Lektion 327 – Die Entwicklungsstufen des Geistes
Wie wir das in der vorhergehenden Lektion erörtert haben, gibt es viele Stile der Selbst-Analyse, die in ganz verschiedenen Übungssystemen verkörpert sind. Jeder mag den Schwerpunkt auf einen bestimmten Bereich legen und dafür eine eigene Philosophie, Terminologie und mentale Algorithmen bereit halten.
Die Stile können sich sehr stark unterscheiden. Sie reichen von der Vorschrift zur vollkommenen Konzentration auf die kleinsten Details der Bewusstseinsidentifikation mit den Wahrnehmungsobjekten (manchmal Achtsamkeit genannt) bis hin zum Loslassen des Lebens überhaupt, alles Suchen eingeschlossen. Wie immer die Lehre aussehen mag, sie wird immer die Erfahrungen des jeweiligen Lehrers widerspiegeln, der das Wissen vermittelt. Darin wird eine subjektive Färbung enthalten sein und die Lehren können bei den Schülern auf fruchtbaren Boden fallen oder auch nicht. Es ist Aufgabe des Schülers, eine Lehre zu finden, die bei ihm etwas bewirkt.
Alle Lehren der Selbst-Analyse haben eines gemeinsam – sie versuchen, die Identifikation des Bewusstseins mit den Objekten der Wahrnehmung aufzulösen. Dazu gehören alle Gedanken, Gefühle und Objekte der Welt. Das Ziel der Selbst-Analyse ist es, alle Fesseln des »ich und mein«, wie sie vom Verstand geschaffen wurden, zu durchtrennen.
Wir alle befinden uns auf unterschiedlichen Stufen der Bereitschaft, diese Abwickelung des Egos, wie es genannt wurde, in Angriff zu nehmen. In Wahrheit wird das aber für die meisten von uns überhaupt keinen Sinn machen, solange wir nicht von dem Frieden der inneren Stille in uns gekostet haben. Dann wissen wir, dass es da noch etwas mehr für uns gibt als die vielen Stützen, die wir genutzt haben, unsere Identität/Persönlichkeit in dieser Welt zu fabrizieren – die Identität/Persönlichkeit, von der wir alle wissen, dass sie mit dem Tod und Verrotten des Körpers endet. Sobald wir einmal einen Blick auf das Ewige in uns geworfen haben, ist das eine völlig neue Situation. Es gibt noch etwas Größeres als das begrenzte, nie zufriedengestellte Ego. Um das kennenzulernen, müssen wir eine Reise antreten, die Herz, Verstand und Körper umfasst. Nichts weniger wird hinreichend sein.
Die Zeiten ändern sich. Jetzt ist die Zeit gekommen, da spirituelle Lehren den Menschen dienen, anstatt anders herum. Und damit dies möglich ist, müssen die Lehren offen, flexibel und, was am wichtigsten ist, effektiv sein. Um effektiv sein zu können, müssen derartige Lehren in der Lage sein, jeden Schüler auf jeder Ebene der Bereitschaft anzusprechen. Hat der Schüler den Wunsch zu wachsen und ist er bereit, dafür genügend Zeit aufzuwenden sowie etwas Disziplin einzubringen, dann müssen die Lehren in der Lage sein, brauchbare Mittel zur Verfügung zu stellen – anderernfalls müssen sie weiter optimiert werden. Das ist völlig in Ordnung. Sind Lehren flexibel, werden sie den Menschen dienen, wo sie sind, und sich mit den Menschen weiterentwickeln.
Die Selbst-Analyse ist besonders kniffelig, wenn Schüler sie auf verschiedenen Stufen anwenden wollen. Im Fall der Fortgeschrittenen Yoga Übungen beginnen wir mit der täglichen tiefen Meditation, die unsere innere Stille kultiviert. Zusätzliche Yoga-Methoden werden je nach Bedarf hinzugenommen. Ein Grundwissen über die Selbst-Analyse ist ebenfalls notwendig.
Zuerst ist es gut zu wissen, dass unsere wesentliche Natur das grenzenlose reine Glückseligkeitsbewusstsein ist und dass alles, was wir in Form von Übungen tun, das entfaltet, was wir in unserem täglichen Leben bereits sind. Es ist auch gut zu wissen, dass dies uns viele praktische Vorteile vermitteln wird. So ist es die Anstrengung wert, sich auf den Pfad zu begeben.
