Lektion 342 – Bhakti und deine Yoga-Übungen
Bhakti spielt bei der Einrichtung unserer Yoga-Übungen eine beherrschende und entscheidende Rolle. Soll es zu einer Inspiration kommen, die uns veranlasst, mit täglichen Übungen anzufangen, um darauf aufbauend mit der Entwicklung einer ganzen Bandbreite von Yoga-Übungen weiterzumachen, müssen wir erst Bhakti haben, ein Verlangen, unser höchstes Potenzial zu erfüllen. Die Übungen, mit denen wir beginnen, stimulieren eine Ausweitung von Bhakti, wodurch es gelingt, uns Schritt für Schritt eine auf unsere besonderen Bedürfnisse abgestimmte tägliche Routine anzugewöhnen. Am Ende fliegen wir auf den Schwingen von Bhakti und teilen unsere Liebe und unseren sich ständig vergrößernden spirituellen Einfluss mit allen nah oder fern, die wir mehr und mehr als einen Ausdruck unseres göttlichen SELBST verstehen.
Im Laufe dieses gesamten Prozesses weitet sich unsere Bhakti aufgrund der weiter vorankommenden Reinigung und Öffnung in uns aus. Das Wachstum unseres spirituellen Verlangens ist nichts anderes als das Wachstum von Stille in uns und des durch uns strömenden göttlichen Flusses. Bhakti und die aufkommende spirituelle Realität sind ein und dasselbe. Es ist der göttliche Lebensstrom, der immer nach Vereinigung der absoluten Stille reinen Glückseligkeitsbewusstseins mit dem energetischen Ausdruck des Lebens in uns und um uns herum sucht. Diese beiden (Stille und energetische Ekstase), wenn sie vollkommen integriert sind und als Einheit gelebt werden, konstituieren die Ganzheit des Lebens im erleuchteten Zustand.
Bhakti ist auch in den Yoga-Gliedern enthalten: Bei den Niyamas (was man tun soll) scheint sie klar als spirituelle Glut (Tapas) und aktive Hingabe an das Göttliche (Ishvara Pranidhana) auf.
Die Intensität unserer Hingabe an unser gewähltes Ideal, unser Hunger und Durst nach dem Göttlichen, ist eine wesentliche Dynamik von Bhakti, die allen spirituellen Fortschritt einleitet, auch das In-Angriff-Nehmen von täglichen Übungen wie tiefe Meditation, Pranayama der Wirbelsäulenatmung, körperliche Methoden wie Asanas, Mudras und Bandhas, die Konservierung und Kultivierung von sexueller Energie (Brahmacharya-Tantra) und ein ständiges Nachforschen bzw. Analysieren, was die Natur unseres SELBST in Beziehung zur Welt ausmacht.
Alle Glieder des Yoga stehen natürlicherweise im menschlichen Nervensystem miteinander in Verbindung. Jede Übung, die wir ausführen, beeinflusst die Wirkung aller anderen Übungen. Dies trifft genauso auf Bhakti zu. Bhakti steigert die Effektivität der tiefen Meditation und des Pranayama der Wirbelsäulenatmung. Diese Übungen wiederum stärken die Effektivität von Bhakti. Kultivieren wir unsere Bhakti und meditieren wir täglich, neigen wir natürlicherweise zu mehr spirituellem Studium und anderen Aktivitäten, die eine Beziehung zu unserer Erweckung haben. So ist das mit dem In-Verbindung-Stehen aller Yoga-Übungen. Das Ganze des Yoga ist viel größer als die Summe seiner Teile, genauso wie das gesamte menschliche Nervensystem viel größer ist als die Aneinanderreihung seiner individuellen Teile. Yoga und die spirituellen Möglichkeiten des menschlichen Wesens sind ein und dasselbe. Yoga leitet sich direkt vom höheren Funktionieren unseres Nervensystems ab und wurde nicht irgendwie ohne Berücksichtigung dieses Nervensystems erfunden. Im Gesamtbild der Yoga-Funktion befeuert Bhakti die Ausdehnung des spirituellen Verlangens, das Handeln in Form von Übungen. Das führt zu mehr Reinigung und Öffnung, was wiederum mehr Verlangen, mehr Handlungen in Form von Übungen, mehr Reinigung und Öffnung hervorbringt, usw …
Wohin führt dies? Zu einem beständigen Zustand bleibender innerer Stille, ekstatischer Glückseligkeit, ausfließender göttlicher Liebe und Vereinigung des beschränkten persönlichen Selbst mit dem unendlichen göttlichen SELBST. Und dann wirkt Bhakti, solange wir uns in der Welt weiter auf Wegen betätigen, die vereinigend sind für alle, mit denen wir vielleicht sichtbar und unsichtbar in Berührung kommen. Es ist die Kraft der Liebe, die durch jeden wirkt, überall, und dabei löst sie die Illusion der Trennung auf.
Einen wichtigen Aspekt von Bhakti findet man in unserer Bereitschaft, aufgrund unseres aufkommenden göttlichen Verlangens auf praktischen Wegen zu handeln. Der Ausbund davon sind tägliche sitzende Übungen, weil wirksame Übungen, die man regelmäßig, über einen langen Zeitraum ausführt, mehr als alle anderen Arten von Handlungen tun, unsere Bhakti wie auch unseren allgemeinen Fortschritt hin zur Erleuchtung zu beschleunigen. Das Betätigen in Übungen in Kombination mit unserer Bhakti ist so effektiv, dass wir uns in der luxuriösen Position befinden, uns manchmal sogar zügeln zu müssen. D.h., es kann auch mal sein, dass man zu viel des Guten tut. Deshalb stimmen wir unsere Übungen und Bhakti je nach Bedarf selbst ab, so wie wir dies in der vorhergehenden Lektion erörtert haben. Selbstabstimmung ist ein Aspekt von Übungen, der an den verschiedensten Stellen der FYÜ-Schriften erörtert wird.
