Lektion 428 – Die Transformation des Egos

Frage: Nach mehreren Jahren des Praktizierens ist meine Wahrnehmung die, dass das „Ego“ ein Gefühl, ein Sinn für das Selbst ist, getrennt von meinem inneren Zeugen (dem wirklichen Ich). Obwohl ich weiß, dass es so etwas wie ein getrenntes Selbst nicht gibt, stoße ich in meinem Leben immer wieder darauf, meist in der Form von „ich, mir und mein“. Ich kann nicht anders, als mich damit zu identifizieren und während es nicht immer gegenwärtig ist, taucht es doch oft genug wieder auf. Es gibt da kein Maß an Absicht, mit dem ich in der Lage wäre, mich davon zu befreien. Mehr noch, scheint diese Ego-Sache einen eigenen Verstand zu haben. Es schleicht sich auf Wegen in mein Leben, die ich nicht will, und versucht, das natürliche Glück in mir zu begrenzen. Ich erkenne jetzt, warum einige Lehrer sagen, dass das Ego die Quelle allen Leidens auf Erden sei. Meine Frage lautet: Wie werde ich dieses begrenzende Ego los, damit ich die ganzen Vorteile der Erleuchtung genießen kann? Ist es für mich zu früh, mich mit der Selbst-Analyse zu beschäftigen?


Antwort: Es ist nicht möglich, das Ego „loszuwerden“, weil das Ego ein Produkt des Verstandes ist, und genauso ist die Handlung, etwas loszuwerden, eine Handlung des Verstandes. Wir können im Verstand Dinge herumbewegen, doch wir können sie nicht loswerden, außer wenn wir den Verstand überhaupt transzendieren. Dazu dient die Meditation mit der Kultivierung von bleibender innerer Stille, das, was über den Verstand hinausgeht. Doch indem wir das tun, werden wir den Verstand oder das Ego nicht los, wir erleuchten sie nur mit unserem inneren Licht von reinem Glückseligkeitsbewusstsein. Auf diesem Wege werden sowohl der Verstand wie das Ego in ihrer Rolle, die sie in unseren Lebensäußerungen spielen, transformiert. Dadurch strahlen sie immer mehr von der unendlichen Quelle des Friedens und der Kreativität in uns aus.


Nach ein paar Jahren der Praxis findest du innere Stille und den göttlichen Fluss, der sich in deinem täglichen Leben breitmacht. Es ist dann natürlich, damit noch weiter kommen zu wollen, um das zu einer andauernden Erfahrung zu machen. Deine Bhakti ist es, die dich vorwärtstreibt. Innere Stille tendiert dazu, unsere Bhakti zu vergrößern, und sie bewegt uns auch hin zur Selbst-Analyse. Das ist normal. Werden unsere Gedanken und Gefühle, damit auch unser Ego oder „Ich-Gedanke“ auf der Leinwand unserer bleibenden inneren Stille (Zeuge) zu Objekten der Wahrnehmung, neigen wir auf natürliche Weise dazu, etwas mit ihnen anzufangen, besonders wenn sie unsere Wahrnehmungen und Handlungen im Leben auf negative Weise beeinflussen, wie diese Handlungen, die vom „Ich, mir, mein“-Reflex angetrieben werden. Wir würden natürlich gerne davon loskommen. Doch das zu tun, ist kein Tun. Es ist ein Ungeschehenmachen und das ist der Trick.


Wenn du dich zur Selbst-Analyse hingezogen fühlst, dann ist es die richtige Zeit. Doch wie bei allen Übungen wird Selbstabstimmung nötig sein. Selbst-Analyse kann sehr hilfreich sein, wenn wir einmal in der Lage sind, bei welcher Vorgehensweise des Nachforschens auch immer, unser Nachforschen in die Stille loszulassen (Samyama-Effekt). Das erfordert ganz offensichtlich etwas bleibende innere Stille. Wir werden wissen, dass unsere Selbst-Analyse etwas Zugkraft in der Stille (beziehungsvoll) bekommt, wenn wir spüren, dass die Identifikation unseres Bewusstseins mit den Objekten schwächer wird, sobald wir uns mit der Analyse beschäftigen. Fühlen wir Anspannung, Frustration, Verwirrung, Kopfschmerzen usw., dann können wir ziemlich sicher sein, dass wir in unserem Verstand außerhalb der inneren Stille (nicht-beziehungsvoll) zwei Schritte auf einmal machen und es ist Zeit, uns selbstabzustimmen. In Lektion 356 findest du weitere Gesichtspunkte zur Unterscheidung von beziehungsvoller und nicht-beziehungsvoller Selbst-Analyse und auch Vorschläge zur Technik. Merken wir, dass sich unser Sinn für das Selbst allmählich über die Begrenzungen des ich, mir und mein ausdehnt, wissen wir, dass die Selbst-Analyse funktioniert. Dies ist keine Eliminierung des Egos an sich, sondern eine Transformation durch seine Ausweitung – keine Ausweitung von ich, mir und mein, sondern eine Ausweitung von reinem Glückseligkeitsbewusstsein, das durch die Persönlichkeit ausstrahlt.


