Lektion 348 – Eine Reise von Hier nach Hier

Das spirituelle Leben ist oft ein Paradox. Manchmal kommt das Paradox in den Lehren selbst zum Ausdruck. Man sagt uns, wir sollen unseren Wünschen entsagen. Gleichzeitig sollen wir aber nach dem Göttlichen hungern und dürsten. Man sagt uns, wir sollen aktiv sein. Gleichzeitig rät man uns, wir sollten alle Anhaftung an den Früchten unserer Handlung aufgeben. Man hält uns an, in der Welt zu sein, doch nicht von ihr. Einige weisen uns vielleicht sogar an, die Welt ganz zu vergessen und nur im SELBST zu bleiben. Doch trotzdem müssen wir immer noch am Morgen aufstehen.

Nimmt man diese Art von Lehren als bare Münze, dann kann es zu Verwirrung oder obsessivem Verhalten in Richtung des einen oder anderen Extrems kommen, wodurch unser spiritueller Fortschritt mehr verzögert als beschleunigt wird. Diese Lehren mögen ihre Gültigkeit im Rahmen der Lebenswirklichkeit jener haben, die diese Lehren vermitteln. Sie sind aber vielleicht völlig irrelevant für alle, die sie hören oder lesen. Auf jeden Fall kann man spirituellen Fortschritt auf der Basis von begrifflichem Denken nicht aufrechterhalten. Dieser ist jenseits von Vorstellungen angesiedelt; von daher die Widersprüche. Nur in der bleibenden inneren Stille kann man die Wahrheit erkennen.

Bhakti bietet in Anbetracht der Paradoxien und anderer Ablenkungen, die man auf dem spirituellen Pfad findet, einen großen Vorteil, weil Bhakti diese ignoriert! Hingabe ist reine Emotion und braucht die Dinge nicht auszuklamüsern. Nur wenig Denken ist nötig.

So heißt es auch in der Bibel: «Suche zuerst das Reich Gottes und alles wird dir hinzugegeben.« Das Herz weiß das.

Liebe kennt keine Begründung und dies befähigt jemanden mit starker Bhakti, durch die Ablenkungen zu schneiden und zu handeln. Wird das Handeln in Form von effektiven spirituellen Übungen vollzogen, dann hat die Reise begonnen und die Paradoxien und spirituellen Erfahrungen werden zu einer Frage der Dokumentation. Es sind vorbeiziehende Landschaften im Prozess der menschlichen spirituellen Transformation und keine endlose Serie von Beurteilungen mehr – nur Meilensteine entlang der Straße.

Straße von wo nach wo?

Von hier nach hier natürlich. Wo sollten wir anders hingehen?

Ein anderes Element des göttlichen Paradoxes ist die Vorstellung, dass wir weit reisen müssten, um die Erleuchtung zu erlangen, obwohl man nirgendwohin gehen muss. Eine andere Möglichkeit, dies auszudrücken, besteht darin zu sagen: es gibt viel zu tun, aber auch nichts zu tun. Es ist wie bei anderen spirituellen Paradoxien: Wenn man über das Tun ohne zu tun zu viel nachdenkt, dann kann dies zu extremen Verhaltensweisen führen. Möglicherweise legt man all seine Verantwortungen im Leben ab, verlässt Partner und Kinder und läuft fort, um die Erleuchtung zu suchen. Oder man wird zum Suchenden, der alles Tätigsein aufgibt, weil er glaubt, es gäbe nichts zu tun. Dadurch wird man aber nur zur Last für diejenigen um einen herum.

Ob der Aspirant fortläuft oder sich hinsetzt und nichts tut, an der wesentlichen Tatsache ändert sich nichts. Diese lautet: Wir nehmen uns überall hin mit, wo immer wir hingehen. Wo immer wir also hingehen oder was wir tun oder nicht tun, die Reise wird immer von hier nach hier verlaufen – von der Nicht-Erkenntnis zur Erkenntnis unseres ewig gegenwärtigen SELBST.

Wir müssen unser Zuhause nicht verlassen oder unsere Verantwortungen ablegen, um diese Verwirklichung zu erlangen. Wir müssen uns lediglich nach ihr sehnen, etwas Zeit jeden Tag auf strukturierte Übungen wie die tiefe Meditation und das Pranayama der Wirbelsäulenatmung verwenden und dann hinausgehen, unser normales Leben zu leben. Damit werden wir im Inneren schnell die Reise der Reinigung und Öffnung bestreiten, ohne im Äußeren viel Außerordentliches anstellen zu müssen. Wir brauchen keine sonderbaren Kleider anzuziehen, keinen neuen Lebensstil übernehmen und uns auch nicht in ausgefeilte Rituale hineinsteigern. Wir können all dies tun, wenn wir einen starken inneren Drang dahin verspüren. Doch wird uns so etwas nur weiterbringen, wenn es uns auf irgendeine Weise innerlich inspiriert. Das Gleiche kann man auch in Jeans und T-Shirt dort sitzend erreichen, wo wir uns gerade befinden.

