Lektion T42 – Die Gleichheit der Geschlechter im Tantra

Frage 1: Ich bin zufällig auf deine Webseite gestoßen und habe dein Material zu Tantra-Yoga durchgelesen, weil ich so etwas schon immer einmal anwenden wollte. Ich habe festgestellt, dass deine Website den Gegebenheiten der Natur sehr nahekommt – das ist etwas, zu dem ich einen Bezug herstellen und das ich einsetzen kann. Ich versuche, das Material so gut zu studieren, wie es geht, und ich fand heraus, dass deine Arbeit größere Verbindung hat zu dem, was ich will, als viele andere Arbeiten.

Vieles was du sagst und alle die Techniken machen für mich viel Sinn. Aber ich würde dich bitten, dass du für mich noch etwas klarstellst.

Du erwähnst in deinen Lektionen, dass Frauen in vieler Beziehung überlegen sind und besonders, dass Frauen das beim Sexualakt sind, da sie den Samen einfordern. Sie sind diejenigen, die ihn einfordern; so steht es bei dir.

Doch dann später, wenn es um den multiplen Orgasmus geht, hast du erwähnt, dass es für Frauen schwerer ist, höhere Ebenen der Ekstase oder Reiche zu erreichen, weil sie eben diese multiplen Orgasmen haben. Widerspricht sich das nicht? Mich hat das verwirrt, da Frauen beim Sexualakt sehr kraftvoll auftreten … dann, warum kann dann so etwas wie multiple Orgasmen Probleme bereiten? Ich meine, dass sich beide Sätze ziemlich zu widersprechen scheinen.

Ich persönlich weiß keine Antwort auf die Frage, ob Frauen multiple Orgasmen haben oder nicht, wenn … gut ich weiß nicht, wie das ist, ein Mann zu sein. Was immer ich fühle, ist für mich natürlich. Deshalb kann ich wirklich nicht verstehen, was das im Vergleich ist oder überhaupt verstehen, was das ist.

Und am wichtigsten ist, dass ich nicht weiß, ob das wirklich eine Ursache für Energieabfluss ist. Und sollte es das auch wirklich sein, dann kann es nicht mehr als der Energieabfluss beim Mann sein. Warum soll es also für Frauen schwieriger sein, höhere Ebenen zu erreichen? Es muss gleich sein, weil auch alles was du schreibst darauf hindeutet, dass bei beiden Geschlechtern vollkommene Gleichheit herrscht …deshalb muss auch beim Energieverlust Gleichheit herrschen. Wenn es schwer ist für Frauen, muss es auch für Männer gleich schwer sein. Das ist es, was ich fühle.

Ich würde mich wirklich über eine Hilfestellung hierbei freuen.

Antwort 1: Vielen Dank fürs Schreiben und Teilen.

Wenn es in den Lektionen beim Thema sexueller Energie irgendwelche Andeutungen von unterschiedlichen spirituellen Möglichkeiten für Männer und Frauen gibt, war dies sicherlich nicht beabsichtigt. Beide Geschlechter haben gleiche Möglichkeiten für die Erleuchtung. Das ist unser Schicksal, an dem wir gleichberechtigt teilhaben.

Allerdings gibt es bei den biologischen Mechanismen doch Unterschiede. Ein Mann verliert beim Orgasmus (Ejakulation) viel mehr Lebenskraft (Prana) als eine Frau. Die Frau verliert also bei einem Orgasmus weniger. Einige behaupten sogar, dass für Frauen ein Orgasmus einen Gewinn darstellt. Doch hat sich gezeigt, dass multiple weibliche Orgasmen am Ende auch zu einem Aufbrauchen der Lebenskraft führen. Dies sind Mechanismen, die tief in der Biologie der reproduktiven Funktionen eingewurzelt sind. Um diese Unterschiede geht es in den Lektionen. Doch das ist kein Hinweis auf eine spirituelle Ungleichheit – nur auf eine unterschiedliche Rolle im Rahmen der Fortpflanzung.