Was ist das Ego überhaupt, außer identifiziertes Bewusstsein? Es ist dasselbe Bewusstsein, das wir in der Erleuchtung finden, wenn die Identifikation verblasst ist. Es ist dasselbe Bewusstsein, die Situation ist jedoch viel glücklicher. Wir haben manchmal das Nervensystem mit einem Fenster verglichen, das gereinigt werden muss. Auf der Innenseite befindet sich das reine Glückseligkeitsbewusstsein, auf der Außenseite die verunstaltete Sicht auf diese Reinheit, wie man sie durch das verschmutzte Fenster sieht. Mit den Methoden des Yoga reinigen wir das Fenster, so dass das, was wir durch das Fenster sehen, immer klarer und reiner wird. In diesem Beispiel ist das „Ego“ die Sicht auf reines Glückseligkeitsbewusstsein, das durch das schmutzige Fenster gesehen wird. Reinigen wir das Fenster, wird die Sicht klarer und Wahrnehmung und Verhalten werden erleuchtet. Da kann immer noch etwas Verunstaltung vorhanden sein, doch mit der Zeit wird auch das noch verschwinden. Unsere sitzenden Übungen werden damit fertig und unser Eintritt in die Selbst-Analyse räumt mit den noch verbliebenen falschen Vorstellungen auf. Wir stellen fest, dass wir niemals die verunstaltete Sicht waren, die wir durch das Fenster hatten. Wir haben uns nur mit ihr identifiziert.


Ist das ein Loswerden des Egos oder seine Transformation? Weil es für die meisten ein stufenweiser Prozess sein wird, ist eine Betrachtung als Transformation wahrscheinlich angebrachter. Außerdem ist es weniger wertend, wenn man es als Transformation betrachtet. Sehen wir den Prozess als eine allmähliche Transformation, können wir das sogenannte Ego auf jeder Stufe akzeptieren, auf der es sich befinden mag, ohne zu fühlen, dass wir es aus der Tür hinausschubsen müssten. Das würde es im Reich des Verstandes nur stärken. Sich das Ego zum Feind zu machen, ist genauso unergiebig, wie wenn man sich den Verstand zum Feind macht (vgl. Lektion 354). Stattdessen illuminieren wir das Ego allmählich aus dem Inneren, indem wir das Fenster reinigen. Eines Tages erkennen wir, dass es reines Glückseligkeitsbewusstsein war, das sich die ganze Zeit auf diese unreine Weise ausgedrückt hat. Diese Stufe des „Erkennens“ ist es, wo die Selbst-Analyse ihren größten Wert hat – nicht viel früher. Die bleibende innere Stille und der Prozess der inneren Reinigung und Öffnung führen zu diesem Zustand, wo die Selbst-Analyse äußerst beziehungsvoll (in der Stille) wird. Wir haben dieses Stadium „Reife“ genannt. Das ist der Punkt, an dem wir nur ein paar Schritte davon entfernt sind, vom Baum des nicht endenden Friedens und des Glücks abzufallen, was immer auch in unserer Umgebung geschehen mag. Es kann in jedem Stadium zu Rückschritten kommen, doch sobald das Nervensystem (unser Fenster) eine bestimmte Ebene der Reinheit erreicht, besteht nur noch geringe Wahrscheinlichkeit, dass man sie wieder verliert. Zu dieser Zeit sind das natürliche Momentum der ausfließenden göttlichen Liebe und der Stille im Handeln 24 Stunden 7 Tage die Woche am Werk.