Bei Zeiten mag sich die Frage stellen: »Ich verspüre kein intensives spirituelles Verlangen, mache aber trotzdem die Yoga-Übungen. Wo ist also meine Bhakti?“
Haben wir zu der Selbstverpflichtung gefunden, täglich unsere Yoga-Übungen auszuführen, so dass wir also die Gewohnheit herausbilden und aufrechterhalten, dann ist Bhakti da. Das mag sich nicht immer in Form von intensivem Hunger und Durst nach dem Göttlichen oder als rauschende spirituelle Emotionen äußern. Tatsächlich ist aber eine ruhige Entschlossenheit auf unserem Pfad eine gleich große oder sogar größere Bhakti, als die Art, die sich die ganze Zeit auf dramatische Weise zeigt. Den Kern unserer spirituellen Entwicklung bildet die Zunahme unserer inneren Stille. Diese kultiviert man in täglicher tiefer Meditation. Sie kann uns aber bis zu einem bestimmten Grad auch schon eigen sein, bevor wir uns bewusst auf unseren spirituellen Pfad begeben. Stille ist Bhakti und Bhakti ist Stille.
Bhakti ist auch Energie, genauso wie Stille aller Energie zugrunde liegt und diese belebt. Emotionen sind die Bewegung von Energie in uns. Sie bewegt sich, um die Wünsche tief in unserem Herzen zu erfüllen. Mit der Zeit erfährt man die energetische Seite von Bhakti als ganzkörperekstatische Leitfähigkeit und Ausstrahlung und das ist die Erweckung der Kundalini, die riesige latente evolutionäre Energie, die in uns wohnt. Das veranlasst die Verinnerlichung von sinnlichen Wahrnehmungen (Pratyahara, eines der Yoga-Glieder) und eine intimere Beziehung zum göttlichen Fluss in uns und um uns herum. Die Erfahrung von ansteigender Ekstase ist deutlich wahrnehmbar, manchmal überwältigend, und verzehrt uns in einer gewaltigen inneren Säule feurig leuchtender Energie, die zwangsläufig von uns nach außen strahlt. Unsere Bhakti spielt eine Schlüsselrolle bei der Weiterentwicklung des inneren Energieflusses und wird genauso beeinflusst durch die Ereignisse, die in unserem Inneren auftreten. Unser gewähltes Ideal (Ishta) dehnt sich dementsprechend aus und deutet stets über die gegenwärtigen Erfahrungen hinaus, wie dramatisch diese auch immer sein mögen. Ein wahres Ishta wird sich niemals lange auf seinen Lorbeeren ausruhen. Es ist immer auf der Suche nach dem Höchsten in uns.
Die Bandbreite von Erfahrungen, die wir in Verbindung mit Bhakti machen können, ist also vielfältig und tiefgreifend – von der Leidenschaftslosigkeit bleibender innerer Stille (dem Zeugen) bis hin zu den intensiven Gefühlen direkter Wahrnehmung des göttlichen Flusses, wie er überall auftritt. Später auf unserer Reise führt Bhakti uns zur beziehungsvollen Selbst-Analyse (in der Stille) und der direkten Erfahrung des Lebens und Dienens in einem ständig befreiten, nicht-dualen (advaita) Zustand. All dies basiert auf unserem Wunsch nach Öffnung, nach Vereinigung und entfaltet sich durch die Mittel, die wir inspiriert sind anzuwenden, um den Prozess der menschlichen spirituellen Transformation voranzubringen.
Alle Handlungen in Form von Übungen, auf die wir uns als Ergebnis von Bhakti einlassen, gehören zum Feld des Karma Yoga, dem Reich von Ursache und Wirkung. Handlen ist wichtig. Übungen und die Art ihrer Integration konstituieren eine Optimierung von Ursachen und Wirkungen zum Zweck unserer spirituellen Entfaltung. Weil dies eine Beziehung von Handlungen und Reaktionen in uns aufbaut, die für jeden auf seinem Pfad vorhersehbar und wiederholbar sind, können wir sagen, dass es sich hier um einen wissenschaftlichen Ansatz zur menschlichen spirituellen Entfaltung handelt.
Karma Yoga blickt auch über unsere strukturierten spirituellen Übungen hinaus zu unserem Benehmen in jedem Aspekt des täglichen Lebens. Dies ist das allgemeinste Verständnis von Karma Yoga: Dienst, ohne im Gegenzug etwas dafür zu erwarten. Betrachtet man aber Karma Yoga als den Beginn mit sitzenden Übungen, nimmt Karma-Yoga eine neue Dimension an. Genauso wie ein zunehmendes spirituelles Verlangen eine gute Abschussrampe für den Eintritt in das Praktizieren ist, so sind Übungen auch eine gute Abschussrampe für ein natürliches Erheben unseres Verhaltens im täglichen Leben. Kurzgefasst kann man sagen, dass die Sehnsucht nach Erfüllung in unserem Herzen (unsere Bhakti) eine direkte Route zum Meditationssitz ist, und der Meditationssitz ist eine direkte Route zu zunehmendem evolutionsgemäßem Handeln in der Welt – dem Aufkommen von Stille im Handeln, was nichts anderes als Einheit ist. Dies ist ein effektiver Ansatz für die automatische Enträtselung des Karma-Mysteriums und für den spontanen Dienst zum Nutzen aller. Wir werden uns in den folgenden Lektionen noch eingehender damit beschäftigen.
Der Guru ist in dir.
Neueste Kommentare