Der Schlüssel zum spirituellen Fortschritt hat vom sexuellen Blickwinkel aus sowieso nicht viel mit Orgasmus zu tun. Auch nicht viel mit dem Sex, der der Fortpflanzung dient, außer wenn man den Akt (kommt es dazu) für den spirituellen Zweck verändert. Wichtig ist vor allem die Erhaltung und Kultivierung der sexuellen Energie (Brahmacharya, wie das in Lektion T9 beschrieben wurde). Sobald man diese Aufgabe einmal mit tantrischen Methoden angeht, werden die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei den biologischen Mechanismen von Orgasmus und Fluss der Lebenskraft erkennbar, auch dass die Möglichkeiten für die innere Transformation gleich sind und sie sich gegenseitig unterstützen/sie eine Solidargemeinschaft darstellen. Die Aufgabe, die in spirituellen sexuellen Beziehungen zu meistern ist, ist die der „vor-orgasmischen Kultivierung“. Dabei befinden sich beide Geschlechter auf demselben Spielfeld und nutzen die in den Lektionen erörterten Methoden, dies zu erreichen. Das der Fortpflanzung dienende Triebverhalten (das Geben und die Entgegennahme des Samens) werden zurückgestellt, um eine vor-orgasmische Kultivierung zuwege zu bringen, die der spirituellen Transformation beider Geschlechter gleichermaßen dient. Dann sind beide Geschlechter genauso mit einem inneren Liebesspiel beschäftigt wie mit einem äußeren. Beide Geschlechter arbeiten gleichermaßen am Prozess der Transformation (der in jeder Person individuell abläuft), indem sie einen Großteil der Zeit darauf verwenden, den Liebesakt dahin zu transformieren.

Das ist es, was diese Tantra-Lektionen zusammen mit den speziellen Hilfsmitteln vermitteln wollen und ich hoffe, dass dies nun den Sachverhalt etwas klarer macht.

Wie in den Lektionen erwähnt, soll der Aspekt der Praxis, der die sexuellen Beziehungen betrifft (und Tantra genannt wird) die umfassenderen Yoga-Übungen, zu denen u.a. die Tiefe Meditation und die Wirbelsäulenatmung gehören, unterstützen. Im Falle von Mulabandha, Sambhavi, Siddhasana und Kechari kommt es zwischen den sitzenden Übungen und Tantra zu Überschneidungen, weil diese auf ähnliche Weise auf die sexuellen Energien wirken. Der Umgang mit sexueller Energie ist im Yoga unvermeidlich, weil dies die Hauptenergie der ekstatischen Seite der Erleuchtungsgleichung ist – Kundalini. Die andere Seite ist die innere Stille, reines Glückseligkeitsbewusstsein, das hautsächlich in der tiefen Meditation und mit Samyama kultiviert wird. Innere Stille und ekstatische Leitfähigkeit (Kundalini) bilden zusammen die Einheit der inneren Polaritäten des Nervensystems, die metaphysisch durch Shiva und Shakti versinnbildlicht sind. Das führt schließlich zu nicht endender unerschütterlicher innerer Stille, ekstatischer Glückseligkeit und ausströmender göttlicher Liebe – der Bestimmung für Frauen und Männer gleichermaßen.

Frage 2: Das hat bei mir einige Ungereimtheiten ausgeräumt. Ja, natürlich hast du Recht. Beide Geschlechter verlieren auf jeden Fall etwas Energie. Ich meine, schließlich geht es ja um das Kanalisieren der Energien nach oben, anstatt sie heraus zu lassen und zu verschwenden.

Ich habe irgendwo gelesen, dass, wenn die sexuelle Energie zur Krone geht und den Körper dort verlässt, sie zu göttlicher Energie wird und dass sexuelle Energie nichts anderes als göttliche Energie ist, nur viel gröber. Stimmt das?

Ich vermute, mich hat verwirrt, dass du an einer Stelle in den Lektionen erwähnt hast, dass eine Frau wegen multipler Orgasmen möglicherweise nicht in der Lage ist, in höhere Reiche zu gelangen, und ich bin mir sicher, dass du damit auch Männer gemeint hast. Doch habe ich wahrscheinlich nur den Teil für die Frauen wahrgenommen und deshalb wollte ich das geklärt haben, weil ich den Teil für die Männer anfangs nicht gelesen habe. Doch nun verstehe ich, was du gemeint hast: dass beide auf ihre eigene Weise es mit einem Energieverlust zu tun haben.

