Lektion 328 – Das »Reif« werden

Frage: Von Advaita-Lehrern und ähnlichen habe ich gehört, dass man bereit und »reif« dafür sein muss, bevor man durch die Mittel, die sie lehren, erleuchtet werden kann. Was bedeutet dies und was muss ich tun, um reif zu werden?

Antwort: In der Terminologie, die wir bei den Fortgeschrittenen Yoga Übungen benutzen, heißt »reif« so viel wie »beziehungsvoll« und das ist die zunehmende Anwesenheit von bleibender innerer Stille (der Zeuge), die sich den Beziehungen zu allen Aspekten unseres täglichen Lebens beimischt, auch zu unserer Selbst-Analyse dessen, was wir sind. Bevor dies erreicht ist, ist unser Denken, Fühlen und Handeln mehr wie eine unreife Frucht, der die befreite Fülle und Strahlkraft innerer Süße abgeht, die wir fühlen, sobald wir uns als den Handelnden erfahren, der jenseits aller Manifestationen im Reich von Zeit und Raum existiert.

Bei einer Frucht wissen wir oft vom bloßen Daraufschauen, ob sie reif ist und ganz gewiss, sobald wir in sie hineinbeißen. In gleicher Weise werden die Advaita-Weisen (Nicht-Dualität und Selbst-Analyse) sagen können, ob wir reif sind oder nicht, und mit uns entsprechend interagieren. Sind wir reif, werden sie in der Lage sein, uns sehr zu helfen. Sind wir nicht reif, werden sie vielleicht das Fehlen unserer Reife erdulden oder uns zu unserem eigenen Besten fortschicken. Wichtiger ist aber, dass wir sie – abhängig von unserem inneren Zustand – ertragen oder auch nicht. Ein Advaita-Weiser wird nur begrenzt etwas für uns tun können, solange nicht die Zeit der Reife gekommen ist. Wir können sagen, dass sie die Erntemaschine der Erleuchtung sind, die Obstpflücker. Sie werden uns immer dasselbe sagen – »Du bist DAS, das jenseits von dem allen liegt.« Allerdings können uns die Advaita-Lehrer vielleicht innerlich anstoßen. Doch nur wenige Advaita-Lehrer sind in der Lage, uns praktische Mittel an die Hand zu geben, die uns helfen, für die Erleuchtung reif zu werden. Erst dann werden wir ganz das hören und verstehen, was sie sagen, und es unmittelbar in unserem Leben erfahren können. Ob wir reif werden oder nicht, hängt von uns ab und wir müssen vielleicht woandershin gehen, um dafür Unterstützung zu erhalten. So ist das halt.

Einerseits ist das Reifwerden etwas, das seinen eigenen Verlauf nehmen wird, abhängig von den Bedingungen der Kultivierung oder deren Abwesenheit. Ein Obstgarten, den man sich selbst überlässt, kann sich verwachsen oder mit Unkraut überwuchert werden. Er wird dann immer noch einige reife Früchte hervorbringen, doch da wird vieles dem Zufall überlassen sein. Es gibt viel mehr Zufallsereignisse, die einen Obstgarten negativ beeinträchtigen können, wenn sich niemand um ihn kümmert und dafür sorgt, dass er gut gedeiht.

Wird ein Obstgarten andererseits gut gepflegt, kultiviert und gedüngt, dann bringt er mit ziemlicher Verlässlichkeit reife Früchte hervor – süße, köstliche Früchte, die der Advaita-Lehrer sehr gerne pflückt. Für sie ist es dann sehr einfach, weil die Kultivierung bereits stattgefunden hat und die Frucht reif ist, vom Baum zu fallen. Aber auch ohne jemanden, der erntet, wird die Frucht vom Baum fallen, oder etwa nicht? Echte Advaita-Lehrer werden die Ersten sein, die dem reifen Aspiranten sagen: »Du brauchst mich gar nicht. Bleibe nur immer der/die, der/die du bist, was immer kommt. Sei dir bewusst, dass du der EINE hinter all dem bist und du wirst die Wahrheit des Lebens unmittelbar erfahren.«

Im letzten halben Jahrhundert hat sich sehr viel verändert. Viele Aspiranten werden reif und die Advaita-Obstpflücker haben sehr viel zu tun. Wir dürfen jedoch nicht das Ernten der Früchte mit dem Prozess einer guten Kultivierung des Reifungsprozesses verwechseln. Die Frucht, die heute vom Baum fällt, ist nicht durch den Erntehelfer reif geworden. Viel mehr Verantwortung dafür tragen die Millionen auf der gesamten Welt, die im letzten halben Jahrhundert den Kultivierungsprozess mit Meditation in sich vorangetrieben haben. Die vielen, die Verantwortung für ihre spirituelle Kultivierung übernommen haben, sind diejenigen, die die reifen Früchte in die Welt bringen. So wird es auch weitergehen. Diejenigen, die sich mit effektiven täglichen spirituellen Übungen aktiv betätigen, legen damit die Grundlagen für die spirituelle Transformation der Menschheit.

Wir brauchen unsere Advaita- d.h. Nicht-Dualität-Lehrer. Sie inspirieren uns am Beginn unseres Pfades und geben uns die Anstöße, die wir, sobald wir reif und bereit geworden sind, brauchen, um in die fortgeschrittenen Stadien der spirituellen Reise weitergehen zu können. Dazwischen ist es die Aufgabe für die meisten von uns, sehr viel an der eigenen Kultivierung zu arbeiten (vgl. Lektion 324). Ehre, wem Ehre gebührt. Doch dürfen wir nicht vergessen, dass es in unserer eigenen Verantwortung liegt, reif zu werden. Die Reife ist die Folge unseres ernsthaften Wunsches (Bhakti) und unserer Bereitschaft, unsere täglichen Übungen solange aufrecht zu erhalten, wie es nötig ist. Daraus ergibt sich die Reife mit Sicherheit und wir werden vom Baum der Illusion in die ewige allgegenwärtige Einheit fallen.

Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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