Lektion 219 – F&A – Gereiztheit während der Aktivitäten

Frage: Ich meditiere bereits seit vielen Jahren und habe viele Methoden ausprobiert. Das Problem, das ich habe, ist folgendes:

Ich mache die Wirbelsäulenatmung, Bastrika und die wechselseitige Nasenatmung, und das alles mit den dazugehörigen Mudras und Bandhas. Dann mache ich die Mantra-Übung, wie in den Lektionen beschrieben. Das ist meine Lieblingsübung. Wenn ich damit fertig bin, ist mein Geist sehr klar und ruhig. Das ist sehr angenehm. Allerdings merke ich, dass ich sehr intolerant und ziemlich lieblos bin, auch wenn mein Herz der Stille immer noch mehr oder weniger intakt ist. Ich denke, dass mein Geist die innere Stille den normalen Irritationen, denen man bei der Arbeit oder zu Hause begegnet, vorzieht. Das hat in der Tat bereits zu Konflikten in der Arbeit geführt. Ich habe jedoch bemerkt, dass eine Meditation, bei der man das Heben und Senken des Bauchs mit der Atmung beobachtet, bei mir Ruhe und Toleranz erzeugt. Ich würde es eigentlich vorziehen, statt dieser buddhistischen Praxis die Übungen zu machen, die du anbietest. Ich denke aber, dass das Problem entsteht, wenn ich zu viel Energie in meinen Kopf bekomme und dass ich dadurch intolerant werde. Mein Bauch als Konzentrationspunkt einer Achtsamkeitsübung ist ein breiterer und niedrigerer Fokus und die akkumulierte Energie scheint mehr den ganzen Körper zu betreffen und ausgeglichener zu sein.

Natürlich wird dies niemals zu Kundalini usw. führen.

Hast du irgendwelche Vorschläge?!

Antwort: Danke, dass du schreibst und dich mitteilst.

Zu viel um die oberen Zentren fließende Energie (vom Herz nach oben) ist wahrscheinlich eine gute Einschätzung der Ursache, warum es bei dir zu Gereiztheit in den täglichen Aktivitäten kommt. Doch warum ist dies der Fall?

Sehr wahrscheinlich ist da zu viel Praxis und du gehst zu schnell vorwärts, wodurch mehr Reinigung in Gang kommt, als angenehm in deine täglichen Aktivitäten integriert werden kann. Jeder, auch derjenige mit langer Meditations- und Yoga-Erfahrung, kann übertreiben, wenn er zu oft zusätzliche Übungen hinzufügt oder sie umstellt und/oder plötzlich die Gesamtübungszeit ausweitet. Bringt man eine angeborene Sensibilität des Nervensystems mit (wie das in der letzten Lektion 218 erörtert wurde), kann dies die Ursache für das darauf folgende Unwohlsein sein. Es kann auch innere Stille da sein, während man Unbehaglichkeit fühlt. Die Friedlichkeit der inneren Stille (des Zeugen) ist natürlich etwas Gutes. In den formenden Phasen der aufkommenden inneren Stille gibt es einen Gegensatz zum äußeren Aktivsein und man kann den Eindruck eines Konflikts bekommen zwischen dem inneren Frieden und der Rauheit, die wir vielleicht in der äußeren Welt erfahren, wie du das herausstellst. Doch das kommt uns nur so vor. Es gibt da in Wirklichkeit keinen Konflikt, nur die unangenehme Reibung in unserem Nervensystem, das noch nicht genügend gereinigt ist, um die Menge an durchströmendem Fluss an die Oberfläche hoch blubbernder Energie unterzubringen. Die Ursache dafür ist nicht die innere Stille oder irgendein Konflikt mit ihr. Ursache dafür ist zu viel Energiebewegung auf der Shakti-Seite. Wie du weißt, macht die innere Stille die Shiva-Seite aus. Die Lösung dafür besteht darin, unsere Übungen auf eine Weise zu regulieren, dass unsere innere Energie bei all unseren täglichen Handlungen bequem integriert und ausbalanciert werden kann. Nehmen wir die Haltung ein, dass unsere Rettung alleine in unserer inneren Stille und nicht auch außen in den Höhen und Tiefen der Welt zu finden ist, dann werden uns die höheren Stufen der Erleuchtung vorenthalten bleiben. Denn dazu gehört eine vollkommene Integration der inneren Stille in den Fluss von Energie auf allen Straßen des Lebens. Wird dies durch eine ausbalancierte Mischung von Übungen und Aktivitäten erreicht, lernen wir die vollkommene Vermählung des stillen Glückseligkeitsbewusstseins mit der ekstatischen, überall fließenden Energie kennen, und das ist die Befreiung in dieser Welt. Alles wird zu dem Einen, und das ist es auch, was wir sind.

Was kann uns dann noch aus der Ruhe bringen? Damit ist die Voraussetzung geschaffen, dass wir in der Welt unerschütterlich bei dem bleiben, was uns wichtig ist, und dabei ununterbrochen lächeln.