Dann noch: Sind multiple Orgasmen etwas Natürliches oder von Natur aus yogisch, gehören sie also zum Prozess? Du hast diese Frage aufgeworfen und gesagt, dass sich dies im Laufe der Jahre zu einer Streitfrage entwickelt hat. Könntest du das ein bisschen näher erläutern? Du hast erwähnt, dass dies Frauen ganz natürlich eigen sei. Würde es das auf eine Weise im Prozess yogisch machen, wenn man berücksichtigt, dass es natürlich oder so ist, wie von der Natur beabsichtigt? In diesem Sinne ist alles in uns Teil des Plans, wenn das Sinn macht.

Die Frage ist, wie man die multiplen Orgasmen nutzt, damit sie die yogische Praxis unterstützen und ob sie alleine auch etwas Förderliches sind?

Ich würde mich sehr freuen, dazu noch mehr zu hören, weil mich dieser Teil am meisten interessiert. Ich weiß nicht einmal, ob ich multiple Orgasmen habe oder ob es nur einer ist. Ich würde mir wirklich wünschen, den Unterschied zu kennen.

Antwort 2: Ja, sowohl beim Mann als auch bei der Frau kommt es beim der Fortpflanzung dienenden Sexualakt und bei Orgasmen zu einem Energieabfluss. Meist betrifft dies aber den Mann, weil er gewöhnlicherweise den Höhepunkt zuerst erreicht – noch bevor sich die Frau verausgabt hat. Für die Frau würde „verausgaben“ bedeuten, dass sie mehrere weitere Orgasmen hat oder vielleicht auch etwas, das wie ein sehr langer Orgasmus erscheinen mag. Dieses größere Stehvermögen der Frauen ist bei der Fortpflanzung etwas Natürliches – das Ziel dabei ist es, den Samen in die Gebärmutter einzuziehen. Das ist der Grund dafür, dass ich sagte, die Frau sei beim reproduktiven Sexualakt überlegen, was so viel heißt, dass sie den Samen vom Mann anzieht. „Überlegen“ ist nur eine Ausdrucksweise der Relativität und deutet nur auf die Fähigkeit hin, beim Sexualakt lange Zeit auszudauern. Die Frau ist dadurch beim der Fortpflanzung dienenden Sex von Natur aus im Vorteil, weil es um das Einnisten des Samens geht. Mutter Erde wird nicht aufgeben, bevor sich der Same eingenistet hat. Schließlich hängt das Überleben der menschlichen Spezies davon ab!

Hat einmal der Mann die Kontrolle über seinen Samen erlangt, kann er beim Verlängern des Sexualaktes die Führungsrolle übernehmen. Dann wird die Frau eine viel längere Erregung fühlen und möglicherweise multiple Orgasmen haben oder was auch immer in dieser Situation orgasmisch geschehen mag. Doch genauso wie es für den Mann nicht tantrisch ist, sich schnell zu verausgaben, genauso wenig ist es für die Frau tantrisch, sich orgasmisch zu verausgaben. Das typische Szenario bei der Entwicklung von Tantra im Laufe der Zeit ist:

1. Der Mann wird Herr über seinen Samen und kann schließlich den Orgasmus unendlich hinauszögern.

2. Die Frau wird dann länger stimuliert, was zu längeren oder multiplen Orgasmen führen kann.

3. Mann und Frau arbeiten beide zusammen, um sich gemeinsam lange Zeit vor-orgasmisch zu behaupten. Das ist tantrischer Sex.

Das Ziel ist die lange vor-orgasmische Stimulation, was bedeutet, dass der Liebesakt so ausgeführt wird, dass beide vor-orgasmisch bleiben. Dies ist das fundamentale Prinzip hinter den tantrischen Sexualmethoden. Das gleiche Prinzip steht hinter der tantrischen Masturbation, Siddhasana und allen Methoden, die der Kultivierung sexueller Energien dienen. Multiple Orgasmen für die Frau sind also nicht yogisch, genauso wenig wie es zu viele Ejakulationen für den Mann sind.

