Lektion 380 – Der Anhaftung habhaft werden

Frage: Seit ich vor einigen Jahren begonnen habe zu meditieren (ich habe auch Samyama hinzugenommen und mich mit verschiedenen Systemen der Selbst-Analyse beschäftigt), habe ich bemerkt, dass ich öfter der Anhaftung an meine inneren Dramen, Gedanken, Emotionen habhaft werde und diese loslasse. Ich kann nicht behaupten, dass ich da besonders systematisch vorgehe, außer dass ich mich täglich zu meinen Meditationen und Samyama hinsetze. Genauso wenig kann ich sagen, dass ich besonders gut darin bin. Das Loslassen scheint öfter von alleine zu passieren, wo immer ich auch bin oder was immer ich tue. Sollte ich mehr damit tun, indem ich eine systematischere und konzentriertere Herangehensweise an Selbst-Analyse während des Tages wähle? Ich bin immer sehr beschäftigt, deshalb könnte das schwierig sein.


Antwort: Es hört sich so an, als hättest du es da mit sehr guten Entwicklungen zu tun. Am besten wird es sein, wenn du auf der Linie fortfährst, auf der du dich gerade befindest. Nicht viel mehr wird nötig sein.


Der Großteil der sogenannten Selbst-Analyse ist einfach nur noch mehr mentale Aktivität. Man versucht, mit dem Verstand das zu erreichen, was man nicht erreichen kann: Den Zustand begreifen, den wir Erleuchtung nennen. Selbst-Analyse selbst ist meist eine Form der Anhaftung und wie mit allem anderen, können wir unseres Anhaftens habhaft werden, um es dann loszulassen. Auf diese Weise besteht die Essenz aller Selbst-Analyse darin, dass wir sie loslassen.


Was ist also das „Habhaftwerden der Anhaftung“ das du erfährst? Ist das eine mentale Aktivität oder ist es etwas anderes?


In früheren Lektionen haben wir betont, dass die durch die tiefe Meditation kultivierte bleibende innere Stille die Grundvoraussetzung für eine effektive (beziehungsvolle) Selbst-Analyse ist und dass der gesamte Prozess mit einer täglichen strukturierten Samyama-Übung noch beschleunigt werden kann. Bleibende innere Stille ist unsere Präsenz in der Stille oder Leere, wie die Buddhisten sagen. Samyama ist die Kultivierung unserer natürlichen Fähigkeit, Absichten in unsere Stille loszulassen, die in der Ausdehnung von Stille aus dem Inneren resultieren. Dies ist die Essenz der Selbst-Analyse, dass man eine Absicht in die Stille loslässt, was zur Auflösung aller selbst-identifizierten (ego-zentrierten) Wahrnehmung führt. Das ist der erleuchtete Zustand.


Analyse und Absicht sind nichts vornehmlich Mentales, auch wenn wir einige Worte und Gedanken beigeben, um einen Betrachtungswinkel zu setzen. Doch die Analyse oder Absicht geht über diese Gedanken hinaus. Sie ist eine Emotion, ein Gefühl. Sie ist ein tiefverwurzelter Wunsch. Ist der Wunsch nach innerer Erweckung aufgrund irgendeiner speziellen Struktur oder ein gewähltes Ideal stark, dann nennen wir das „Bhakti“. Die Essenz der Selbst-Analyse ist also überhaupt nicht mental. Sie ist emotional. Sie hat einen Bezug zur Hingabe.


Hingabe an was? Hingegeben an unser Ideal die Erleuchtung, an unsere tiefste Wahrnehmung von Wissen, was immer das sein mag. Es gibt viele Formen von Selbst-Analyse, so viele wie Vorstellungen, die wir über die Wahrheit der Existenz und der Haltungen, die sie offenbaren, haben können. Am Ende geht es nicht um die Vorstellungen, sondern um die Tiefe unserer Absicht und unsere Fähigkeit, diese Absicht in die Stille loszulassen. Das wurde auch als „Hingabe“ bezeichnet. Deshalb die Grundvoraussetzung der Stille und die Entwicklung unserer Fähigkeit, in sie loszulassen, indem wir die Prinzipien von Samyama nutzen. Es geht nur darum. Es geht nicht darum, irgendetwas anderes zu ergründen.


Eine realistische Einschätzung lautet: Mit täglicher tiefer Meditation und der Samyama-Übung hast du bereits alles, was du brauchst. Der Rest wird automatisch geschehen, genauso wie du das festgestellt hast.


Doch dies ist nur eine geringe Entschädigung für den Verstand, der fühlt, dass er etwas tun muss. Was machen wir also? Wir geben dem Verstand etwas Philosophie, etwas Logik, womit er spielen kann und hoffentlich nicht auf Kosten unserer wirklichen Analyse, die im Untergrund als Ergebnis unserer natürlichen Bhakti und täglichen Übungen weitergeht. Führt uns unsere Logik dazu, dass wir eine der beiden aufgeben, dann kommen wir in Schwierigkeiten. Dann übernimmt der Zauberlehrling (der Verstand) das Kommando.