Als Nächstes ist es noch gut zu wissen, dass es einen natürlichen Ablauf unserer spirituellen Entfaltung gibt. Dieser Ablauf vollzieht sich im Laufe der Zeit und gewöhnlich ist dies eine lange Zeit, außer in den seltenen Fällen von Menschen, die schon nahe der Erleuchtung geboren werden. Im Gegensatz zu dem, was wir vielleicht gehört haben mögen, ist die Erleuchtung für die meisten Menschen kein Ereignis, das von einem Tag auf den anderen zu holen ist. Da kommt man nicht dran herum. Denn jeder von uns muss einen Prozess der inneren Reinigung und Öffnung durchlaufen und das erfordert Zeit, selbst mit den besten Lehren. Auf dem Weg gibt es Grade und Stufen und die Reise kommt nie zu einem Ende, selbst für jene, die bereits sehr fortgeschritten sind. Vielleicht gilt dies besonders für die Fortgeschrittenen, weil diese sich der umfassenderen Notwendigkeit für eine zunehmende innere Stille in der Gesellschaft, der Welt und darüber hinaus viel bewusster werden und sich auch selbst an der Front dieser großen Bestrebungen befinden. Jeder trägt soviel bei, wie er kann, und die Erleuchteten können so viel mehr beitragen. Je mehr wir tun können, desto mehr werden wir auch aufgerufen zu tun.
Für den Einzelnen gibt es eine Abfolge von integrierten Übungen für die Kultivierung der nötigen Reinigung und Öffnung. Die Abfolge dieser Übungen wird im Laufe dieser Lektionen Schritt für Schritt dargelegt. Für die Selbst-Analyse gibt es ebenfalls eine Abfolge. Nicht dass es für jeden nötig ist, durch eine Abfolge von Selbst-Analyse Methoden zu gehen. Man kann sogar ganz auf strukturierte Selbst-Analyse-Methoden verzichten und trotzdem den Prozess der Selbst-Analyse durchlaufen, der auf dem natürlichen Aufkommen der inneren Stille und einer zunehmend klaren Wahrnehmung des SELBST(Zeuge) in Beziehung zu den Objekten der Erfahrung beruht.
Unabhängig von strukturierten Selbst-Analyse-Methoden oder deren Fehlen gibt es einige erkennbare Stufen des Verstandes/Geistes, über die er sich entwickelt, und es kann Zeit und einige Verwirrung sparen, wenn man sie kennt, besonders für jene, die versuchen, zum Ende zu laufen, bevor sie sich noch mit den Anfangsgründen und der Mitte beschäftigt haben. Der Anfang und die Mitte können genauso erfüllend sein wie das Ende, wenn wir ein gesundes Gespür dafür entwickelt haben, wo wir uns auf unserem Pfad befinden. Das braucht auch überhaupt nicht so mysteriös zu sein. Mit etwas grundlegendem Wissen, werden wir viel besser zurechtkommen und uns nicht der Gefahr aussetzen, angeführt von unserem übereifrigen Verstand blind irgendwelche Sprünge auszuführen (mehr zu den »Fallstricken des Verstandes« in zukünftigen Lektionen).
Vorausgesetzt, man übt täglich die tiefe Meditation, sind hier fünf Stufen des Geistes angegeben, die die Selbst-Analyse bei der Bewegung entlang unserer eigenen Entwicklungslinie berücksichtigen kann:
1. Vor-Zeugenschaft: Informationen und intellektuelle Bewertungen der Wahrheitsfrage führen zu Inspirationen und zu einer Neigung, mentale Luftschlösser zu bauen. Das sind Ideen, die auf Ideen reagieren, ein Kennzeichen einer nicht-beziehungsvollen Selbst-Analyse. Deshalb tun wir, was für die Kultivierung des Zeugen nötig ist.
2. Zeugenschaft: Wir nehmen die Welt, unsere Gedanken und Gefühle als vom SELBST getrennte Objekte wahr. Dies ist der Beginn einer beziehungsvollen Selbst-Analyse, ob man sich bewusst dafür entschieden hat oder nicht.
