Lektion 273 – Warum ist es wichtig, innere Stille zu kultivieren?

Frage: Ich wollte dir schreiben, um dir von meiner Erforschung traditioneller Yoga-Praktiken über die Jahre zu erzählen.

Ich habe eine Reihe von Jahren mit der Kriya-Yoga-Tradition in ihren verschiedenen Ausprägungen gearbeitet und, wie du weißt, ist dies – wenn man kleinere Abweichungen unberücksichtigt lässt – praktisch identisch mit den Methoden, die du vorstellst. Ursprünglich begann ich mit einer Methode, bei der man beim Einatmen himmlisches Prana durch die Krone des Kopfes von den oberen Chakren und göttlichem Bewusstsein hereinbringt und die Sushumna entlang nach unten lenkt zum Kanda an der Wirbelsäulenbasis. Das hielt man dann eine kurze Zeit, während man das Mantra Om Mani Padme Aum chantete. Dann bei der Ausatmung wurde es wieder nach oben zum Zentrum des Kopfes gebracht und dort gehalten, wobei man dasselbe Mantra nutzte. Das alles wurde gemacht, während man die Wechselatmung durchführte. Man machte zwölf bis 18 der Grund-Kriyas und ging danach in die Meditation über den Klangstrom im Zentrum des Kopfes. Dabei chantete man für ungefähr eine Stunde (manchmal auch länger) Aum bei der Ausatmung.

Als Ergebnis dieser Übung kam es zu Erfahrungen tiefer Glückseligkeit und von spirituellen Zuständen, die Samadhi einleiten. Diese Übungen machte man in einer Atmosphäre strengen Zölibats und der Kontrolle der Lebenskraft, wobei meine Aufmerksamkeit im göttlichen Bewusstsein verwurzelt blieb und in Glückseligkeitsbewusstsein ruhte. Ich muss sagen, dass mein Leben zur damaligen Zeit eines von grenzenloser Freude und Glückseligkeit war und das Aufkommen von Ekstase und Leitfähigkeit war im vollen Gange. All meine Fähigkeiten, intellektuell, intuitive und körperlich wurden verbessert.

Natürlich wurde ich gierig. Mein Ego flüsterte im Hintergrund, dass es da sogar noch effektivere Methoden geben musste, dass ich irgendwie zu kurz kam! Ha, ha, typisch Ego! Die ganze Zeit erlaubte eine direkte intuitive Bewusstheit des göttlichen Bewusstseins, die Verrücktheit einer derartigen auf Angst basierenden Schleife zu durchschauen und ich sah, dass ich eigentlich alles hatte, was ich brauchte und nur mit dem weiter machen sollte, was ich gerade machte.

Doch mit der Zeit kam es zu Ablenkungen und ich fiel aus meiner erhöhten Vereinigung heraus. Schließlich brach meine Schwingung ein und ich hörte auf das Eingeflüstere des niedrigeren Verstandes, dass ich aus der Ebene des Egos heraus nach einer effektiveren Methode Umschau zu halten hätte. Als ob es da noch ein magisches Geheimnis gäbe.

Es ging dann weiter, dass ich ganz viele verschiedene Methoden praktizierte und endlose Stunden damit verbrachte, nachzuforschen und dabei über die Jahre Tausende Dollar ausgab. Seit Kurzem arbeite ich nun mit den Methoden, die du lehrst (von der Wurzel zur Stirn), doch mit positiver Rückhaltung (Atemanhalten nach der Einatmung) und kein Anhalten bei der Ausatmung. Aus den Gründen, die du angibst (erhöhter Prana-Fluss), doch ohne Wechselatmung, weil das offensichtlich mehr wäre, als ich verarbeiten könnte. Dann entschloss ich mich, auf dieselbe Weise noch mit der Krone zu arbeiten. Die psychischen Verstopfungen und Entgiftungen waren höher und zugespitzter als bei der Arbeit nur mit der Stirn.