Mach dir deshalb über die strukturierte Selbst-Analyse nicht zu viele Gedanken. Das Wissen wird aus dem Inneren der Stille kommen und unsere Aufgabe ist es, diesem Wissen zu erlauben, da zu sein und nicht irgendeine mentale Formel abzuspielen. Wie machen wir das? Ganz einfach, indem wir wahrnehmen, was geschieht, und das in die Stille loslassen.


Sobald wir vom Standpunkt unserer aufkommenden Sichtweise in der bleibenden inneren Stille (dem Zeugen) wahrnehmen, dass wir uns mit den Objekten der Wahrnehmung im Inneren und in der Umgebung identifizieren, dann werden wir durch diese Wahrnehmung „der Anhaftung habhaft“. Sobald wir dies bemerken, kommt es zu einem Loslassen und das ist es. Wir können uns nicht dazu bringen zu bemerken. Wir können nur bemerken, wenn wir uns in der Stille eingerichtet haben. Genauso können wir die Aussicht von der Bergspitze nicht bemerken, außer wenn wir uns auf der Bergspitze befinden. Jemand kann uns ein Bild zeigen. Doch wir wissen, dass das nicht dasselbe ist. Das ist nur eine Reproduktion. Die Philosophien und Ideen über die Wahrheit sind auch Reproduktionen. Das wahre Habhaftwerden der Anhaftung ist eine innewohnende Eigenschaft des Bleibens in der inneren Stille. Es geht darum, das zu werden. Dazu muss man den Verstand aus dem Weg schaffen. Wissen stellt sich ein, sobald die Stille aufkommt und der Verstand (und auch der Sinn für das Selbst) dem hingegeben ist, unserem wahren SELBST


Das soll nicht heißen, dass Systeme der Selbst-Analyse nicht nützlich sind. Sicherlich können alle mentalen Aktivitäten, die uns unterstützen, den Weg für unsere aufkommende innere Stille freizumachen, hilfreich sein. Das ist viel besser, als sich zwanghaft damit zu beschäftigen, was wir tun sollen. Jeder wird sich zu der Form von Selbst-Analyse hingezogen fühlen, die zu seiner Natur und auch zu der Stelle, auf der er sich gerade auf seinem Pfad befindet, passt. In Lektion 350 findet man dazu einige Vorschläge.


Das Beste, was wir uns von jedem System der Selbst-Analyse erhoffen können, ist die Entwicklung einer Gewohnheit, aus dem Weg zu gehen. Selbst-Analyse hilft uns zu erkennen, was in unserer Wahrnehmung wahr ist und was nicht. Gibt es irgendetwas in unserer Erfahrung, das keine Interpretation unseres Verstandes ist? – Nein, nichts. Nicht einmal unser Gefühl, dass das „Ich“ begrenzt ist. Nach dem Aufkommen der inneren Stille also, sobald wir gewahr werden, dass unser Selbst reines Gewahrsein ist, kann uns Selbst-Analyse dabei helfen, die mentalen Gewohnheiten zu entwickeln, die mit unserem angeborenen Zustand vereinbar sind. Die mentalen Gewohnheiten ohne den angeborenen Zustand der bleibenden inneren Stille sind von geringem Wert. Wir möchten dafür sorgen, dass das Pferd vor dem Wagen bleibt. Das ist hier die Herangehensweise.


Deshalb schlage ich vor, dass du weiterhin meditierst, auch mit Samyama und anderen Übungen weitermachst, die den Fluss des reinen Glückseligkeitsbewusstseins in deinem täglichen Leben ermöglichen, und, während du deinen täglichen Geschäften nachgehst, nur beobachtest. Es ist nicht notwendig, dass du das Beobachten erzwingst. Dass du der Anhaftung habhaft wirst, ist etwas, das auf natürliche Weise geschieht, wenn du auf deinem Weg weitergehst. Das wird dein Leben auf vielen Wegen bereichern. Wir brauchen das nicht an die große Glocke zu hängen. Je größer wir das machen, desto weniger wird es sein. Das ist es, was der Verstand macht, besonders mit dem Erleuchtungsprozess. Er neigt dazu, Luftschlösser zu bauen. Es ist besser, nur täglich zu meditieren und ein normales Leben zu leben. 


Das hilft dabei, sich weiterhin der Konzepte zur Selbst-Analyse und Nicht-Dualität bewusst zu werden, ohne verbissen zu werden. Dieses langsam zunehmende Verständnis, das mit der Ausdehnung unserer bleibenden inneren Stille einhergeht, wird uns helfen, uns zu einer anhaltenden direkten Erfahrung unserer wahren Natur zu öffnen.


Praktizieren wir täglich Yoga, dann entfaltet das gewöhnliche Leben mehr als alles andere die Wahrheit dessen, wer wir sind. Durch unsere normalen Interaktionen in der Welt erkennen wir die Folgen der ansteigenden inneren Stille. In unserem Leben und überall auf der Welt spielt sie eine zunehmende Rolle. Wir erkennen, dass die Wahrheit Stille im Handeln ist. Darin sind wir frei.


Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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