3. Unterscheidung: Die Umkehrung der Identifikation durch das Treffen logischer Auswahlentscheidungen auf Grundlage von in der Stille wurzelnder unmittelbarer Wahrnehmung. Dies ist eine fortgeschrittenere beziehungsvolle Selbst-Analyse, die in der Lage ist, das Wirkliche vom Unwirklichen zu unterscheiden.
4. Leidenschaftslosigkeit – Aufkommen des Zustands des Nicht-Urteilens und der Nicht-Anhaftung. Der Prozess der Selbst-Analyse wird automatisch bis hin zu dem Punkt, dass alle Objekte und selbst die Selbst-Analyse ständig im Zeugen aufgelöst werden.
5. Einheit: Die Verschmelzung von Subjekt und Objekt: »Ich bin DAS. Du bist DAS. Alles ist DAS.« Anhaltende Ausstrahlung göttlicher Liebe und Dienst an anderen als universelles SELBST.
Während der Fortschritt auf der Straße zur Erleuchtung bei alleinigem Verlass auf Methoden der Selbst-Analyse unberechenbar, schwierig oder sogar nichtexistent sein kann, ist es etwas ganz anderes, wenn die Selbst-Analyse im Zusammenspiel mit einem Pfad basierend auf der Integration von getesteten und wahren Yoga-Methoden genutzt wird.
Die Kultivierung der inneren Stille (des Zeugen) in der tiefen Meditation sorgt dafür, dass sich unsere Wahrnehmung mit der Zeit aus dem Inneren heraus ausweitet, und das bereitet das Feld, so dass der Prozess einer fruchtbaren Selbst-Analyse in Gang kommen kann. Genauso kultivieren unsere Erfahrungen in der täglichen Samyama Praxis unsere Fähigkeiten, in die Stille loszulassen und mehr von der Ebene unserer bleibenden inneren Stille aus zu leben.
Schreiten die Reinigung und Öffnung in uns weiter voran, verändern und verfeinern sich unsere Methoden der Selbst-Analyse mit der Zeit, wenn wir vom Stadium der Vor-Zeugenschaft zur Zeugenschaft, dann zur Unterscheidung, Leidenschaftslosigkeit und der Einheit weitergehen.
Das stetige Ansteigen von innerer Stille und unserer Fähigkeit, unsere Absichten und Wahrnehmungen in diese hinein loszulassen, ist die Dynamik hinter dem Fortschritt der Selbst-Analyse vom Nicht-Beziehungsvollen zum Beziehungsvollen. Diese Dynamik wird andauern bis derjenige, der erfährt, und die Erfahrung zu EINEM verschmolzen sind – selbsterhaltend, in der Welt aktiv und frei von den Fesseln der Identifizierung und dem Leiden.
Vor-Zeugenschaft
Welche Bedeutung hat eine Selbst-Analyse der absoluten (nicht-dualen) Art, wenn wir uns noch im Zustand der Vor-Zeugenschaft des Verstandes befinden? Auf dieser Ebene betrachtet man alle Dinge vornehmlich noch von der Warte des Denkens und der Logic aus. Was beutet es für uns in diesem Stadium, wenn wir hören: »Alles dies hier, was wir in der Welt sehen, ist Illusion und du bist die Realität hinter dem.«
Wir erhalten vielleicht einige Inspirationen, wir können einen Wunsch nähren, mehr zu wissen, mehr zu sein. Das wäre zu hoffen. Doch je mehr wir darüber nachdenken, desto mehr Schichten werden sich um diesen wesentlichen Wunsch, die Wahrheit zu wissen, herumlagern. Wie oft werden wir die Frage: «Wer bin ich?«, wiederholen müssen, bevor wir einen Funken davon erhaschen, wer und was wir wirklich sind? Und wie viele Bücher werden wir lesen müssen. Deshalb bezeichnen wir den Zustand der Vor-Zeugenschaft als das Stadium der Inspiration und des Luftschlösserbauens. Nicht viel mehr kann sich daraus ergeben, bis wir zur nächsten Stufe übergehen. Bei geeigneter Inspiration werden wir uns gedrängt fühlen, in Aktion zu treten und nicht nur mit unserem winzigen Gehirn die Vorstellung gegen das Unendliche zu hämmern! Der Verstand kann nur eine bestimmte Zeit um sich selbst kreisen, bis er erkennt, dass wir der Mischung noch etwas hinzugeben müssen.