Das Ergebnis war eine Schwere und Freudlosigkeit, die ich nicht abschütteln konnte. Es war, als sei ich vom Glückseligkeitsbewusstsein abgeschnitten, als ob ich nicht in der uns innewohnenden Freude ruhen könnte.

Ich habe kürzlich das positive Kumbhaka aufgegeben und bin bei der Wirbelsäulenatmung zum tiefen neutralen Anhalten übergegangen (drei Sekunden Anhalten nach der Einatmung und nach der Ausatmung). Ich nehme an, dass das dieselbe verstärkende Wirkung auf den Prana-Fluss hat, doch der Atem ist ausgeglichen, deshalb ist auch die Psyche ausgeglichen. Vor ein paar Tagen habe ich dies zusammen mit der Wechselatmung praktiziert und schon nach ein paar Atemzügen hatte mich die schwere Energie und der schlechte Einfluss (des emotionalen Zustands) verlassen und ich war in der Lage, in die innere Leichtigkeit des Kontakts (Verweilens) im Glückseligkeitsbewusstsein durchzubrechen. Ich vermute nun, dass ein tiefes neutrales Atmen in Verbindung mit der Wechselatmung (die bekannt dafür ist, dass sie Ida und Pingala ausgleicht und die Psyche mit den Energiekörpern vereinigt) möglicherweise der effektivste Weg ist, einen erhöhten Fluss energetischer Kraft durch unsere verschiedenen metaphysischen Anatomien unter Kontrolle zu bekommen!

Könntest du bitte dazu Stellung nehmen und einen Rat geben?

Es gibt noch etwas anderes, wozu ich gerne deine Meinung wissen würde! In Zusammenhang mit meiner spirituellen Praxis habe ich versucht, mit meiner Partnerin mit tantrischen Übungen zu arbeiten. In Bezug auf die Zurückhaltung des Samens und der Ejakulationsvermeidung finde ich es schwierig, mit der Zeit ein Stehvermögen aufzubauen. Was da zu passieren scheint, ist (wegen des Nicht-Ejakulierens) ein Aufbau zunehmender Sensibilität.

Ich fühle vielleicht, dass ich die sexuellen Energien nicht effektiv genug transformiere und anhebe, sodass es energetisch zu einem Effekt des Aufstauens kommt, was dann zu einer erhöhten Sensibilität führt, die geradezu exponentiell ist, weil da kein Auslassventil ist oder nur eine ineffektive Umleitung. Ich vermute, dass mit meinen neuen Soloübungen meine Fähigkeiten, das zu transformieren und umzulenken wieder hergestellt werden könnten, wie ich das in der Vergangenheit festgestellt habe (vor ein paar Jahren). Das war sehr tief gehend, so sehr, dass das Einstimmen auf den sexuellen Zustand eine bewusste Entscheidung erforderte. Kannst du mir irgendetwas vorschlagen, weißt du noch irgendwelche weiteren Methoden, die du noch nicht veröffentlicht hast und die vielleicht helfen könnten? Mit meinen sexuellen Übungen versuche ich, über die Notwendigkeit der Ejakulation hinaus und in tief gehende spirituelle Zustände zu kommen, genauso wie mit der Meditation. Unglücklicherweise helfen meine gegenwärtigen Methoden da nicht. Vielen Dank für deine Hilfe und deinen Dienst an der Menschheit!

Antwort: Ja, beim Vergleich von Kriya-Yoga mit den fortgeschrittenen Yoga Übungen fallen einige Ähnlichkeiten auf, besonders in den wesentlichen Prinzipien und Übungen für die ausgeglichene Erweckung ekstatischer Leitfähigkeit. Behalte aber im Hinterkopf, dass wir bei den Fortgeschrittenen Yoga Übungen zwischen der Erweckung ekstatischer Leitfähigkeit und der Kultivierung innerer Stille, d.h. reinen Glückseligkeitsbewusstseins, unterscheiden. Für das Letztere setzen wir die tiefe Meditation ein, die allerdings nicht aus dem Kriya-Yoga, sondern aus dem Mantra-Yoga stammt. Das unterscheidet die Fortgeschrittenen Yoga Übungen grundlegend vom Kriya-Yoga.