Die Atemachtsamkeitsübung im Bauch, die du erwähnt hast, kann einige Erleichterung bringen. Doch weiß ich nicht, zu wie viel Fortschritt diese Übung bei Anwendung über einen langen Zeitraum hinweg führen würde. Sie ist, worauf du bereits hinweist, in dieser Beziehung naturbedingt beschränkt. Außerdem könnte es zu einer „Doppelung“ der Übungszeit für Pranayama und Meditation führen, wenn du die tiefe Meditation und die Wirbelsäulenatmung an denselben Tagen machst, an denen du die Atemachtsamkeitsübung ausführst. Dopplung bedeutet auch mehr Reinigung aufgrund ähnlicher Übungen am selben Tag, wodurch übermäßige Energieflüsse im Inneren initiiert werden. Das merken wir wahrscheinlich überhaupt nicht, während wir dabei sind, die Übungen selbst zu machen.

Was ist also die Lösung? Zuerst solltest du ein Gespür dafür entwickeln, was wie wirkt und dazu mit der Kernübung „Tiefe Meditation“ beginnen. Hast du das noch nicht getan, versuche bitte, zu einer einfachen Meditationsübung (15-20 Minuten) zweimal am Tag zurückzukehren und nichts weiter hinzuzunehmen. Dann sieh, ob das mehr Stabilität in deine täglichen Aktivitäten bringt. Stelle sicher, dass du dir mindestens 5 Minuten für die Ruhephase zum Herauskommen aus der Meditation nimmst. Schon alleine zu schnell aus der Meditation herauszukommen, kann zu sehr viel Gereiztheit während des Tages führen. Ergibt sich aus dieser einfachen Routine Geschmeidigkeit während des Tages, kannst du davon ausgehen, dass du irgendwo in deiner früheren Routine zu viel gemacht hast. Dann ist es deine Aufgabe, diese Stabilität aufrechtzuerhalten und, falls gewünscht, stufenweise, d.h. eins nach dem anderen, etwas mehr hinzuzunehmen und immer jedes neue Übungsniveau in deinen Aktivitäten zu stabilisieren, bevor du Weiteres hinzufügst. Denke auch daran, dass es bei den meisten Übungen zu zeitverzögerten Energieeffekten kommt, so dass es also mindestens einen guten Monat oder zwei dauert, bis man eine bestimmte Übung stabilisiert hat. Dann erst ist es angebracht, eine weitere hinzuzunehmen.

Führen 15-20 Minuten Meditation alleine mit einer guten Ruhephase für das Herauskommen immer noch zu Gereiztheit während des Tages, dann weißt du, dass du es entweder mit einer zeitweisen oder anhaltenden Sensibilität in deinem Nervensystem zu tun hast. Dann kannst du es damit versuchen, die Zeit für die Meditation zu verringern (und die Ruhephase danach ausweiten), bis die täglichen Aktivitäten geschmeidiger werden. Das Hinzunehmen von 5-10 Minuten Wirbelsäulenatmung vor der Meditation kann helfen, die inneren Energieflüsse zu stabilisieren. Auch eine leichte Asana-Reihe (5-10 Minuten) vor den sitzenden Übungen kann helfen, die Dinge danach zu stabilisieren. Vielleicht musst du verschiedene Kombinationen ausprobieren, bevor du herausfindest, was bei dir wirkt (die Lektionen 160 und 200 befassen sich mit diesem Prozess). Versuche nicht, Dinge wie Mudras, Bandhas, Siddhasana, Kumbhaka usw. hinzuzunehmen, bevor du eine stabile Plattform von Übungen gefunden hast, die bei dir zu Geschmeidigkeit bei den täglichen Aktivitäten führt. All diese zusätzlichen Übungen drehen die Heizung auf. Sobald du dir sicher bist, dass du eine stabile Übungsplattform erreicht hast, kannst du eine Übung nach der anderen hinzunehmen und immer wieder stabilisieren, bevor du die nächste hinzunimmst.

Ich weiß, dass das alles ziemlich mühsam und zeitaufwändig klingt, besonders, wenn du bereits fortgeschritten bist und endlich einmal zu Potte kommen willst. Doch es gibt da wirklich keinen anderen Weg zum Aufbau einer stabilen Praxisroutine, die letztendlich zur ekstatischen Glückseligkeit in unseren Aktivitäten führt, wie wir das ohne Zweifel verdienen. Erleben wir Formen von Instabilität, müssen wir zu einem stabilen Übungsniveau zurückkehren. Das kann fortgeschrittenen Übenden genauso oft passieren wie Anfängern. Es ist in der Tat überhaupt nichts Außergewöhnliches, dass Anpassungen nötig werden, wenn wir uns nach oben in feinsinnigere Regionen der fortgeschrittenen Übungen und Erfahrungen bewegen. Wir können weitergehen und es kann uns ganz gut gehen, und plötzlich trifft uns eine große Energiefreisetzung (oder eine Reihe davon) tief in unserem Inneren, die uns für ein paar Tage, Wochen oder Monate zurücksendet auf eine reduzierte Ebene von Übungen. Das kann jedem passieren. Es gehört zur Reise dazu, und es ist wichtig zu erkennen, dass wir von Zeit zu Zeit immer wieder einmal in scharfe Kurven unserer Straße einfahren und wir dann vorübergehend unseren Fuß vom Gaspedal nehmen müssen, wenn wir keine wilde Fahrt oder sogar ein Unglück riskieren wollen. So ist das einfach. Kennen wir erst einmal die fortgeschrittenen Übungen, liegt es nur an der Selbstabstimmung, wie geschmeidig wir heim zur Erleuchtung reisen.

Ich wünsche dir allen Erfolg auf dem von dir gewählten Weg.

Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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