Sobald wir uns inspiriert fühlen, die Wahrheit aufzudecken, ist es wichtig, in Aktion zu treten, und zwar in intelligente Aktion. Puristen der Selbst-Analyse werden sagen: »Trete nicht in Aktion. Tue nichts. Sei nur einfach!« Gut, wir können in der Vor-Zeugenschaft für sehr lange Zeit versuchen, dies zu tun. Zweifellos können wir auch etwas von der Zeugeneigenschaft entwickeln, indem wir auf das Nur-Sein hinarbeiten. Doch es gibt eben noch einen viel schnelleren Weg.
Sind wir entschlossen, aktiv zu werden und alle Hilfsmittel einzusetzen, die uns zur Verfügung stehen, können wir sehr schnell entlang der Straße der Erkenntnis dessen, was wir schon sind – unser innerstes SELBST, reisen. Mit tiefer Meditation und einem gefüllten Köcher unterstützender Übungen bewegen wir uns mit Sicherheit in den Zustand der Zeugenschaft.
Die Zeugenschaft
Wie zuvor bereits erwähnt, ist die Zeugenschaft eine völlig neue Situation. Man muss darauf hinweisen, dass es zwei Arten der Zeugenschaft gibt. Sobald die Zeugenschaft aufkommt, gibt es einen kontinuierlichen Entwicklungsverlauf. Er beginnt als ein passiver, innerer Zustand, den man als Trennung von den Ereignissen um uns herum wahrnimmt. Diesen Zustand bemerkt man oft zum ersten Mal beim Auftreten dynamischer Ereignisse. Jeder hat schon einmal eine Erfahrung gemacht, als ob die Zeit stillstehen würde, wenn ein dynamisches Ereignis, wie ein Autounfall, eine Explosion oder eine andere plötzliche Veränderung in unserer Umgebung auftrat. Beginnt der Zeuge aufzukommen, werden auch gewöhnliche Ereignisse allmählich mehr auf diese Weise erfahren. Vertieft sich die Zeugenschaft weiter, werden unser Körper, unsere Gedanken und Gefühle zu Objekten der Wahrnehmung, die von unserer Empfindung des Selbst, unserem Zeugen getrennt sind. Dies ist eine wichtige Entwicklung.
Bevor der Zeuge sich bis zu dem Punkt entwickelt hat, dass Gedanken und Gefühle zu Objekten unserer Wahrnehmung werden, wird die Selbst-Analyse in den meisten Fällen nicht-beziehungsvoll sein, d.h. es besteht keine wirkliche Verbindung zu dem, was wir wirklich sind – reines Bewusstsein. Die Dämmerung des Zeugen bildet die Bühne für die wirkliche Selbst-Analyse und für die ständige Veränderung in unseren Lebenserfahrungen. Das ist der Zeitpunkt, dass sich der Prozess jenseits der Vorstellungen hin zur direkten Erfahrung bewegen kann. Und die direkte Erfahrung liegt jenseits aller Erfahrung. Beim anfänglichen Zustand der Zeugenschaft erfahren wir, sind jedoch nicht die Erfahrung. Wir befinden uns nur jenseits davon und beobachten von der abgetrennten reinen Bewusstheit aus.
Da gibt es noch einige weitere Schritte, die wir nach dem Aufkommen des Zeugen durchlaufen müssen. Es ist nicht genug, sich fest in der inneren Stille etabliert zu haben, und die sich verändernde Welt als von uns getrennt zu erkennen. Wir müssen etwas mit ihr tun, um sie vorwärtszubringen. Die Evolution zwingt uns dazu. Mit nur wenigen Anstößen kommt es auch ganz natürlich dazu. Dies ist der Punkt, an dem die Selbst-Analyse den größten Einfluss auf den Pfad zur Erleuchtung von uns allen haben kann, weil wir in der Lage sind, auf der Grundlage unserer Stille bewusste Entscheidungen zu treffen. Wir sehen unsere Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen der Welt so wie sie sind, ohne uns ganz mit ihnen zu identifizieren. Dann sind wir in der Lage, uns auf eine Weise zu betätigen, die nicht bindet, sondern für uns befreiend wirkt – sowohl für uns selbst wie für alle anderen.