Während der traditionelle Kriya-Yoga Mantren bei der Wirbelsäulenatmung einsetzt, geschieht dies bei den Fortgeschrittenen Yoga Übungen nicht. Dafür setzen wir im Meditationsprozess, in einer gesonderten Übung, die man gleich nach der Wirbelsäulenatmung ausführt, ein einzelnes Mantra („I AM“) ein. Auf diese Weise werden die ekstatische Leitfähigkeit und die innere Stille unabhängig voneinander kultiviert und dies ist auch angebracht, weil es nicht möglich ist, beide bis zur Gänze gleichzeitig zu kultivieren! In dieser Hinsicht haben wir uns also weit vom Kriya-Yoga entfernt und die Ergebnisse unterscheiden sich ziemlich.

Wie du weißt, kommen andere Aspekte der Fortgeschrittenen Yoga Übungen noch von ganz anderen alten Traditionen des Yoga, sodass man die Fortgeschrittenen Yoga Übungen nicht (was es auch nicht für sich in Anspruch nimmt) mit Kriya-Yoga, Mantra-Yoga oder mit irgendeinem anderen besonderen Ansatz identifizieren kann. Es ist eine systematische Integration vieler yogischer Methoden.

In der Beschreibung deiner Übungen hast du keine gesonderten Sitzungen mit tiefer Meditation erwähnt und die von dir beschriebenen Erfahrungen deuten darauf hin, dass es sie auch nicht gibt. Wenn die innere Stille richtig durch die tiefe Meditation kultiviert wird, dann ist sie keine Erfahrung, die kommt und wieder geht, wie das bei vielen inneren Energieerfahrungen der Fall ist. Innere Stille ist keine „Spitzen“-Erfahrung, sondern vielmehr eine Erfahrung im Hintergrund – hinter all dem Rest, was wir im Leben erfahren. Innere Stille ist eine nicht endende Ruhe im Nervensystem – hinter dem Verstand, dem Körper und den Gefühlen. Wenn wir also innere Stille in der tiefen Meditation wirklich kultiviert haben, dann bildet das ein Fundament in unserer Bewusstheit, das unberührt bleiben wird, selbst wenn Hurrikane innerer Energien durchziehen. Und das beinhaltet auch solche Ströme, die wir gewöhnlicherweise als „Ego“ bezeichnen. Sobald sich einmal innere Stille einstellt, setzen wir unser Ego aber nicht länger mit unserem Selbst gleich. Vielmehr wird unsere innere Stille allmählich alle Energiebewegungen in Beschlag nehmen und dazu gehören auch Ego-Ströme. Dies ist die Vereinigung von innerer Stille mit ekstatischer Leitfähigkeit, die eine beständige Erleuchtung mit sich bringt, unerschütterlich, ekstatisch. Das drängt auch ständig in Wellen göttlicher Liebe nach außen.

Obwohl es scheint, dass du auf der Pranayama-Baustelle schon viel getan hast, solltest du also vielleicht einmal überlegen, ob du nicht die tiefe Meditation als eine eigenständige Übung dazunehmen könntest, um auch den Aspekt der „Kultivierung innerer Stille“ abzudecken.