Obwohl die Erleuchtung letztendlich ein Nicht-Tun, ein Loslassen ist, müssen wir etwas tun, um das zu kultivieren.

Wir können darauf warten, dass jemand anders kommt und das Licht anknipst (vielleicht sogar eine sehr lange Zeit), oder wir können aufstehen und das Licht selbst anschalten. Wir müssen etwas tun, um nichts tun zu können. Aber wir brauchen unsere Heimat nicht verlassen, dies zu tun.

Im Vergleich zu früheren Verhältnissen sind die Dinge heutzutage sehr viel anders. Informationen über die Mittel und Prozesse der menschlichen spirituellen Transformation sind in der heutigen Zeit sehr leicht abrufbar. Wir leben im Informationszeitalter und fast jeder hat Zugang zu Wissen. In den alten Tagen war es unter Umständen notwendig, weit zu reisen, um auf Wissen zu stoßen, und die Wissensvermittlung war oft an bestimmte Bedingungen geknüpft – erforderlicher Lebensstil, Glaube, Rituale usw. Dennoch lief die entscheidende Reise immer in jeder Person selbst ab und so wird es auch immer bleiben. Jetzt, mit den sehr stark erweiterten Zugangsmöglichkeiten zu spirituellen Informationen können wir uns über die äußerlichen Stützen des spirituellen Lebens hinwegsetzen und das Ganze auf eine Ebene der grundlegenden und universellen Prinzipien und Methoden ziehen. Wir stoßen auf einen sich endlos ausweitenden Kreislauf von spirituellem Wunsch, Handlung, Reinigung und Öffnung, der bis zur Erleuchtung weitergeht und die Paradoxien des Geistes werden Teil des täglichen Lebens, ohne dass dies noch groß auffällt.

Entlang des Wegs machen wir viele Erfahrungen. Wir mögen zu Beginn eine extreme Leidenschaft bezüglich unserer spirituellen Reise fühlen, selbst, wenn wir noch gar nicht so weit gereist sind. Praktizieren wir die tägliche tiefe Meditation über Monate und Jahre, lernen wir die innere Stille kennen und finden DARIN unser Zuhause. Wir stellen fest, dass dies unser eigenes SELBST ist. Das gewöhnliche Leben wird weitergehen, auch wenn wir merken, dass wir jenseits davon, unberührt von allem leben. Wir werden erkennen, dass die Leidenschaftslosigkeit inmitten der normalen Leidenschaften des Lebens aufkommt. Fragen mögen wir uns, ob wir dabei sind, es zu verlieren; in dem Sinne, dass wir uns nicht mehr so sehr mit diesem Leben beschäftigen.

Machen wir jedoch weiter, erkennen wir, dass unser Verlangen sich nicht aufgelöst hat. Es wurde nur transformiert, transformiert von einem persönlichen Verlangen hin zu einem göttlichen Verlangen. Dies ist der allmähliche Übergang vom Dienst an uns selbst (unserem Körper bzw. denkenden Geist) hin zum Dienst am SELBST, das man überall um uns herum in anderen findet. Während dieser Transformation sehen wir, wie unser Anhaften an den Ergebnissen unserer Handlungen abnimmt.

Es heißt, dass ein Wunsch eine Handlung hervorbringt und zur Anhaftung an den Ergebnissen der Handlung führt. Doch wenn wir auf unserem spirituellen Pfad vorwärtsgehen, sehen wir, wie unser Wunsch einen Wandel durchmacht und mehr auf die Handlung selbst ausgerichtet ist – der göttliche Fluss, der durch uns geht – und nicht so sehr auf das Endergebnis. Der Wunsch und der göttliche Fluss werden eins. Wird dies so eins, werden unsere Handlungen zu einer unwiderstehlichen Kraft der Evolution in allem, was wir im alltäglichen Leben tun. Es ist die Kraft der Liebe – ausströmende göttliche Liebe.

Wir werden feststellen{jcomments off}, dass wir ein leidenschaftliches Leben mit Leidenschaftslosigkeit leben, ein Leben angefüllt mit Wünschen ohne Erwartungen und ein Leben des vollen Engagements in aktiver Unterwerfung. Dies ist möglich durch anhaltende Hingabe und das Aufkommen der inneren Stille.

Unser ursprüngliches spirituelles Verlagen bleibt unsere ganze Reise hindurch virulent und transformiert sich schrittweise: vom Persönlichen zum Göttlichen. Wir sind nirgendwo hingegangen, nur nach vorn in die Erkenntnis unseres eigenen SELBST – eine Reise von hier nach hier. Wir sind zur Liebe in Bewegung, zu Stille im Handeln geworden. Das ist die Vermählung von Stille mit göttlicher Ekstase, die ununterbrochen aus unserem Inneren ausstrahlen. Dann wird das gesamte Leben zu unserem göttlichen Geliebten und alles, was wir tun ist ein glorreicher Tanz, der die Einheit überall entfaltet. Die Reise beginnt in der Liebe und endet in der Liebe.

Der Guru ist in Dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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