Andere Yoga-Übungen wie Samyama, das Pranayama der Wirbelsäulenatmung und weitere Übungen, die die ekstatische Leitfähigkeit (Kundalini-Erweckung) im Körper kultivieren, sind eine Hilfe für diesen Prozess. Werden wir gefestigter in der inneren Stille wie auch der ekstatischen Leitfähigkeit, erfahren wir eine Verfeinerung der Wahrnehmung und die Bewegung dynamischer Stille in unseren Gedankenprozessen. Diese Entwicklungen unterstützen die sich stetig verbessernde Effektivität in der beziehungsvollen Selbst-Analyse.
Unterscheidung
Wenn wir an Unterscheidung denken, verbinden wir damit normalerweise die Wahl zwischen der einen oder anderen Sache – die Wahl zwischen diesem oder jenem Konzept. Die nicht-beziehungsvolle Selbst-Analyse ist damit vergleichbar: Man wählt aus mehreren Dingen, Vorstellungen und Wegen, wie wir sie uns für unser Leben wünschen würden. Diese Art der Unterscheidung ist zirkulär. Sie gelangt nirgendwo schnell hin und es erfordert möglicherweise lange Zeit, bis sie überhaupt irgendwo hingelangt. Sogar eine Entscheidung, nicht zu denken, ist eine gigantische Aufgabe, wenn man sich auf nicht-beziehungsvolle Weise (ohne dass der Zeuge unsere Bestrebungen unterstützt) an die Verwirklichung macht.
Greift die Gegenwart des Zeugen immer mehr um sich, verändert sich die gesamte Dynamik der Selbst-Analyse. Dann wählen wir aus dem, was Objekt (Dinge, Vorstellungen, Gefühle) und dem was Subjekt (Zeuge, das SELBST) ist. Und diese Art des Auswählens ist in keiner Weise ein Tun. Es ist ein Loslassen, eine Hingabe, selbst wenn wir in dieser Welt aktiv sind.
Wir wissen alle, was wir wollen. Wir wollen die Wahrheit wissen. Wir wollen glücklich sein. Wir wollen frei sein. Seit unserer Kindheit wurde uns gesagt, dass uns die Wahrheit von den Lasten des Lebens befreien würde. Deshalb wollen wir DAS.
Wird die Zeugenschaft immer mehr zu einem bleibenden Zustand, so dass man ruhig jeden Gedanken und jedes Gefühl beobachtet, dann erkennen wir uns selbst als DAS, also als unerschütterlich und unabhängig von all unseren Erfahrungen, unsere eigenen Gedanken eingeschlossen … dann sind wir endlich in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die die gewohnheitsmäßige Identifikation mit Erfahrungen und den Traum, in den wir bis jetzt verstrickt waren, auflösen.
Das ist eine neue Perspektive, von der aus wir klar erkennen können, was real ist und was nicht. Gleichzeitig ist es genauso tiefgreifend und auch einfach, wie das direkte Wahrnehmen dessen, was ewig ist und was nicht. Und dementsprechend können wir unterscheiden, logische Entscheidungen treffen, die in der Stille verankert sind, und die schwelende Gewohnheit des Verstandes, sich mit den Objekten der Erfahrung zu identifizieren, entflechten – sowohl im Inneren von uns wie im Äußeren.
In der Sprache des Advaita (Nicht-Dualität) nennt man dies Neti Neti, was so viel wie nicht dies und nicht das bedeutet. Ist der Zeuge ausreichend vorhanden, sodass es zur beziehungsvollen Selbst-Analyse in Form der Unterscheidung kommen kann, dann wird Neti Neti zu einer Realität. Wir erkennen unmittelbar, was wahr ist und was nicht, und wir können leicht auswählen. Bevor wir das erreicht haben, wird Neti Neti eine Übung des Intellekts sein und kann dann genauso ineffizient und ermüdend sein, wie jede andere nicht-beziehungsvolle Selbst-Analyse. Wir werden wissen, dass der Zeuge sich etabliert, wenn die Unterscheidung leichter fällt. Dies ist ein verräterisches Zeichen.