Was die Pranayama-Seite betrifft, weißt du sicher aus den Lektionen zur „Kronen-Öffnung“ (nutze dazu die Suchfunktion der Wegsite), dass wir bei den Fortgeschrittenen Yoga Übungen davon abraten, in den Anfangs- oder mittleren Stadien der Yogareise Übungen an der Krone auszuführen. Deine Erfahrung, dass Übungen an der Krone zu Instabilität führen, ist eine übliche Erscheinung – es sind schon viele andere zu den Fortgeschrittenen Yoga Übungen gekommen, die ein Lied davon singen, wie gefährlich ein Beginn an der Krone ist. Das ist einfach nicht für ein stabiles langfristiges Wachstum geeignet. Deshalb gehen alle Pranayama-Übungen der Fortgeschrittenen-Yoga Übungen von der Wurzel zum dritten Auge. Erst ganz zum Schluss beschäftigen wir uns mit einer direkten Öffnung der Krone und das auch nur mit Vorbehalt. Die Krone wird hier auf eine ungefährliche und progressive Weise mit allen FYÜ-Pranayama-Übungen indirekt geöffnet. Deshalb erübrigt sich ein direktes Üben an der Krone. Dies gilt auf jeden Fall für die Anfangs- und die mittleren Stadien der Reise. Aber auch fortgeschritten Praktizierende sollten Notiz von der „großen roten Fahne“ nehmen, die bei den Fortgeschrittenen Yoga Übungen über dem direkten Üben an der Krone hängt.

Also kurzgefasst: Es scheint, dass du dich nicht genügend mit der tiefen Meditation bekannt gemacht und, dass du zu viele Übungen direkt an der Krone gemacht hast (ich empfehle „gar keine“) und wahrscheinlich hast du auch deine Wirbelsäulen-Atmung mit zu vielen anderen Dingen, einschließlich zu frühzeitigem Kumbhaka (was nur zu noch mehr Schlamassel führen kann, wenn man das zu früh einbezieht) überfrachtet. Bei den FYÜ-Lektionen ist dies alles in die Abfolge der Übungen mehr oder weniger logisch eingebaut. Dabei legen wir sehr viel Wert auf „Selbstabstimmung“, wann immer eine Übung ausgebaut oder eine neue hinzugenommen wird. Das braucht alles seine Zeit, weshalb wir es Schritt für Schritt über viele Monate und Jahre aufbauen und Übungen auch wieder zurücknehmen, falls dies in Stoßzeiten der Reinigung (die wir alle immer wieder einmal durchlaufen) nötig ist.

Auf der Tantra-Seite wird die Sensibilität, die du beschreibst, zu einem Prozess des Nach-innen-Gehens, sobald wir mit den sitzenden Übungen Fortschritte machen und uns mit der Rückhalte-Methode und dem Blockieren bei den Tantra-Übungen beschäftigen. Dies braucht ebenfalls seine Zeit. Es ist kein Prozess, den man durch die Kraft des Willens über Nacht zum Abschluss bringen kann. Es ist kein Zufall, dass unsere Fortschritte im Tantra sehr stark von unseren Fortschritten bei den sitzenden Übungen abhängen. Schafft man einen guten Ausgleich zwischen tiefer Meditation und Wirbelsäulenatmung, wirkt dies beim Tantra Wunder – anders herum funktioniert dies nicht so gut. Noch einmal: In tiefer Meditation kultivierte innere Stille ist die wichtigste Zutat. Die Bedeutung von reinem Glückseligkeitsbewusstsein kann man nicht überbetonen. Das ist wohl das, was bei dir fehlt.

Eine neue FYÜ-Tantra-Lektion wurde eben erst online gestellt. In der wird (auf Grundlage eines konkreten Falls) detaillierter darauf eingegangen, wie sich der Tantra-Prozess mit einem Partner entfalten kann, wenn man vor allem Wert darauf legt, ein Verständnis zu entwickeln, wie man mehr Zutrauen in eigengesteuerte Praxis legt: siehe Tantra-Lektion 46 – Ein Dialog zur Praxis des Tantra.

Ich wünsche dir alles Gute auf dem Pfad. Praktiziere mit Bedacht und viel Vergnügen dabei!

Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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