Lasst uns nicht vergessen, dass das Ego unser wichtigstes Beförderungsmittel zur Erleuchtung ist. Wer anderes als das Ego könnte den Ast der Unwissenheit abschneiden, während man auf dem Teil sitzt, der nach unten fallen wird? Für jene, die sich darüber möglicherweise Sorgen machen: Man fällt in den unendlichen Frieden und das Glück. Trotz des „Ich-mir-und-mein“-Impulses, sucht das Ego stets danach, seine Kraft und seinen Blick auszuweiten. Wird es einmal klar, dass man alle Kraft und alles Wissen findet, indem man nach innen geht, dann wird uns das Ego dahin führen. Nichts anderes kann das leisten. Wäre nicht das Ego, das den Ast der Unwissenheit abhackt, während es darauf sitzt, dann gäbe es gar keinen Ast, denn der Ast besteht nur aus Begrenzungen. Wir müssen von den Begrenzungen aus operieren, um uns über die Begrenzungen hinaus zu bewegen. Das ist der Sinn hinter den spirituellen Übungen und es funktioniert. So sonderbar es aussehen mag: Das Ego ist unser Vehikel zur Erleuchtung. Wir müssen von da aus agieren, wo wir uns befinden. Es ist nicht möglich, von da aus zu agieren, wo wir nicht sind.


Vor kurzem hat mir jemand geschrieben und gefragt, ob es in Ordnung wäre, zu meditieren, um in der Geschäftswelt erfolgreicher zu werden. Ich habe gesagt: Aber sicher, nur zu. Meditation, um ein Unternehmen voranzubringen, verhilft dir sicher zu einer breiteren Sichtweise. Würde man diese Person entmutigen, mit dem Ziel, das Vorankommen des Unternehmens zu fördern, zu meditieren, wie würde sie dann jemals über dieses Bedürfnis hinauskommen? Meditieren und sich voll und ganz im Leben zu engagieren, ist der schnellste Weg, das zu erreichen, nicht indem man die Anhaftung am Geschäftsleben verdammt oder versucht sie zu ignorieren.


Dasselbe gilt für die Gesundheit. Millionen fangen mit Yoga Übungen an, weil sie ihre Gesundheit verbessern wollen. Warum nicht? Das funktioniert und führt zu viel mehr als nur körperlicher Gesundheit.


Es ist das Ego, das meditieren will und das ist großartig. Es wird über alles hinwegführen, was wir uns einbilden, dass es der Grund ist, selbst über die Vorstellung der Erleuchtung. So fest wir es auch versuchen mögen, wir können uns unseren Weg nicht weit jenseits der Tatsachen vorstellen, aus denen er für uns im Augenblick besteht. Wir können nur das Vehikel (dieses Nervensystem, das Fenster) reinigen und zu einem volleren Ausdruck unserer eigentlichen Natur werden, die aus reinem Glückseligkeitsbewusstsein besteht. Scheint uns das Ego manchmal zu sabotieren, ist dies nur eine nachklingende Gewohnheit, etwas, das mit der Zeit verschwinden wird, wie schon so viele unserer negativen Verhaltensweisen verschwunden sind, wenn wir bei unseren täglichen Übungen geblieben sind.


Ehrlich gesagt, kann ich mir nicht denken, dass irgendetwas die Motivation zur Meditation aufbringen könnte, außer das Ego (identifiziertes Bewusstsein). Wäre dies nicht der Fall, gäbe es nur reines Bewusstsein und bei der Meditation ginge es nicht um Reinigung und Öffnung, sondern um das Sonnen in der Unendlichkeit. Auch dann noch ist es die Person (der Schatten unseres transformierten Egos) das sich hinsetzt, um zu meditieren. Oder ist es Stille im Handeln, die sich hinsetzt, um zu meditieren? Ist das überhaupt wichtig?


Wir können nur von dort aus agieren, wo wir sind, und es gibt keinen praktischen Grund, warum wir uns in gut und böse teilen sollten, in Ego und Nicht-Ego. Es ist alles ein und dasselbe (ein Bewusstsein), das sich im Prozess der Transformation vom Ausdruck mit Identifikation hin zum Ausdruck ohne Identifikation befindet.


Wenn wir über die spirituelle Transformation des Menschen sprechen, dann sprechen wir über die Erleuchtung aus dem Inneren. Das ist die Erleuchtung des Herzens, des Verstandes und all unserer Handlungen in der Welt. Dies transformiert die Rolle dieser Elemente unserer Natur, auch den Aspekt, der uns bewusst mit unserem Ausdruck des Körpers/Verstandes in Zeit und Raum verbindet. Und das ist das Ego, auch wenn es nur noch ein schwacher Rest der Dualität ist, der es vorher war, bevor es durchdrungen wurde vom inneren Licht. Das Ergebnis ist bleibende innere Stille, ekstatische Glückseligkeit und ausfließende göttliche Liebe zum Wohle aller auf der Erdensphäre und darüber hinaus.


Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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