Eine gewisse Begeisterung begleitet die Erkenntnis, dass wir an dem Punkt angekommen sind, mit Sicherheit entscheiden zu können, was wirklich und was unwirklich ist. Das kann soweit gehen, dass der damit verbundene Enthusiasmus alles andere ausschließen will und wir darauf bedacht sein müssen, nicht die Übungen zu vernachlässigen, die uns an diesen Punkt gebracht haben. Es kann da eine Neigung bestehen, unsere Fahne auf der Auffassung, dass wir DAS sind, aufzurichten, und uns auf die Vorstellung zu versteifen, wir bräuchten in Zukunft nichts weiter tun, als nur DEM nachzuhängen.
Kommt es dazu, kann alles wieder in die nicht-beziehungsvolle Selbst-Analyse abgleiten. Dies kann auch fortgeschritten Übenden geschehen. Viel klüger ist es, mit den Übungen fortzufahren, die uns soweit gebracht haben, und die Gegenwart des Zeugen weiter zu stärken, dass wir nicht mehr in die Versuchung kommen, uns einzubilden, schon alles erreicht zu haben. Auch die schon sehr fortgeschritten Übenden müssen sich davor in Acht nehmen, nicht wieder in die nicht-beziehungsvolle Selbanalyse zu verfallen.
Mit Sicherheit können wir Riesenschritt in Richtung Verwirklichung machen, sobald wir erst einmal fähig sind, klar zwischen Objekten (inneren und äußeren) und dem Subjekt (dem Zeugen – SELBST) zu unterscheiden. Damit hat die beste Zeit für die Selbst-Analyse begonnen. Doch wird dies nicht das Einzige sein, was dadurch in Gang kommt, falls wir nur weise genug sind, mit unserer täglichen Routine von Yoga-Übungen fortzufahren. Alle Methoden in Kombination sichern unseren raschen Fortschritt.
Selbst-Analyse ist nützlich, doch kann man sich nicht darauf verlassen, dass sie von alleine funktioniert. Auf jeden Fall nicht auf dem Niveau der Unterscheidung oder einem vorhergehenden Niveau.
Eine Zeit wird kommen, da die Unterscheidung beginnt, etwas anderem Platz zu machen. Das ist das Loslassen der Notwendigkeit, überhaupt noch Entscheidungen zu treffen. Das Subjekt (der Zeuge) ist so gut eingerichtet, dass es nicht länger nötig ist, auszuwählen. Wir sind einfach nur und wir können allem und jedem in unserem Bewusstseinsfeld erlauben, einfach zu sein, auch wenn wir ganz normal im täglichen Leben handeln und in Interaktion treten. Wir nennen dies den Zustand der Leidenschaftslosigkeit. Dies ist die Stufe, auf der wir völlig gelassen sind, was immer sich in uns selbst oder außerhalb von uns abspielt.
Leidenschaftslosigkeit
Das Erreichen des Zustands der Leidenschaftslosigkeit ist eines der vornehmlichen Ziele der Selbst-Analyse. Jene, die sehr enthusiastisch und der Selbst-Analyse ganz hingegeben sind, verfolgen leidenschaftlich das Ziel, die Leidenschaftslosigkeit zu entwickeln. Dies ist natürlich eine nicht-beziehungsvolle Selbst-Analyse. Wir müssen alle irgendwo anfangen. Wir können nicht am Ende beginnen, auch wenn wir sicherlich leidenschaftlich das Ziel verfolgen, das wir uns gesetzt haben und das einem Zweck dient. Es ist unsere Bhakti (Hingabe an unser gewähltes Ideal).
Leidenschaftslosigkeit ist kein Handeln und liegt sogar jenseits aller Selbst-Analyse. Es ist nicht einmal ein Loslassen, denn dieser Zustand befindet sich jenseits aller Entscheidungen. Leidenschaftslosigkeit ist ein Zustand des Seins. Es ist das Subjekt (der Zeuge, unser Bewusstsein vom SELBST), das durch eine Integration von Übungen bis zu dem Punkt entwickelt ist, dass man locker mit allen Objekten der Erfahrung umgeht, ohne sich zu identifizieren. Dies trifft zu auf Ereignisse, Beziehungen und alles, was sich im Körper, Herzen und im Verstand abspielt.