Dies bedeutet nicht, dass der Orgasmus tabu ist und man ihn niemals genießen darf. Es heißt nur, dass es umso besser für die spirituelle Entwicklung ist, je mehr Zeit wir in der Kultivierung vor dem Orgasmus verbringen, in Verbindung mit unseren regulären sitzenden Yoga-Übungen (Meditation, Wirbelsäulenatmung, etc.). Es gibt keinen Grund, warum eine Frau nicht mit ihrem Liebhaber (oder alleine bei der Masturbation) lange Zeit vor-orgasmisch kultivieren kann, um danach auch noch ihre multiplen Orgasmen zur Gänze zu erkunden. Ginge man so vor, wäre dies aus Freude des Erkundens, was man alles erfahren kann. Es ist jedoch keine gute langfristige Yoga-Strategie, da hierdurch die Energie herabgestuft wird, genauso wie dies bei übermäßigen männlichen Ejakulationen der Fall ist. Dagegen ist eine lange vor-orgasmische sexuelle Stimulation energetisch regenerativ und wünschenswert.

Bei fortgeschrittenen Tantrikern wird kaum eine oder gar keine Notwendigkeit bestehen, zum Orgasmus zu gehen und sie werden darauf auch beim Liebesakt ganz verzichten, weil die spirituelle Ekstase und Erfüllung, die sich einstellen, so viel größer werden. Sex wird innerlich spiritualisiert und das übersteigt bei weitem den genitalen Orgasmus in Intensität und Dauer und wird schließlich auch zu einer anhaltenden Eigenschaft unseres täglichen Lebens. Dieser unerschütterliche Zustand ekstatischer Glückseligkeit ist das Ziel sowohl des Yoga wie auch der tantrischen Sexual-Praktiken. Doch verliert man die Fähigkeit zum reproduktiven Sex niemals. Es wird dann zu einer Frage der freien Entscheidung und ist keine Notwendigkeit mehr – eine Befreiung für beide, Mann und Frau.

Steigt unsere Energie einmal über den Beckenbereich hoch, gehört sie nicht länger zum sexuellen Reich. Sie ist im mittleren und oberen Körperbereich spirituell, auch wenn sie sich gleichzeitig in der Beckenregion immer noch sexuell anfühlt, wie das gewöhnlicherweise während tantrischer Übungen (zu denen auch das von fortgeschrittenen Yogis und Yoginis während der gesamten sitzenden Übungspraxis angewandte Siddhasana gehört) vorkommt. Die Energie wird also schon lange bevor sie die Krone erreicht spirituell ekstatisch. Auf jeden Fall werden das gesamte Konzept und die Praxis der sexuellen Stimulation durch diesen (vor-orgasmischen) Modus geheiligt. Spirituelle Energie ist sexuelle Energie, die zu einem höheren Zweck transformiert wurde.

Übrigens ist die Krone nicht notwendigerweise der beste Ort, wohin man mit seiner Energie hingehen sollte, weil dabei die Gefahr von Instabilität infolge einer verfrühten Kronenöffnung besteht, was zu physischen und emotionalen Problemen, unausgeglichenen Energien, ungewollten Visionen, etc. führen kann. Erst viel später in der yogischen Entwicklung wird sie zu einem Ziel. Bemühe dazu die Suche oben rechts mit dem Stichpunkt „Kronenöffnung“. Die Wirbelsäulenatmung und andere Methoden sind für das richtige Kanalisieren unserer inneren Energien geeignet, damit diese progressiv und zugleich ungefährlich zwischen der Wurzel und dem dritten Auge (sowie nicht der Krone) wirkt. Die Krone kommt beim Ansatz der FYÜ viel später ins Spiel – erst nachdem eine Menge vorher notwendige Reinigung erzielt worden ist. Dies erweist sich für die Vermeidung von Kundalini-Ungleichgewichten und resultierenden Schwierigkeiten bei den meisten Übenden als effektiv.

Ich wünsche dir alles Gute auf dem von dir gewählten Pfad. Viel Spaß!

Der Guru ist in dir.

Über den Autor

Yogani

Yogani ist ein anonymer US Amerikaner, der 2003 begann, im Internet sein spirituelles Wissen in Form von Lektionen zu veröffentlichen und damit auf einen großen Kreis Interessierter weltweit traf. Im Laufe der Jahre entstand Daraus eine umfassende Bibliothek zu allen Aspekten des Yoga. Inzwischen gibt es viele Übersetzungen in andere Sprachen. Die Lektionen sind immer noch kostenlos abrufbar. Heute gibt es auch Bücher, Hörbücher, Ebooks und im Englischen eine PLus-Mitgliedschaft sowie ein gut besuchtes Forum.

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