellen Suche abbringen wird, nicht zu sehr kümmern.

Doch können wir uns wirklich anmaßen, über die Existenz von übernatürlichen Kräften zu urteilen, ob dafür oder dagegen? Es scheint eher, dass wir uns selbst Fesseln anlegen, ob wir die Sache so oder so betrachten, weil wir unsere wahre innere Natur (wie immer diese aussehen mag) mit unseren mentalen Hirngespinsten über derartige Dinge behindern. Deshalb ist die beste Haltung, die man demgegenüber einnehmen kann, dass man dazu überhaupt keine Meinung hat, auf dem Pfad der Reinigung und Öffnung weitergeht und ruhig das abwartet, was geschehen mag. Tun wir dies, dann werden wir die Wahrheit darüber schön langsam selbst herausfinden. Dies ist die wissenschaftliche Herangehensweise.

So also, in diesem Sinne, sind wir weder Anhänger der übernatürlichen Kräfte-Fraktion noch Lehnen wir deren Existenz ab. Es hat keinen Sinn, über etwas zu urteilen, was wir nicht selbst erfahren haben. Statt dessen tun wir gut daran, einfach auf dem Pfad unserer täglichen Übungen weiterzugehen und offen zu sein für alles, was uns dabei begegnen mag. Konzentrieren wir uns auf das Wie und lassen wir das Was natürlich von dem ausfließen, werden wir mit Samyama und all unseren Übungen viel mehr Erfolg haben.

Übernatürliche Kräfte kann man weder besitzen noch ablehnen. Ob und wann sie auftreten, ist immer ein Nebenprodukt unserer Übungen und unseres spirituellen Wachstums. Sie sind nicht die Ursache dafür. Hier geht es uns um die Ursachen. Kümmern wir uns um diese Ursachen, dann wird der ganze Rest auch da sein.

Wir wissen bereits, dass Samyama viele praktische Vorteile in unser tägliches Leben bringt und dass es deshalb eine wichtige Rolle in unserer allgemeinen Entfaltung spielt. Deshalb können wir damit weitermachen, nicht um dadurch eine bestimmte Kraft zu entwickeln, die wir vielleicht besitzen wollen, sondern zum Zwecke der breiten Öffnung unseres vollen Potenzials. Dies ist etwas, das wir beobachten können, wie es sich in unserem alltäglichen Leben über Monate und Jahre täglicher Übung entwickelt.

Einige haben vielleicht gegen die Übung von Samyama selbst etwas einzuwenden, weil sie vermuten, dass Samyama in den falschen Händen missbraucht und für den Übenden und andere schädlich sein könnte. In Wirklichkeit ist es nicht möglich, das wahre Samyama für üble Zwecke zu missbrauchen, außer dass man damit vielleicht übertreibt und es dann mit einem Zuviel an innerer Reinigung zu tun hat. Das ist dann einfach zu viel des Guten und das kann man durch weise Selbstabstimmung bei den Übungen in den Griff bekommen.

Was immer für Sutren wir nutzen, wie schlecht auch unsere Auswahl sein mag, entlassen wir sie in die innere Stille, werden die Ergebnisse positiv sein. Dem reinen Glückseligkeitsbewusstsein kann keine Negativität entspringen. Das ist einfach nicht möglich. Deshalb bezeichnen wir Samyama auch als moralisch selbst regulierende Übung.

Haben wir noch nicht genügend innere Stille, wenn wir mit Samyama beginnen, dann wird nicht viel geschehen. Ist innere Stille vorhanden, dann ist das, was geschieht, positiv. Projizieren wir ein Sutra nach außen (mit der Absicht persönliche Macht auszudrücken), anstatt es in die Stille loszulassen, dann wird die Kraft des Sutra sehr stark geschmälert. Es gibt Leute, die große Anstrengung darauf verwenden, nach außen projizierte Dinge zu konstruieren. Doch sie verschwenden damit nur ihre Zeit und ihren Fortschritt. Das ist nur das Bauen von Luftschlössern hoch oben am Himmel, kein Samyama. Derartige Dinge haben nichts mit spiritueller Entwicklung zu tun.

Obwohl es viele Möglichkeiten gibt, wie sich das aus uns fließende Göttliche ausdrücken kann, ist die größte Art des Ausdrucks Freude.

Freude ist das spontane Loslassen von allem, was wir sind, in unsere unendliche und ewige Natur. Durch die Hingabe daran wird alles manifestiert. Freude ist der entscheidende Bestandteil im ganzen Leben und Freude ist die größte Siddhi – die größte aller übernatürlichen Kräfte. Freude ist dasjenige, was uns herzhaft lachen lässt, sobald wir bewusst Eins werden mit dem wunderbaren Mysterium Leben.

Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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