Ist die Leidenschaftslosigkeit ein Zustand der Gleichgültigkeit, ein Zustand der Gefühllosigkeit? Bedeutet dies, dass wir in der Welt nicht mehr handeln oder reagieren? Dies bedeutet es nicht. Es ist ganz das Gegenteil. Vieles in der spirituellen Entwicklung gleicht einem Paradox, mit weniger wird man zu mehr.
Das allmähliche Aufkommen der Leidenschaftslosigkeit bedeutet, dass wir in der Welt freier werden, uns für das Beste für alle einzusetzen. Die innere Stille wird sich bewegen, um dies durch uns immer mehr zu vollbringen, je weiter wir auf dem Pfad voranschreiten. Dies ist das Paradox der Erleuchtung. Je mehr innere Grenzen wir überschritten haben, desto engagierter werden wir uns zum Wohle anderer einsetzen. Dies ist die Natur des göttlichen Bewusstseins.
Wir müssen wirklich dem den Verdienst zuschreiben, der es auch verdient. Die tiefe Meditation (falls wir sie ausführen) kultiviert die Leidenschaftslosigkeit am stärksten, weil die Leidenschaftslosigkeit ein fortgeschrittener Zustand der Zeugenschaft ist. Ein Pfad der Selbstverwirklichung, der ausschließlich auf die Selbst-Analyse baut, kann auch zur Leidenschaftslosigkeit führen, doch gelingt dies höchst selten. Damit die Selbst-Analyse erfolgreich sein kann, muss sie sich auf die Ebene der Meditation erheben, was mit dem Transzendieren aller Objekte der Aufmerksamkeit gleichzusetzen ist. Vollzieht man die Selbst-Analyse auf diese Weise für lange Zeit alleine, dann wird der Zeuge auch zum Vorschein kommen. Praktiziert man das noch länger so, führt dies zur Leidenschaftslosigkeit. Dies ist allerdings ein schwieriger Pfad, weil ihm eine strukturierte und effiziente Praxisroutine abgeht. Es kann auch die Konzeption von Übung überhaupt fehlen. Bei einem Pfad, der ausschließlich auf die Selbst-Analyse baut, muss man sich ständig daran erinnern, alle Objekte der Wahrnehmung, wozu auch alle Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen äußerer Objekte gehören, loszulassen. Wird diese Art Selbst-Analyse zu einer tief verinnerlichten Gewohnheit, dann wird das eine Art von ständig ablaufender Meditation sein. Wie ein derartiger Ansatz sich in das alltägliche Leben einpassen kann, ist eine andere Frage, weil dazu eine ständige Selbst-Analyse nötig ist, die in allen Winkeln und Ecken unseres täglichen Lebens stattfindet. Dies ist für jemanden mit Familie und einer Karriere möglicherweise überhaupt nicht praktizierbar. Es kann da unmittelbar zu Konflikten kommen, besonders wenn der Zeuge noch nicht zum Vorschein gekommen ist.
Wenn man andererseits die tiefe Meditation und andere sitzende Übungen in Form einer zweimal täglichen strukturierten Routine praktiziert und sonst ein ganz normales Leben führt, wird der Zeuge auf ganz natürliche Weise aufkommen und dabei auch für die Familie und die Karriere eine Unterstützung sein. Genauso wird er uns helfen, die Selbst-Analyse auf eine Weise zu betreiben, die unseren normalen Lebensfluss in keiner Weise beeinträchtigt. Die tiefe Meditation bringt den Zeugen hervor und die Selbst-Analyse sorgt für eine Perspektive, die unser alltägliches Leben und unser Handeln nicht ersetzt, sondern verbessert.
Leidenschaftslosigkeit kann man auf dem Marktplatz genauso gebrauchen wie an einem entlegenen Rückzugsort. Das ist alles dasselbe. Die Kombination von täglicher tiefer Meditation und allmählich aufkommender Selbst-Analyse stattet das Leben mit Flexibilität aus und ist zudem ein viel schnellerer Pfad.
Einheit
Niemand weiß, wie die wahre Natur der Existenz außerhalb der Reiche von Zeit und Raum aussieht. Doch sonderbarerweise können wir eine direkte Erfahrung davon haben. Der Grund dafür, dass wir sagen: »Wir können nicht wissen« ist der, dass die Wirklichkeit, die wir durch die tiefe Meditation und die Selbst-Analyse erfahren können, außerhalb des Reiches von Wissen liegt. Es ist DAS und tausende Bände sind bereits geschrieben worden, in denen versucht wurde, DAS zu beschreiben.
Am Ende ist das Beste, was wir tun können, zu sagen: »Ich bin DAS.« Dann können wir mit den vielen Beschreibungen von DEM fortfahren – reines Glückseligkeitsbewusstsein, Leere, Tao, Gott, Allah … Es macht wirklich keinen großen Unterschied, wie wir es nennen. DAS ist eine genauso gute Bezeichnung wie jede andere und wir sind DAS. Alles was existiert, ist DAS.
Wenn dies ein wenig unpersönlich klingt, dann ist dies keine Absicht. Denn DAS ist die Quelle aller Liebe, Güte, Kreativität allen Mitgefühls und Glücks in der Welt. DAS erleuchtet uns mit diesen göttlichen Eigenschaften und ist die Quelle aller guten Taten.
Es gibt da ein Missverständnis, das durch einige Lehrer am Leben gehalten wird – die Prämisse, nur das Werden zu DEM sei wichtig und alles andere auf Erden sei unwichtig. Tatsächlich geht diese Prämisse davon aus, dass nichts auf Erden existiert. In einem philosophischen Sinne mag das auch wahr sein. Wir haben das in der Schule im Rahmen der Quantenphysik gelernt, oder? Doch hebt man das auf die Ebene des Intellekts, ist das eine der größten Fallen, die uns in der nicht-beziehungsvollen Selbst-Analyse festhalten kann.
Da gibt es diese Vorstellung, dass es völlig unwichtig ist, was aus dieser Erde und aus den Myriaden von Lebensformen darauf wird. Darin unterscheidet sich derjenige, der wirklich erleuchtet ist, von demjenigem, der durch nicht-beziehungsvolle Selbst-Analyse, erzwungen durch eine starre intellektuelle Sichtweise, eine Trennung zwischen sich und dem Rest der Welt erzeugt hat. Mit einer klaren auf Stille basierenden beziehungsvollen Selbst-Analyse können wir dies kurzerhand zurückweisen. Neti Neti!
Der Erleuchtete wird diejenige oder derjenige sein, der sich für das Wohl aller als DEM einsetzt. Der Fortschritt auf dem Pfad der Erleuchtung bringt die Einsicht mit sich, dass wir nur frei sein können, wenn alle frei sind, denn wir sind Eins mit allen, die leiden.
Das Bild des einsamen Weisen auf dem Gipfel eines Berges, den die Mühsal der Welt nicht bekümmert, ist eine Fiktion. Setzt sich ein Weiser nicht auf irgendeine Weise für das Wohlergehen anderer ein, dann muss man seinen Entwicklungszustand anzweifeln. Die wahre Erleuchtung ist der spontane Ausfluss göttlicher Liebe, die ständig daran arbeitet, jeden zu erheben. Der Weise wird zu einem willfährigen und weit geöffneten Kanal DAFÜR, der nichts tut, während er alles macht.
Während also Yoga und die Selbst-Analyse oft als ein Gehen in das Transzendentale angesehen werden, um nie mehr zurückzukehren, ist es keinesfalls so. Wir können das, was hier und jetzt ist, niemals verlassen, denn dies ist es, was wir in unserem eigenen SELBST sind. Die Reise des Yoga und der Selbst-Analyse ist eine Reise, die alles Seiende transzendiert. Sie endet jedoch mit einer Umkehr und in dem vollen Engagement für die Besserung der Menschheit – eine Reise von hier nach hier. Dies ist das höchste Wissen und seine höchste Manifestation in dieser Welt.
»Ich bin DAS. Du bist DAS. Alles dies ist DAS.«
Es ist ein endloses Ausfließen göttlicher Liebe, deren innerste Natur und letztendliche Frucht das Leben ist, das überall in der Einheit der Vereinigung residiert. Es war schon immer DAS und wird auch immer DAS bleiben. Der Zeuge und die Selbst-Analyse führen zur unmittelbaren Erkenntnis von DEM.
Der Guru ist in dir.
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